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Lokalfunk | 

Am eigenen Ast sägen

Die Lokalradios sparen ausgerechnet an der lokalen Kompetenz
15. Februar 2021, Sascha Fobbe

Was genau läuft da gerade bei den Lokalradios im Land? Sollte die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) in irgendeiner Form eingreifen? Momentan sieht es ganz danach aus. Nach Informationen des DJV-NRW haben landesweit die Betriebsgesellschaften (BGen) in den Etatverhandlungen mit den Veranstaltergemeinschaften (VGen) für 2021 Einsparungen durchgesetzt – bei den Etats für Freie und für Weiterbildung sowie beim Personal. Und das nicht nur bei weniger rentablen Sendern.

Nachdem die Werbeerlöse wegen des Lockdowns im Frühjahr 2020 eingebrochen waren, wurde auf Seiten der BGen gemutmaßt, dass nicht alle Sender das Jahr überstehen würden. Jetzt sollen die BGen mit Insolvenzen gedroht haben, wenn nicht gespart wird. Nach allem, was zu hören ist, hatten sie damit bei vielen Lokalradios Erfolg.

Kein Katastrophenjahr

Entgegen den Befürchtungen scheint die Privatradio-Branche insgesamt bundesweit mit einem hellblauen Auge davongekommen zu sein. Allerdings zog vor allem die nationale und landesweite Werbung wieder an. Im Regionalen und im Lokalen liegen die Werbeeinahmen dagegen nach wie vor unter denen des Vorjahrs. Entsprechend sehen die Betriebsgesellschaften, die für die Werbung und Finanzierung der Lokalradios zuständig sind, die Entwicklung mit Sorge. Allerdings war das vergangene Jahr nach Einschätzung des LfM-Direktors Tobias Schmid kein „Katastrophenjahr“. Zwar habe die Coronakrise die Lage für die Sender verschärft, die vorher schon nicht krisenfest aufgestellt waren. Er habe aber bis Ende 2020 keine Zahlen gesehen, wonach Sender aufgrund der Pandemie in einer existenzbedrohenden Situation seien.

Vor diesem Hintergrund scheint es, dass die BGen die momentane Lage genutzt haben, um die VGen unter Druck zu setzen. Offenbar verlangen die Verlagshäuser, die jeweils mit 75 Prozent oder mehr an einem Lokalradio beteiligt sind, die Sender auf Profit zu trimmen: Nach dem Rasenmäherprinzip sollten 8 bis 15 Prozent der Kosten eingespart werden. Bei den ehrenamtlich organisierten VGen fehlten anscheinend entweder der Wille bzw. die Kraft, sich dem entgegenzustellen, oder aber die Kompetenz, die Zahlen der BGen wirklich zu durchschauen.

Dabei wären die Sender eigentlich verpflichtet, die LfM über Einsparungen zu informieren. Denn das Volumen der lokalen Berichterstattung und die Struktur der Beschäftigten sind in den Lizenzen geregelt, die die LfM vergibt.

Im Interview für den Lokalfunk-Podcast des DJV-NRW zeigte sich LfM-Direktor Tobias Schmid im November erstaunt, dass sich bis dahin keine VG an die Landesmedienanstalt gewandt hatte. Denn die Gerüchte um Streichungen waren auch dort angekommen, reichten aber nicht, um tätig zu werden. Nur wenn sich eine VG melde, könne die LfM helfen, sagte Schmid damals.

Zeit verspielt

Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW, versteht das Verhalten der betroffenen VGen ebenfalls nicht: „Man fragt sich, warum die VGen nicht den Wirtschafts- und Stellenplan verweigert haben. Dann hätte die 12/12-Regelung gegriffen.“ Die besagt, dass die BGen für jeden Monat, in dem noch kein neuer Haushalt verabschiedet ist, ein Zwölftel des Etats aus dem vergangenen Jahr zahlen müssen. Das hätte den VGen Zeit verschafft, die Zahlen genau zu prüfen oder sich von der LfM beraten zu lassen.

Weniger Personal und/oder weniger Geld für freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Das geht zu Lasten der journalistischen Kompetenz, dabei ist gerade das das Pfund, mit dem die Lokalsender in der Coronakrise punkten konnten“, kritisiert Kah.

Der mögliche Verlust journalistischer Arbeitsplätze und lokaler journalistischer Kompetenz treibt auch die Medienkommission der LfM um, die sich um die Anbietervielfalt in NRW sorgt. Um mehr gesicherte Informationen zu bekommen und mit Blick auf die Kündigung der BG von Radio Ennepe Ruhr (siehe Übergangslösung für Radio Ennepe Ruhr), beschloss sie Ende Januar, einen Ad-hoc-Ausschuss „Lokalfunk NRW“ zu gründen. Ziel ist es, „die aktuelle Situation genau unter die Lupe zu nehmen und zu prüfen, wie die Medienkommission hilfreich tätig werden kann“, sagt Ulrike Kaiser, Vorsitzende des Ausschusses Vielfalt und Partizipation und vom DJV-NRW in die Medienkommission entsandt. Anfang Mai soll der Ausschuss die Medienkommission informieren. Die Einsetzung des Ausschusses ist laut Kaiser „als Signal an die Branche“ zu verstehen, dass die Medienkommission „die Sache sehr ernst“ nehme.

Das sollte sie auch, angesichts der Summen, die die Politik dem Lokalfunk zur Verfügung gestellt hat, um in der Coronapandemie journalistische Strukturen abzusichern und journalistische Vielfalt zu gewährleisten. Aus dem Solidarpakt NRW und den Bundeshilfen wurden die Verbreitungskosten beim Privatfunk in NRW mit mehr als 1,5 Millionen Euro unterstützt (anders dürfen öffentliche Gelder wegen der gebotenen Staatsferne nicht fließen). Die Summe reichte nicht aus, sagen allerdings viele aus dem System, und auch der DJV-NRW kritisiert, dass mehr Bundeshilfen an Länder geflossen seien, die weniger Privatradios haben als NRW. „Jetzt an der lokalen Kompetenz zu sparen ist dennoch der falsche Weg“, betont Kah.

Tarife im Lokalfunk: Still ruht der See

Wann die Tarifverhandlungen im NRW-Lokalfunk wieder aufgenommen werden, ist unklar. Anfang Januar hatte der DJV-NRW die Arbeitgeber aufgefordert, weiter zu verhandeln – bislang ohne Antwort (Stand Ende Januar). Der Gehaltstarifvertrag (GTV) war Ende Juni 2019 ausgelaufen, die Verhandlungen liefen erst Ende 2019 an und wurden dann im April wegen der Coronapandemie unterbrochen. Die Tarifpartner einigten sich später darauf, den GTV bis Ende 2020 wieder einzusetzen.

Zum Jahresende hatte der DJV-NRW eine Umfrage unter den Beschäftigten der Lokalradios durchgeführt, um ein Stimmungsbild zu erhalten. Fast 200 beteiligten sich, drei Viertel davon Festangestellte. Knapp 75 Prozent der Befragten gaben an, dass sie nicht angemessen bezahlt werden und dass nun weiter verhandelt werden soll. Sie erwarten die Sicherung ihrer Arbeitsplätze, eine angemessene Gehaltserhöhung und alternative Anreize, um den Beruf attraktiv zu halten. Stattdessen haben die Betriebsgesellschaften nach Informationen des DJV-NRW in den Etatverhandlungen für 2021 massive Einsparungen gefordert – an den Freienhonoraren, den Weiterbildungsetats und auch an den festen Stellen. Angesichts des Einsatzes der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zur Zeit unter schwierigen Bedingungen ihre Arbeit machen, ein Unding, findet Volkmar Kah, Verhandlungsführer des DJV-NRW.

Die Gewerkschaften fordern 4,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 200 Euro für Volontäre und Jungredakteure. Die Arbeitgeber haben in bislang vier Verhandlungsrunden kein Gehaltsangebot gemacht, sondern Streichungen am Manteltarifvertrag gefordert./sax

Noch weiter gehende Sparpläne?

Glaubt man den Gerüchten, gehen die Sparpläne der BGen sogar noch weiter: Danach sollen Programme zentral produziert und dezentral ausgespielt werden. Das ginge mit der Radiocloud, einer Technik, mit der sich die Servicegesellschaft AMS in Ostwestfalen schon länger befasst. Ursprünglich wollte die AMS damit wohl ein kostengünstiges Rahmenprogramm für die eigenen Sender gestalten, als die Verträge mit dem Mantelprogrammanbieter radio NRW zur Disposition standen.

Für dein.FM, das Jugendradio der Sender in Ostwestfalen und dem Kreis Warendorf, wird die Radiocloud schon länger genutzt. Seit Anfang des Jahres wird sie auch bei mehreren Sendern in Ostwestfalen für eine gemeinsame Abendsendung ab 18 Uhr eingesetzt, dabei werden Beiträge und Station-IDs lokal ausgespielt.

Die Radiocloud-Technik soll nun auch bei den HSG-Sendern um Köln im Gespräch sein. So soll einer VG vorgeschlagen worden sein, ihren Sender nur noch mit einem Chefredakteur zu besetzen. Wie eine einzelne Person ein mehrstündiges Programm mit lokalen Inhalten füllen soll, das nicht nur aus Moderationsmeldungen besteht, sondern auch O-Töne und Beiträge beinhaltet, bleibt fraglich. Noch schwieriger dürfte es sein, so noch eigene Themen zu recherchieren und umzusetzen. „Das klingt nach Lokalfunk light. Darauf sollten sich weder Veranstaltergemeinschaften noch die LfM einlassen“, fordert DJV-Geschäftsführer Volkmar Kah. Er begrüßt die Einsetzung des Ad-hoc-Ausschusses: „Es kann nicht angehen, dass diejenigen, die die Aufsicht über die Lokalradios in NRW haben, von den Verantwortlichen über deren Pläne und Absichten im Unklaren gelassen werden.“||


Ein Beitrag aus JOURNAL 1/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Februar 2021.