Bei Millennial-Medien geht es um Experimente

14. Juni 2019, Das Gespräch führte Anna von Garmissen
Stephan Weichert. | Foto: Melina Mörsdorf
Stephan Weichert. | Foto: Melina Mörsdorf

Stephan Weichert leitet den Studiengang„Digital Journalism“ an der Hamburg Media School und befasst sich seit Jahren mit Angeboten für junge Mediennutzer. Er ist Gründer des Think Tanks VOCER.org und Gründungsdirektor des VOCER Innovation Medialab (s.u.), eines Stipendienprogramms für Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten. 2017 veröffentlichte er mit Leif Kramp das Buch „Der Millennial-Code“.

Für Medienforscher und Journalismusprofessor Stephan Weichert sind Millennial-Medien der Schlüssel zur Zukunft des Journalismus. Neben herausragenden Beispielen sieht er aber in Sachen Seriosität und journalistischem Tiefgang auch viel Luft nach oben.

JOURNAL: Vor einigen Jahren starteten in Deutschland mehrere Medien für Jugendliche und junge Erwachsene. Welche Marken haben sich inzwischen etabliert?

Stephan Weichert: Angebote, die vor zwei, drei oder vier Jahren hinzugekommen sind, kann man eigentlich noch nicht etabliert nennen. Da fallen mir eher Medien ein, die schon länger von sich reden machen – wie Vice, jetzt.de, heute+ oder Watson, das 2012 in der Schweiz gegründet wurde. Ihre journalistische Leistung findet durchaus Nachhall in der Branche. Etablierung ist aber auch deswegen eine schwierige Kategorie, weil sich Portale wie funk und bento ja ständig verändern. Alles ist total im Flow.

JOURNAL: Wie wichtig ist diese Beweglichkeit für den Erfolg bei der Zielgruppe?

Weichert: Enorm wichtig. Im Grunde verstehen sich alle Jugend- und Young-Professional-Medien als Labor. Es geht eigentlich nie um große wirtschaftliche Erfolge, sondern darum zu experimentieren – mit Inhalten, Formaten, Plattformen. Gerade das macht sie so interessant. Das shining example ist für mich funk, das junge Angebot von ARD und ZDF. Denen ist es gelungen, ein funktionierendes Content-Netzwerk aufzubauen – völlig losgelöst vom linearen Fernsehen. Das ist ein originär neues Angebot, sie haben das TV quasi neu erfunden.

JOURNAL: Dafür sind sie als Teil des öffentlich-rechtlichen Angebots gebührenfinanziert. Gibt es bei den anderen Newcomern auf dem deutschen Markt auch Best-Practice-Beispiele?

Weichert: Auf jeden Fall. Ich bin ein Mega-Fan des Schweizer Portals Watson, das ja kürzlich auch nach Deutschland lizenziert wurde. Bei watson.ch hat man vieles erfunden, was andere dann kopiert haben. Auch die hiesige Buzzfeed-Edition macht sich unter Daniel Drepper als Chefredakteur. Allerdings habe ich den Eindruck, dass er den spezifisch deutschen Weg noch nicht gefunden hat. In Amerika ist Buzzfeed – trotz des momentanen Stellenabbaus – ein Erfolgsmodell. Die deutschen Nutzer ticken anders, das gilt es zu berücksichtigen.

JOURNAL: Und was ist mit bento?

Weichert: Das hatte in der Branche schnell seinen Ruf als Klickschleuder für Spiegel Online weg. Zunächst hat das auch funktioniert. Doch der Erfolg schmälert sich, die Reichweite ging zuletzt zurück. Reißerische Headlines und Trivialthemen nutzen sich irgendwann ab.

JOURNAL: Apropos flache Inhalte: Auf fast allen Plattformen gibt es himmelschreiende Banalitäten, die der Zielgruppe als große Erkenntnisse verkauft werden. Fühlen die Digital Natives sich von so etwas angesprochen?

Weichert: Mit der Verflachung ist es wie mit dem Elefanten im Raum, über den keiner sprechen will. Leider fehlt es tatsächlich oft an journalistischer Seriosität. Fakt ist, dass viele Nutzer sich von wackelnden Gifs und Clickbait-Listicles vergackeiert fühlen. Andere finden sie aber amüsant. Es kommt dabei nicht nur auf den Intellekt an, sondern auch auf die Nutzungssituation und die Aufmerksamkeitsspanne. Surfe ich gerade nebenbei durch meine Timelines? Oder kann ich mich auf einen Text zur Europawahl einlassen? Die Kunst besteht darin, soziale Unterhaltung und journalistischen Tiefgang miteinander zu verbinden.

JOURNAL: Wie wirken sich die unterschiedlichen Kanäle auf den „jungen“ Journalismus aus?

Weichert: Heute gilt: Form vor Inhalt. Während Facebook noch eine plausible Struktur für journalistische Inhalte mitgebracht hat, ist es bei Twitter schon problematisch. Auf Instagram und Snapchat muss der Journalismus sich regelrecht verbiegen, um in Story-Formate zu passen. Interviewpartner haben wenige Sekunden für ihre Antworten, komplexe Zusammenhänge werden auf ein oder zwei Extrem-Aussagen zusammengedampft. Dabei sollte die Wahl des Mediums gerade bei wichtigen Themen – etwa dem Klimawandel – nachrangig sein. Der Journalismus sollte sich nicht den Infrastrukturen unterordnen, sondern umgekehrt. Da rennen wir noch auf Probleme zu.

JOURNAL: Das Portal Vocer des Vereins für Medien- und Journalismuskritik, dessen verantwortlicher Herausgeber Sie sind, startet gerade ein „Millennial Lab“. Wie sieht das aus und was soll es bewirken?

Weichert: Wir sind der Meinung, dass der Millennial-Journalismus komplett unter Wert verkauft wird. Dabei ist es eine der größten Herausforderungen in der Medienlandschaft, den Draht zu den jungen Zielgruppen nicht zu verlieren. Das Lab möchte dabei helfen. Wir veranstalten Trainings für junge Journalisten und Führungskräfte, beobachten die internationalen Trends und wollen mit Hackathons und Ideensprints die Formatentwicklung unterstützen.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2019.