„Wenn wir so noch mehr PS auf die Straße bringen, kann das nur gut sein!“ Thorsten Wagner, Chefredakteur von Antenne Unna, freut sich über die neue Kooperation seines Senders mit radio 91.2, Radio Vest, Radio Kiepenkerl, Radio MK, Radio Lippewelle Hamm und Hellweg Radio. Das Ungewöhnliche daran: Die ersten drei Sender gehören mehrheitlich den Verlagen Lensing und rubens, die anderen vier der Mediengruppe Westfälischer Anzeiger (WA) des Verlegers Ippen. Von den Kreisen Coesfeld und Recklinghausen über Dortmund, Hamm und die Kreise Unna und Soest bis zum Märkischen Kreis bildet der neue Verbund eine zusammenhängende Einheit – nach Angaben der Verlage mit einer Reichweite von rund einer Million Hörerinnen und Hörern eines der größten Vermarktungsgebiete in NRW und bundesweit.
Ziel der ungewöhnlichen Zusammenarbeit ist es, „die Kompetenzen in den Bereichen Vermarktung, Digital, Content und Technik gemeinsam zu nutzen und künftig noch mehr Knowhow für die erfolgreiche Transformation der Radiosender zu entwicklen, um die digitalen Reichweiten zu steigern“, erklären Hans Sahl (Geschäftsführer WA) und Hans-Christian Haarmann (Geschäftsführer Lensing Media und rubens) in einer Mitteilung.
Ein „Radiostratege“
Die erste offensichtliche Änderung: Marco Morocutti ist seit dem 1. Januar Geschäftsführer der Betriebsgesellschaften (BGen) aller sieben Stationen und Geschäftsführer der WWR, der Vermarktungsgesellschaft der vier Ippen-Sender. Bislang verantwortete er die BGen von Antenne Unna und radio 91.2 und seit der Übernahme des Verlagshauses Bauer durch Lensing im September 2020 auch die von Radio Vest.
Die Idee hinter der Zusammenarbeit ist Professionalisierung: Ein gemeinsamer Geschäftsführer soll sozusagen hauptamtlich die Lokalstationen nach vorne bringen. Mit dem neuen BG-Chef übernehme ein „Radiostratege“ diese Aufgabe, einer „der Radio denkt“, heißt es aus den Ippen-Sendern. Ihr bisheriger BG-Chef Hans Sahl (der dies offiziell auch bis Jahresende bleibt) ist in erster Linie Geschäftsführer der Mediengruppe WA, das Radiogeschäft sei eher „nebenbei“ gelaufen.
In der Findungsphase
Wie die Kooperation genau funktionieren soll, wissen die Beteiligten selbst noch nicht, zur Zeit wird die aktuelle Situation analysiert. Morocutti spricht dafür mit Veranstaltergemeinschaften (VGen), Chefredakteurinnen und -redakteuren sowie Beschäftigten. Eine sehr zeitaufwendige Aufgabe. Das erste Gespräch mit ihm habe zwei Stunden gedauert, berichtet Andreas Kramer, Chefredakteur von Radio Kiepenkerl im Kreis Coesfeld. Sämtliche Gesprächspartnerinnen und -partner betonen den angenehmen und professionellen Umgang, der neue BG-Chef „höre zu“.
Nach der kurzen Zeit könne man die Kooperation noch nicht bewerten, die ersten Anzeichen seien aber sehr positiv, sagen zum Beispiel übereinstimmend Andreas Kramer und Colleen Sanders, Chefredakteurin von Radio Lippewelle Hamm. Auch Pascal Rückert, seit Oktober 2020 VG-Vorsitzender von Hellweg Radio, ist voll des Lobes: „Man merkt, dass Morocutti voller Tatendrang ist und neue Ideen einbringen will.“ Wobei die Zusammenarbeit mit Hans Sahl ebenfalls problemlos gewesen sei, wie er betont. So habe es bei den Etatverhandlungen für 2021 keine Diskussion über den Personalbestand gegeben.
Was am Ende der Analyse stehen wird, ist offen, das Ergebnis könnte zum Beispiel ein gemeinsamer Serviceverbund für alle sieben Radios sein. Personalabbau sei jedenfalls nicht geplant, ist aus den Sendern zu hören. Stattdessen wird investiert: Chefredakteurinnen und -redakteure sowie Beschäftigte berichten von schon erfolgten Investitionen, etwa in Technik.
„Die Sender kleiner zu machen ist gar kein Thema“, bestätigt auch Thorsten Wagner. „Gerade in diesen wirren Zeiten ist das unheimlich wertvoll.“ Er arbeitet mit Morocutti zusammen, seit er vor fast sieben Jahren Chefredakteur von Antenne Unna wurde und berichtet von einem respektvolle Umgang miteinander: „Wir haben natürlich unterschiedliche Interessen, sind bisher aber immer zu einem Konsens gekommen.“
Dass der neue BG-Chef jetzt in Krisenzeiten antizyklisch investiert, beeindruckt auch Kramer, in anderen Sendergruppen ist aktuell das Gegenteil der Fall (siehe JOURNAL 1/21).
Optimismus und ein bisschen Skepsis
Aus den Redaktionen ist bislang nur Gutes zu hören. Entscheidungen fielen eindeutig schneller, und die Stimmung sei auch bei den Werbeverkäufern geradezu euphorisch, obwohl keiner so genau erklären könne, wie die Zusammenarbeit funktioniere. Details dazu waren den Verantwortlichen nicht zu entlocken, auch nicht, wie die Finanzierung läuft. Klar ist, dass es (bislang) keine Anteilsübergaben zwischen Lensing und Ippen gegeben hat.
Branchenkenner sind dennoch skeptisch: Verleger Lambert Lensing-Wolff ist bisher nicht als großzügiger Arbeitgeber aufgefallen, und der Zeitungsmarkt wird seit Jahren unter den Verlagen aufgeteilt. „Wann kommt der Haken?“, fragen sich zum Beispiel die Beschäftigten. „Keiner weiß, was in zehn Jahren ist, so ehrlich muss man sein“, sagt VG-Chef Rückert. „Bislang habe ich aber ein richtig gutes Gefühl und blicke allem optimistisch entgegen.“
Von der neuen Partnerschaft erhoffen sich die Beteiligten viel. „Ich glaube, dass wir mit der Vergrößerung besser aufgestellt sind für Herausforderungen wie zum Beispiel die Digitalisierung. Wir haben tolle Kompetenzen in den Teams, dieser Kompetenzenmix kann uns vorwärts bringen, auch in den Bereichen Marketing und Technik“, sagt Sanders, „davon können alle profitieren.“
Kramer sieht das ähnlich: „Wir müssen in größeren Einheiten denken, um erfolgreich zu sein und eine bessere Überlebenschance im sich wandelnden Markt zu haben.“ Die Kooperation aller Lokalradios mit aktuell 43 Sendern sei vielleicht schon zu groß dafür. Das sieht Rückert für die VGen genauso. Der Austausch auf Ebene des Dachverbands Lokaler Rundfunk sei eher schwierig, mit vier oder jetzt mit sieben Stationen sei das deutlich einfacher: „Ich bin sicher, dass sich Synergien ergeben werden, an die man vorher nicht geglaubt hat.“
Die Chefredakteurinnen und -redakteure könnten sich etwa eine gemeinsame technische Plattform zum Austausch von Programminhalten vorstellen oder eine Marketingstrategie als Gerüst für alle Sender, die dann inhaltlich individuell gefüllt werden könnte. Gute freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten vielleicht eher gehalten werden, wenn sich im Verbund mehrere Auftraggeber finden, Einsparungen seien im Einkauf oder bei der Marktforschung denkbar. Solche Absprachen habe es zuvor auch unter den vier Ippen-Sendern nicht gegeben.
Markenkerne erhalten
Wichtig sei aber, dass der Markenkern jedes einzelnen Lokalradios erhalten bleibt, betont Andreas Kramer. Er glaubt, dass die Kooperation alle sieben Stationen weiterbringt: „Mit einem BG-Geschäftsführer, der professionell Radio denkt, und wenn das Team seine Hausaufgaben macht, hat Radio Zukunft.“ Thorsten Wagner ergänzt: „Ich bin überzeugt, wenn alle fair miteinander umgehen und wir Freude an der Entwicklung mitbringen, haben wir sehr, sehr gute Chancen am Markt.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 2/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2021.