Wie lässt sich (unabhängiger) Journalismus finanzieren? Und wie können freie Journalistinnen und Journalisten mit eigenständigen Projekten Einnahmen generieren? Auf diese Fragen sucht die Branche seit etlichen Jahren verlässliche Antworten. Ein Weg ist das Crowdfunding, das außerhalb des Journalismus durchaus verbreitet ist: Bei der Schwarmfinanzierung tragen viele kleine Beträge dazu bei, ein Projekt zu finanzieren (siehe auch Kasten „Einmal oder regelmäßig?“).
In den vergangenen Jahren starteten Journalistinnen und Journalisten unzählige Kampagnen. Viele hatten Erfolg, noch mehr sind gescheitert. Ist Crowdfunding für journalistische Projekte überhaupt (noch) zeitgemäß? Darüber sprach das JOURNAL mit Daniel Höly, der 2012 mit seinem Projekt Shift, seinem Printmagazin für Digital Natives, für Aufmerksamkeit sorgte (siehe auch JOURNAL 5/13). Sowohl den Dummy als auch die erste Ausgabe finanzierte er damals über Crowdfunding. Obwohl auch eine dritte Kampagne das Fundingziel erreichte, stellte er Shift 2018 ein.
Fünf Ausgaben und Schluss
Daniel Höly studierte in Darmstadt Online-Journalismus. Im Rahmen seiner Diplomarbeit konzipierte er 2012 mit Shift ein Magazin für Digital Natives. Für den Dummy sammelte er 2013 via Startnext 7 027 Euro ein – bis dato das größte Crowdfunding in Deutschland für ein journalistisches Projekt. Zwei Jahre später war die Kampagne für die erste reguläre Ausgabe mit 15 017 Euro die bis dahin größte Kampagne für ein journalistisches Projekt auf Startnext.
Das Magazin erhielt 2014 den mit 10 000 Euro dotierten Bayerischen Printmedienpreis in der Kategorie „Innovation“. Ein Jahr später präsentierte Höly es als Medienpartner der Frankfurter Buchmesse mit eigenem Stand.
Die letzte Shift veröffentlichte Höly 2016. Drei Jahre später sollte eine aus vier Ausgaben bestehende, thematisch aufeinander aufbauende Shift-Staffel erscheinen. Die Kampagne dafür erreichte 2018 mit 15 177 Euro knapp die erste Fundingschwelle. Weil Höly daraus keinen klaren Auftrag ableitete, Shift weiter zu produzieren, ließ er das Ziel nachträglich auf 20 000 Euro hochsetzen, damit die Kampagne offiziell als gescheitert galt. So beendete Höly das Projekt nach fünf Ausgaben, weil er kein langfristig tragfähiges wirtschaftliches Modell gefunden hatte. Inzwischen berät und begleitet Höly mit seiner Agentur creedoo mittelständische Unternehmen bei der digitalen Transformation./JB
Einmal oder regelmäßig?
Beim klassischen Crowdfunding (etwa bei Startnext und auf Kickstarter) sammeln Initiatorinnen und Initiatoren in einer einmaligen Kampagne eine bestimmte Summe ein und bieten im Gegenzug sogenannte Dankeschöns. Wird das vorher definierte Ziel nicht erreicht, gibt es getreu dem Motto „alles oder nichts“ auch kein Geld.
Ein anderes Modell verfolgen Plattformen wie Patreon und Steady: Hier können Unterstützerinnen und Unterstützer meist aus mehreren festgelegten Monatsbeiträgen wählen und schließen damit eine Art Abo ab, welches sie jederzeit beenden können. Oft gibt es im Gegenzug einen Zugang zu Sonder- und Bonus-Inhalten. Das Abo lässt sich wahlweise auch als harte Paywall einsetzen oder einfach als Weg, ein Projekt ohne zusätzliche Gegenleistung finanziell zu unterstützen.
JOURNAL: Vor einigen Jahren galt Crowdfunding als die Lösung, um unabhängigen Journalismus zu finanzieren. Was ist aus dem Versprechen von damals geworden?
Daniel Höly: In gewisser Weise hat sich die Magie von Crowdfunding abgenutzt. Die Euphorie der Unterstützerinnen und Unterstützer speziell in der letzten Phase einer Kampagne, in der sich entscheidet, ob das Projekt zustande kommt, ist nicht mehr so groß wie anfangs, als alles noch neu war. Zudem dachten viele Projekte, dass sie nur eine einmalige Anschubfinanzierung benötigen, und mussten dann doch weitere Kampagnen starten. Dadurch geht der Reiz verloren. Auch habe ich auf Kickstarter schon erlebt, dass das Pitch-Video besser war als das Produkt. Solche enttäuschenden Erlebnisse schaden dem Crowdfunding enorm.
Mit der dauerhaften Finanzierung ist allerdings eine neue Form des Crowdfundings entstanden. Hier zahlen Unterstützer, ähnlich wie bei einem Abonnement, einen monatlichen Betrag. Vorbild ist der auch in Deutschland aktive US-amerikanische Dienst Patreon.
Das deutsche Pendant Steady hat bereits eine gewisse Relevanz erlangt – journalistische Projekte wie Übermedien und Bildblog nutzen es beispielsweise. Sollten sich die Anbieter weiter etablieren und Mediennutzerinnen und -nutzer die Dienste annehmen, wäre dies für den Journalismus eine nachhaltige, ergänzende Finanzierungsmöglichkeit.
JOURNAL: Sie klingen selbst ernüchtert.
Höly: Noch heute haben viele nicht verstanden, dass es beim Crowdfunding darum geht, eine Community aufzubauen. Manche Initiatoren wählen Crowdfunding allein wegen des PR- und Marketingeffekts, sehen es als Markttest oder als reine Vorfinanzierung. Gerade letzteres ist der Tod von Crowdfunding.
JOURNAL: Wobei es durchaus legitim ist, „nur“ Vorbestellungen einsammeln zu wollen.
Höly: Das kann ich auch mit einem eigenen Onlineshop machen, dazu muss ich keine Crowdfunding-Kampagne initiieren. Der Fokus auf den Aufbau der Community ist entscheidend, alle anderen Faktoren wie PR-Effekt, Markttest und Vorfinanzierung sind die Folgen und nicht das primäre Ziel. Die Community rund um Shift ist durch die erste Crowdfunding-Kampagne entstanden. Ich hatte kein Geld, keinen Investor und keinen Verlag und wollte dennoch ein gedrucktes Magazin herausbringen – das hat die Menschen angesprochen.
JOURNAL: Wie Sie aus eigener Erfahrung wissen, läuft eine Kampagne nicht nebenbei. Zwischendurch ist sie fast ein Vollzeit-Job. In der Zeit könnten freie Journalistinnen und Journalisten auch bezahlte Aufträge erledigen. Lohnt sich Crowdfunding unter diesem Gesichtspunkt überhaupt?
Höly: Mit dem heutigen Wissen empfehle ich, lieber eine kleine, aber feine Community aufzubauen, in der Einzelne mein Vorhaben regelmäßig mit jeweils fünf bis zehn Euro im Monat unterstützen. Planbare Einnahmen nützen vor allem, wenn ich ein langfristiges Projekt wie einen Podcast oder Blog finanzieren möchte.
Um in sich abgeschlossene Vorhaben wie einen Film oder ein Buch zu finanzieren, kann man durchaus eine einmalige Crowdfunding-Kampagne nutzen. Doch selbst dann stellt sich die Frage des Aufwands: Man muss ein professionelles Video erstellen, eine Marketing-Strategie erarbeiten, sich um die Dankeschöns kümmern und vieles mehr. In den seltensten Fällen lohnt sich das heute noch, auch wegen möglicher Anfängerfehler. Natürlich lernt man durch Fehlschläge hinzu, aber das kann man in der Zeit auch an anderer Stelle.
Nach wie vor scheitern die meisten Kampagnen. Das ist oft nicht sichtbar, weil Plattformen wie Startnext nur auf die erfolgreich abgeschlossenen Projekte verlinken.
JOURNAL: Was sind denn vermeidbare Fehler?
Höly: Viele planen zu wenig Zeit ein, um die Kampagne vorzubereiten, durchzuführen und abzuwickeln. Als Faustformel sollte man das Doppelte der zunächst geschätzten Zeit veranschlagen, das ist realistischer. Merkt man bereits an diesem Punkt, dass man sich den Aufwand nicht leisten kann, sollte man die Finger vom Crowdfunding lassen.
Meine erste Kampagne wollte ich in maximal sechs Wochen vorbereiten, am Ende waren es drei Monate. Sie lief mit 60 Tagen auch zu lange, maximal 40 Tage haben sich heute als optimale Zeitspanne herauskristallisiert. Das meiste passiert kurz nach dem Start und vor dem Ende. Gegen Ende sollte mindestens die Hälfte der Summe schon im Topf sein, sonst glauben viele potenzielle Förderer, ihr Beitrag wäre sowieso nicht mehr ausschlaggebend, und unterstützen das Vorhaben nicht.
Zudem muss man ein finanzielles Ziel definieren, welches das Projekt wesentlich voranbringt und auch die Umsatzsteuer und die Kosten für die Dankeschöns und deren Versand abdeckt.
JOURNAL: In Deutschland genießt Startnext als führende Crowdfunding-Plattform hohes Vertrauen. Das Geld wird von den Unterstützerinnen und Unterstützern erst dann eingezogen, wenn die Projekte erfolgreich sind. Auch Ihre Kampagnen liefen dort. Würden Sie Startnext heute noch empfehlen?
Höly: Als Crowdfunding in Deutschland neu war, haben große Plattformen wie Startnext Vertrauen geschaffen. Aus heutiger Sicht rate ich dazu, die Kampagne auf der eigenen Internetseite durchzuführen. Man ist deutlich flexibler in der Gestaltung und kann sie bei Bedarf einfach verlängern. Eine große Schwäche von Startnext ist, dass man nicht mittels PayPal überweisen kann, was heute eine übliche Art ist, im Internet zu zahlen. Etliche potenzielle Förderer unterstützen daher eine Kampagne nicht.
Wenn ich über meine eigene Internetseite agiere, können Interessenten sich dort für den Newsletter anmelden oder die Social-Media-Kanäle abonnieren. Jeder, der meine Kampagne teilt, schickt weitere Besucher, und jeder Link ist wiederum für das Ranking bei Google interessant. Natürlich gibt es technische Hürden und rechtliche Fallstricke, die sollte man mit echtem Pioniergeist allerdings überwinden können. Das zeigt potenziellen Unterstüzerinnen und Unterstützern, dass die Initiatoren es ernst meinen.
Sehr gut hat dies zum Beispiel die News-App Buzzard (www.buzzard.org) gemacht. Man kann aber auch alles anders machen und am Ende des Tages dennoch erfolgreich sein.
JOURNAL: Natürlich gibt es kein Patentrezept für den Erfolg, sonst würden ja keine Kampagnen scheitern. Worauf ist denn trotzdem unbedingt zu achten?
Höly: In den ersten 24 Stunden einen schwungvollen Start hinzulegen ist das Wichtigste. Bleibt der aus, ist die Kampagne von Beginn an eine zähe Wüstenwanderung. Dementsprechend sollte man das eigene Netzwerk vorher aktivieren, sodass die Leute schon mit den Hufen scharren. Man sollte nie dem Glauben verfallen, da draußen gäbe es wildfremde Menschen, die nur darauf warten, einem ihr Geld zu geben.
Ein gutes Video begünstigt den Erfolg, ist aber kein Garant. Die Leidenschaft der Initiatoren für ihr Projekt muss spürbar sein, damit der Funke überspringen kann.
JOURNAL: Sie hatten frisch Ihr Studium abgeschlossen und waren als Journalist vollkommen unbekannt. Crowdfunding steckte 2013 bei uns noch in den Kinderschuhen. Wie haben Sie Ihre erste Kampagne zum Erfolg geführt, die damals zumindest in Deutschland die größte für ein journalistisches Projekt war?
Höly: (überlegt ein paar Sekunden) Das war mehr Gnade als mein eigener Verdienst. Das Pitch-Video war wirklich, wirklich schlecht. Aber man spürte meine Leidenschaft. Print lebt, davon bin ich seit jeher überzeugt, auch wenn es damals auf sämtlichen Konferenzen totgesagt wurde. Shift war als monothematisches Magazin ein zeitgemäßes Printprodukt für eine junge Zielgruppe und zeigte, dass Print sehr wohl funktionieren kann.
JOURNAL: Ein großes Medieninteresse konnten Sie nach Ihrer ersten Kampagne verbuchen. War die zweite ein Selbstläufer?
Höly: Könnte man durchaus meinen, aber nein. Schließlich wartet auch niemand auf mich, damit er mir sein Geld geben kann. Ich wusste nicht, ob die Unterstützer der ersten Kampagne noch einmal aktiv werden. Sie hätten sich ja daran stören können, dass ich für Shift eine zweite Kampagne starte. Mein Vorhaben hätte ebenso krachend scheitern können.
JOURNAL: Bei Ihrer dritten Kampagne 2018 hatten Sie das erste Fundingziel erreicht, das Geld hätte für mindestens zwei der vier geplanten Ausgaben gereicht. Trotzdem haben Sie sie nachträglich scheitern lassen. Was hat Sie zu diesem ungewöhnlichen Schritt bewogen?
Höly: Nicht nur das Erreichen des finanziellen Ziels ist für mich ein wichtiger Faktor, sondern auch die Anzahl der Unterstützerinnen und Unterstützer. Aber nicht nach der reinen Logik „je mehr desto besser“. Lieber weniger und dafür engagierte Menschen, die wiederum authentisch andere überzeugen. Am Ende muss man ehrlich zu sich selbst sein: Habe ich eine echte Dynamik ausgelöst oder mich nur mit Ach und Krach über die Ziellinie geschleppt? Die Kampagne habe ich nicht als Werbemaßnahme gesehen, sondern als Mandat, weitere Ausgaben zu produzieren. Trotz der bereits fünf veröffentlichten Ausgaben und obwohl unser Netzwerk gewachsen ist, war das Interesse an Shift zurückgegangen. Wer an diesem Punkt nicht ehrlich ist, dem fehlt auch die Leichtigkeit, sein Herzensprojekt in der gewohnten Qualität zu produzieren. Ich habe gespürt, dass meine Energie potenziell fehlgeleitet wäre, und das wollte ich vermeiden.
Deswegen hatte ich erstmals in der Geschichte von Startnext nachträglich gebeten, das Fundingziel zu erhöhen, damit die Kampagne offiziell gescheitert ist und kein Geld bei den Unterstützern eingezogen wird.
JOURNAL: Angenommen, Sie haben ein geeignetes Projekt für eine einmalige Crowdfunding-Kampagne. Würden Sie sich mit Ihrem heutigen Wissen noch einmal darauf einlassen?
Höly: (lacht) Nach jeder Kampagne habe ich gesagt: nie wieder – und das würde ich auch jetzt antworten. Manchmal würde ich es gerne noch einmal versuchen, aber meine Frau meint, ich soll es lassen. Schlüssiger wäre für mich, auf das Modell von Steady zu setzen, um stetige Einnahmen zu generieren und eine dauerhafte Beziehung zu den Unterstützern aufzubauen. Da habe ich grundsätzlich Lust drauf.||
Die Fragen stellte Jens Brehl.
Das Interview erschien zuerst in ähnlicher Fassung im Newsletter des DJV Hessen (www.djv-hessen.de).
Einmal oder regelmäßig?
Beim klassischen Crowdfunding (etwa bei Startnext und auf Kickstarter) sammeln Initiatorinnen und Initiatoren in einer einmaligen Kampagne eine bestimmte Summe ein und bieten im Gegenzug sogenannte Dankeschöns. Wird das vorher definierte Ziel nicht erreicht, gibt es getreu dem Motto „alles oder nichts“ auch kein Geld.
Ein anderes Modell verfolgen Plattformen wie Patreon und Steady: Hier können Unterstützerinnen und Unterstützer meist aus mehreren festgelegten Monatsbeiträgen wählen und schließen damit eine Art Abo ab, welches sie jederzeit beenden können. Oft gibt es im Gegenzug einen Zugang zu Sonder- und Bonus-Inhalten. Das Abo lässt sich wahlweise auch als harte Paywall einsetzen oder einfach als Weg, ein Projekt ohne zusätzliche Gegenleistung finanziell zu unterstützen.||
www.kickstarter.com
www. startnext.com
www.patreon.com/europe
www.steadyhq.com/de
Ein Beitrag aus JOURNAL 5/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2020.