Kirsten Lorek packt das Ansteckmikro aus und desinfiziert es. Dann legt sie es für den Gesprächspartner ab. Er nimmt es sich – schön mit Sicherheitsabstand. Sie unterstützt nur verbal beim Anlegen. Das ist die neue Routine der selbstdrehenden Reporterin im WDR-Studio Münster. Natürlich koste das alles etwas mehr Zeit, aber die Interviewpartner seien sehr verständnisvoll und sogar dankbar für diese Vorsicht, sagt die freie Journalistin.
Der Umgangston mit professionellen Kontakten sei unter Corona sogar persönlicher geworden: „Das ist ja das erste Mal, dass wirkliche alle gleichzeitig die gleichen Probleme haben. Da ist ein salopper Gesprächseinstieg à la ‚Erwische ich Sie im Büro oder im Homeoffice‘ schon mal erlaubt.“
Weniger Distanz trotz Abstandsregel
Niemand müsse derzeit erklären, warum ein Kind stört – das ist auf beiden Seiten des Telefons so, freut sich Kirsten Lorek, selbst Mutter von zwei Söhnen: „Die Distanz ist weg – trotz Abstandsregel.“ Auch in der Berichterstattung – denn als Nutzerin schätzt sie es, dass viele Kolleginnen und Kollegen komplexe Vorgänge derzeit viel intensiver erklären: „Ich erfahre viel mehr über Einzelschicksale in Bezug auf ein bundesweit relevantes Thema – und das finde ich gut. Das darf gerne so bleiben.“
Jörg Homering-Elsner von der Münsterländischen Volkszeitung in Rheine ist noch unentschlossen, wie er die Entwicklungen unter Corona finden soll: „Ich habe ewig nicht mehr so viel selbst geschrieben wie in den letzten Wochen“, stellt der Lokalredakteur fest. Wenn keine Termine mehr stattfinden, müssen andere Themen her. Und die Termine, die stattfinden, sind selbst schon wieder eine Geschichte – so wie die Ratssitzung in der Turnhalle mit Abstandsregel und Maskenpflicht.
Selbst Geschichten schreiben, das findet Homering-Elsner schon gut. Aber der Lokaljournalist sieht auch, dass mit den Terminen mehr wegfällt als ein paar Zeilen in der Zeitung: „All‘ die Vereine und Veranstaltungen, das ist ja letztlich das Leben in so einer Stadt. Am Fehlen der Termine spüre ich, was Corona alles zum Erliegen bringt.“
Jenseits der Zeit geht etwas verloren
Außerdem fehlt ihm das menschliche Miteinander beruflich besonders. Homering-Elsner gehört zur „Remote“-Hälfte seiner Redaktion und sieht seine Kolleginnen und Kollegen nur noch per Video. Die technische Umstellung auf den Distanzarbeitsplatz lief reibungsloser als angenommen. Doch ganz gleich, wie gut diese Seite funktioniert: „So eine Zeitung kommt ja im Miteinander zustande. Konferenzen im echten Leben sind direkter. Man kriegt die Reaktionen – auch die non-verbalen – einfach besser mit. Klar, online geht es manchmal schneller, aber ich habe das Gefühl, dafür geht anderes verloren als Zeit.“
Stefan Prott ist eindeutig ein Befürworter digitaler Arbeitsweisen, und das nicht erst seit der Kontaktsperre. Der Chef der RDN-Agentur in Recklinghausen ist extrem erleichtert. Ohne Digitalisierungsschub im Vorjahr hätte das Virus seinem Verlag (in dem auch das JOURNAL erscheint) massiv geschadet. Das größte Projekt der gesamten Unternehmensgeschichte stand ins Haus – und dann kam Corona: Acht Stadtmagazine mit einer Gesamtauflage von 125.000 Exemplaren sollten an den Start gebracht werden. 20 freie und feste Journalistinnen und Journalisten und fünf Grafiker mussten dafür zusammenarbeiten – zum allerersten Mal und dann gleich dezentral. „Wir hatten nur eine Option – es musste klappen.“
Dass die Agentur sich bereits 2019 einen Modernisierungsprozess verordnet und – gefördert vom Land (siehe Kasten „Digitalisiert Euch!“) – die Zusammenarbeit neu strukturiert hatte, ist nun von vitaler Wichtigkeit: „So waren die Prozesse der Zusammenarbeit wenigstens schon eingeübt, als wir von heute auf morgen komplett auf Homeoffice umstellen mussten.“
„Jetzt kann uns nichts mehr schocken!“
In zwei Videokonferenzen täglich wird alles geregelt, dazwischen setzt RDN komplett auf Slack als Kommunikationstool: „Sich alles in Mails oder im schlimmsten Fall auf mehreren Plattformen zusammenzusuchen ist die Hölle. Das zu synchronisieren hat uns schon vor Corona enorm entlastet. So kam jetzt eigentlich ‚nur noch‘ das dezentrale Arbeiten in der Cloud hinzu.“ Stefan Prott ist ziemlich stolz – auf das Ergebnis und sein Team, das unter der Pandemie so eine Premiere hingelegt hat: „Jetzt kann uns nichts mehr schocken!“
Corona schockt auch Sascha Wandhöfer nicht, aber es strengt ihn an. Als Onlineredakteur und Moderator beim Lokalsender Radio Berg in Kürten gehört er zu dem Teil des Teams, der noch in den Sender kommt, also nicht auf sich allein gestellt im Homeoffice arbeitet. Aber auch die Atmosphäre in den halb leeren Redaktionsräumen hat wenig mit Alltag zu tun: „Wir halten die Abstandsregeln ein, senden mit offener Studiotür und reduzieren die direkten Kontakte auch vor Ort auf das Nötigste.“
Sich im Prinzip zu begegnen, als wenn von jedem eine Gefahr für den anderen ausgehe, findet er befremdlich. Und da sitzt man mit seinen Hörerinnen und Hörern im selben Boot: Informationen prasseln auf einen ein, wenig ist sicher, vieles ungewohnt. Natürlich kann man als Journalist mit einem permanenten Informationsfluss besser umgehen, weil es zum Beruf gehört.
Professionelle Distanz wahren
Worin aber auch Sascha Wandhöfer als Onlineredakteur, der die Facebookseite betreut, wenig Übung hat, ist der Umgang mit der Unsicherheit der anderen: „Mir ist aufgefallen, dass ich die vielen besorgten Fragen nicht so einfach nach Feierabend abhaken und darum schlechter abschalten konnte.“ Die professionelle Distanz zu wahren war schwerer, als die physische zu den Kollegen einzuhalten: „Auf einmal das Gefühl zu haben, ein so wichtiger Ansprechpartner für die Hörerinnen und Hörer zu sein, ist einerseits schön, aber das ist andererseits auch eine große Verantwortung, auf die ich mich nicht wirklich vorbereiten konnte.“
Verena Lammert kennt das Gefühl, Ratgeberin für Nutzerinnen und Nutzer zu sein. Sie ist Redaktionsleiterin des Instagram-Kanals Mädelsabende (allerdings auf dem Sprung in den Bereich digitale Innovation im WDR Newsroom) und die Erfinderin des ersten journalistischen Instagram-Angebots des WDR. Für sie und ihr Team ist intensive emotionale Communitypflege ein ganz normaler Bestandteil des Redaktionsalltags.
Zu Beginn der Coronakrise waren es daher eher organisatorische Probleme, die dem WDR-Insta-Team das Journalistenleben schwer machten. Ende Februar kam die Chefin aus dem Italien-Urlaub und musste direkt in Quarantäne. Aus dem Homeoffice passte Verena Lammert das Teamwork auf die neue Situation an. Dann die Frage: Welche Themen können wir jetzt noch bringen und welche nicht. „Wir haben so was wie Genitalverstümmelung geschoben, weil wir unsere Nutzer nicht mit so harten Themen konfrontieren wollten in der Krise.“ Doch es kam Protest: „Unsere Community hat unter Corona den Wunsch nach Normalität. Ihr Argument: Euer Angebot ist unser Anker in Trouble-Times.“
Genauer prüfen, wenn User Inhalte liefern
Blieben die praktischen Fragen: Dreh-Reisen waren plötzlich keine Option mehr. „Wir nutzen mehr user generated content – vor allem die O-Ton-Passagen bekamen wir von unseren Interviewpartnern. Da müssen Recherche und Vorgespräche noch gründlicher sein als sonst, um alles zu überprüfen.“
Dass die Chefin direkt zu Beginn der Coronakrise nur Remote arbeiten durfte, hat endlich die Erleichterungen für die Arbeit gebracht, auf die Verena Lammert lange gewartet hat – Homeoffice, Video-Konferenzen und bessere Redaktionssysteme. „Der WDR hat sehr schnell reagiert. Dafür bin ich dankbar.“ Jetzt hofft sie, diese neue Arbeitsumgebung in dem Umfang auch nach Corona so nutzen zu können, wie es dem Einzelnen gut tut: „Der Vorteil für mich als Teamleitung ist, dass ich im Homeoffice ungestörter und effizienter arbeiten kann. Und der Nachteil? Kein Gerät, kein Raum ist mehr privat.“ Eine klare Abgrenzung und eine gesunde Mischung zwischen Präsenz und Homeoffice hinzukriegen, das ist der Lernprozess, der noch vor Verena Lammert liegt.
Darin sieht auch Nicole Diekmann, ZDF-Mitarbeiterin im Hauptstadtstudio, die Herausforderung: „Wir müssen noch lernen, auch innerlich Feierabend zu machen im Homeoffice.“ Sie ist ebenfalls nur noch eine von drei Wochen im Studio, weil das Team in Gruppen aufgeteilt ist, die getrennt voneinander im wöchentlichen Wechsel verschiedene Aufgaben übernehmen, um einen Totalausfall zu vermeiden.
Auch Nicole Diekmann wünscht sich, dass nach der Krise vieles erhalten bleibt, was unter Corona für viele Journalistinnen und Journalisten seinen Anfang nahm. Die Digitalisierung sollte dort weiter vorangetrieben werden, wo sie sinnvoll ist.
Soziale Medien als Pulsmesser nutzen
Eins ihrer Lieblingsthemen dabei: Soziale Medien als Pulsmesser für die Stimmung in der Gesellschaft zu nutzen: „Wir sind noch lange nicht so schnell im Aufgreifen neuer Themen, wie wir sein könnten oder sollten. Der Ärger der Eltern kochte bei Twitter beispielsweise viel früher hoch, als das in der Berichterstattung der Fall war.“ Da müsse mehr Tempo her, womit sie ausdrücklich nicht das inflationäre Versenden von Eilmeldungen meint.
Weniger eindeutig steht sie Remote-Pressekonferenzen gegenüber. Die hätten Vor- und Nachteile, sagt die Politikberichterstatterin: Einerseits zerfasere das Ganze nicht so, weil Fragen thematisch gebündelt würden und alles disziplinierter ablaufe. Andererseits könne man nicht ‚mal eben‘ nachhaken, wenn die Frage nicht anständig beantwortet wurde. „Ob eine schriftlich gestellte Nachfrage weitergereicht wird, ist eine Frage der Zeit, aber auch der Auswahl des Pressesprechers.“
Was sie an Corona mit zunehmender Dauer der Krise ebenfalls bedenklich findet, ist die Übermacht des Themas. Es bestimmt die Hauptnachrichten und Sondersendungen: „Dabei sind die Kriege der Welt doch nicht vorbei. Und dass Julia Klöckner und ihr gesponsertes Event mit dem Promi-Koch keine größere Debatte ausgelöst haben, nachdem die Ministerin mit großer Nähe zur Wirtschaft nicht zum ersten Mal aufgefallen ist, kann eigentlich auch nicht sein.“
Corona offenbare da eine Verdrängungskraft wie sonst nur Fußballweltmeisterschaften – es passiere im Schatten des Virus nicht dauerhaft weniger in der Welt, nur in den Nachrichten. Darum findet Nicole Diekmann gut, dass die Themenpalette wieder breiter wird.
Weg vom Terminjournalismus
Auch Kristian van Bentems Themenpalette ist zur Zeit ziemlich eintönig. Der Betriebsrat bei den Westfälischen Nachrichten kommt unter Corona überhaupt nicht mehr zur journalistischen Arbeit – so sehr ist er damit beschäftigt, die Rahmenbedingungen für seine Kolleginnen und Kollegen klarzuziehen. Von denen weiß er aber und sieht es auch an den Produkten des eigenen Hauses, dass „wir durch Corona geschafft haben, was wir mit allen Projekten, die das in den letzten Jahren zum Ziel hatten, nie erreicht haben: Wir sind weg vom Terminjournalismus.“
Plötzlich stand wieder im Vordergrund, was van Bentem als eigentliche Aufgaben einer Lokalredaktion definiert: eigene Geschichten schreiben, über das Wesentliche berichten, Hintergründe aufdecken und Zusammenhänge erklären. Die Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen empfinde das als positiv. Durch die dünne Personaldecke in Redaktionen sei man in den vergangenen Jahren vom Gestalter zum Verwalter geworden. Jetzt, wo es keine Termine mehr gäbe, die man sortieren und delegieren müsse, hätten mehr Redakteurinnen und Redakteure die Zeitung wieder mit eigenen Inhalten und Ideen füllen können.
Das lief so lange, bis die Kurzarbeit kam. „Die hat diese Freiheit sofort wieder beschnitten“, beklagt van Bentem. Viele Kolleginnen und Kollegen sagen, dass sich bei ihnen die Themen stapeln, über die man berichten könnte oder müsste. Doch jetzt stopfe man nur noch Lücken. Diese Situation sei demotivierend und frustrierend.
Rat zu Homeoffice und Kurzarbeit
Ein FAQ zum Arbeiten aus dem Homeoffice gibt es auf der regelmäßig aktualisierten Corona-Sonderseite des DJV-NRW: djv-nrw.de/corona. Es kann sinnvoll sein, zu diesen Themen eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Dazu berät der DJV-NRW interessierte Betriebs- und Personalräte gerne. Für diese Zielgruppe veranstaltet er ein Onlineseminar am 19. Juni./cbl
Das bittere Gefühl, Chancen zu verspielen
Besonders schmerzhaft ist dabei das Gefühl, Chancen zu verspielen, findet van Bentem. So schlimm Corona sei, es wäre die Gelegenheit zu zeigen, warum gerade Lokalmedien wichtig sind und welche Rolle sie spielen könnten. Man erreiche derzeit Menschen, um deren Aufmerksamkeit man lange erfolglos gekämpft habe – viele junge Leute läsen auf einmal Zeitung. Menschen meldeten sich mit Fragen und Themenanregungen, träten in intensiven Austausch mit der Redaktion. Wer sich richtig präsentiere, könne gestärkt aus der Krise kommen, meint van Bentem.
Doch die Aufbruchsstimmung werde ausgebremst. So entstehe das Gefühl, dass man sich zukunftsfähig aufstellen könne, aber nicht dürfe. Man bekäme frei Haus die Blaupause für die Zeitung der Zukunft und verpasse es, auf den Zug aufzuspringen, wie dies vor 20 Jahren mit Online passiert sei. Lieber setzten die Verleger auf den kurzfristigen – legitimen – Mitnahmeeffekt, durch Kurzarbeit zu sparen. Das enttäusche viele in der Belegschaft.
Diskussion in der Wissenschaft
Auch der langjährige Wissenschaftsjournalist und jetzige Journalismusforscher Holger Wormer ist enttäuscht – und zwar von der pauschalen Medienkritik einiger Kommunikationswissenschaftler. „Ich kann es wirklich nicht nachvollziehen, wie ein Wissenschaftler dazu kommt, sich – in Teilen zu Recht – über mangelnde Differenzierung und Detailgenauigkeit beklagen zu wollen, und dann einen Satz mit ‚die Medien‘ beginnt.“ Damit tue man genau das, was man kritisiere, und verspiele Glaubwürdigkeit.
Schlimmer noch, man bediene die Vorbehalte jener, die Wissenschaft und Medien gleichermaßen ablehnen: Das Ziel von Populisten sei ja, das Vertrauen in Forschung und Journalismus zu zersetzen, um in einer von gesicherten Erkenntnissen „befreiten“ Welt leichtes Spiel zu haben.
Medienkritik gerade von Expertinnen und Experten werde hier ungewollt zur Steilvorlage: „Da sollte man bei allem verständlichen Ärger über bestimmte Mechanismen doch mal einen Moment nachdenken, in wessen Horn man stößt.“ Holger Wormer findet es erschreckend, wie seriöse Forscher mit ihrer Medienschelte in populistischen Zusammenhängen als Kronzeugen für Lügenpresse-Vorwürfe genutzt würden.
Medienkritik als intellektuelle Abscheu
Doch nicht nur das – auch die Arbeitsweise der eigenen wissenschaftlichen Profession in der Coronakrise verwundert Holger Wormer. Schon immer fand er es wenig nachvollziehbar, „wie einige Kolleginnen und Kollegen aus gesicherter Distanz mit teilweise intellektueller Geringschätzung auf ihren Forschungsgegenstand blicken“. Nach seiner Beobachtung wird in einer Ausnahmesituation wie Corona eins deutlich: Diese Art der Medienkritik bringt niemanden weiter – weder Journalisten noch Nutzer.
Wenn der wesentliche Kontakt zwischen Journalisten und Kommunikaionswissenschaftlern öffentliche Kritik nach oder in einer Krise ist, entstehe in Redaktionen eine Wagenburgmentalität. Zugleich würden Nutzerinnen und Nutzer mit ihren Unsicherheiten allein gelassen: „Einzufordern, der Journalismus möge Lösungsansätze anbieten, und sich selbst mit ganz konkreten Verbesserungsvorschlägen zurückzuhalten ist schon sehr bequem.“
Vom Besserwisser zum Bessermacher
Wie es konstruktiver und zielführender ginge, verdeutlicht Holger Wormer an einem Beispiel. Wenn etwa Zahlen in einer Grafik schlecht umgesetzt seien und das Schaubild wenig zum Verständnis beitrage, könnte man eine solche berechtigte Einzelkritik zum Anlass nehmen, mit der Redaktion in Kontakt zu treten und nicht nur auf den Mangel hinzuweisen, sondern gleichzeitig eine Alternative aufzuzeigen. Man mache so nicht nur den Kern der Kritik nachvollziehbar, sondern zeige zudem praktische Kompetenz. Eine Medien – und Kommunikationswissenschaft, die sich vom Besserwisser zum Bessermacher wandelt, hält er für sinnvoller – und auch für eine, die von Journalistinnen und Journalisten eher wahr- und ernstgenommen würde.
Journalisten hätten ja in der aktuellen Situation genug eigene Probleme und wären für Hilfe mitunter durchaus dankbar. Auch bei der Suche auf die Antwort nach der Frage: Wie kommt der Journalismus raus aus der Tretmühle von Gesprächswertigkeit als Geschäftsmodell? Die Coronakrise habe gezeigt, dass in so einer ernsthaften Lage auch jüngere Menschen altbekannte Medienmarken aufsuchen. Diesen Trend zu verstetigen und in Finanzierungsmodelle zu überführen, sei die schwere Aufgabe, die vor Medienmanagern liege.
Auch Marlis Prinzing, früher freie Journalistin und nun Professorin an der Macromedia Hochschule in Köln, sieht hier das Dilemma. Was haben Medienmarken und Journalistinnen und Journalisten allein von hohen Zustimmungswerten, wenn es weiterhin an der Einsicht mangelt, dass Information nicht zum Nulltarif zu haben ist? Das Coronavirus hat an vielen Stellen der Gesellschaft wie ein Spotlight erhellt, was nicht funktioniert. Es hat den privaten Medien zumindest bezogen auf den Informationsjournalismus erneut gezeigt, dass ihr Geschäftsmodell weder zukunftsfähig noch krisensicher ist. Dabei gelte: „So wie Ärzte für den Erhalt der Gesundheit der Bevölkerung unverzichtbar sind, sind es Journalisten für den gesunden gesellschaftlichen Diskurs.“
Marlis Prinzing wünscht sich darum, dass bei der Debatte um die Corona-Berichterstattung am Ende nicht wieder nur hängenbleibt, was Journalistinnen und Journalisten wo hätten besser machen können. Wichtig sei vor allem, deutlich zu machen, welche Voraussetzungen es braucht, damit sie ihren Job auch erledigen können. Es sei für Journalistinnen und Journalisten zwar wichtig, dass sie ihre Systemrelevanz nun quasi schriftlich hätten. Aber diese Bedeutung und Wertschätzung müsse begleitet sein von der Einsicht, dass Information nicht zum Nulltarif zu haben sei – beim Publikum und im Management der Medienhäuser. Redaktionen und freie Journalistinnen und Journalisten nicht zunehmend prekären Arbeitsverhältnissen auszusetzen sei auch eine Frage der (Unternehmens-)Ethik.
Dass die Arbeitsbedingungen und die Qualität der Ergebnisse im Journalismus untrennbar zusammenhängen, ist für Marlis Prinzing eine Binsenweisheit und nicht erst seit Corona klar. Ihre Analyse der Berichterstattung fällt differenziert und ambivalent aus. Journalistinnen und Journalisten hätten zunächst wie alle Menschen mit dieser unbekannten Situation zurechtkommen müssen – mental, aber auch praktisch. Ihre bisherige Art zu arbeiten ist durch das Virus massiv beeinträchtigt. Hinzu kamen in vielen Medienhäusern und vor allem bei Freien sehr schnell Einnahmeverluste.
Mehrfache Unsicherheit
Diesen Unsicherheiten, die Journalistinnen und Journalisten selbst erlebten, trat die Unsicherheit über den Berichtsgegenstand hinzu. Es musste erklärt werden, dass es viele offene Fragen gab, auch auf der Seite von Experten. Vieles, das man an einem Tag als richtig annahm, war dann oft zwei Tage später wieder ganz anders – und das auch noch unter Dauerbeobachtung eines in Teilen skeptischen Publikums, das so groß war wie lange nicht.
Marlis Prinzing vertritt seit Jahren einen hohen Anspruch der Gesellschaft an Informationsmedien. Entscheidend sei der Zugang zu Informationen, die nötig sind, um sich eine Meinung zu gesellschaftsrelevanten Themen zu bilden. Auch im Laufe der Coronakrise wurden aber immer wieder Stimmen laut, die wichtigen Artikel sollten kostenfrei verfügbar sein.
Hier müsse sich endlich etwas tun. Es brauche eine neue Medienpolitik mit Ideen für eine Finanzierung, die Unabhängigkeit und Vielfalt gleichermaßen sicherstelle, zum Beispiel über einen Solidarbeitrag für Informationsjournalismus. Die Erosion alter Geschäftsmodelle dürfe nicht mehr als ein Problem allein für Medienmacher angesehen werden. Politiker sollten zudem nicht immer wieder der Versuchung erliegen, mit plumper Medienschelte populistisch zu punkten.
Selbst verstehen, was man erklärt
So ganz ohne Forderung lässt sie „die Journalisten“ dann aber doch nicht davonkommen. Wenn man komplexe Themen wie eine Pandemie oder Erderwärmung verständlich nahebringen wolle, sei es wichtig, die Logik der Wissenschaft zu durchdringen und zu vermitteln: dass hier immer nur von relativen Gewissheiten ausgegangen wird.
In der Coronakrise muss die Information durch das Dreieck der Wirk- und Denkweisen von Politik, Forschung und Medien zum Publikum kommen. Journalistinnen und Journalisten müssten viel mehr erklären, wer was warum und wie macht. Dazu gehört für Marlis Prinzing auch eine Ausgewogenheit, die bedeutet, dass zum Beispiel einem Virologen, der eine bestimmte Auffassung vertritt, nicht ein Pandemie-Leugner gegenübergestellt wird, sondern ein Virologe, der eine andere Auffassung vertritt (siehe dazu auch „Mehr als nackte Zahlen“, Interview mit Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt).
Hier komme aber auch anderen Wissenschaftskommunikatoren – also Forschern, Sprechern und Pressestellenmitarbeitern – eine besondere Verantwortung zu, meint Holger Wormer: „Zu viele sind viel zu institutszentriert.“ Die Wissenschaft müsse an sich stärker den Anspruch stellen, Diskurs und Debatte in der Demokratie nicht nur dann zu stützen, wenn es ein aktuelles Projekt oder einen neuen Professor zu featuren gilt.
Beeilen mit dem Innehalten
Viele gute Ansätze, doch die Pandemie ist noch nicht vorbei, während uns die Normalität schneller einholt, als ein Impfstoff gefunden ist. Mit dem Innehalten müssen wir uns beeilen, sonst wird es wieder nichts mit dem Aus-der-Krise-Lernen. Ehe man sich versieht, geht es weiter wie vor der Viruskrise: „Hygienedemos“ bestimmen wie weiland Pegida trotz Minderheitenstatus die Berichterstattung, weil sie „gesprächswertig“ sind und Aufmerksamkeit generieren. Die Entscheider in Verlagshäusern glauben selbst nicht an die Zeitung der Zukunft, und Politikerinnen und Politiker wetteifern lieber wieder mit tagesaktueller Taktik als überlegter Strategie um die Gunst der Wähler. Und die Journalistinnen und Journalisten? Sie berichten darüber…||
Digitalisiert euch!
Förderprogramme helfen kleinen Unternehmen, krisenfest zu werden
Das Programm „Unternehmenswert Mensch plus“ ermöglicht kleinen Unternehmen (unter 100 Mitarbeitern) bis zu zehn Tage Coaching zur Entwicklung digitaler Prozesse und Strukturen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erarbeiten die Lösungen gemeinsam im Team, anstatt vom Chef vorgefertigte Strukturen vorgesetzt zu bekommen. Das Ganze ist unkompliziert zu beantragen. Dafür gibt es 80 Prozent Förderung für die Beratung bei einem maximalen Tagessatz von 1.000 Euro, in Summe also bis zu 8.000 Euro Zuschuss, um einen Coach zu bezahlen.
Alles weitere über das Programm gibt es hier: www.unternehmens-wert-mensch.de/startseite/
Im zweiten Schritt wird das Programm „go digital“ interessant. Es fördert die Leistung zum Beispiel von IT-Beratern mit bis zu 50 Prozent. Aus einer neuen Arbeitsweise ergeben sich schnell neue Herausforderungen an die Infrastruktur eines Betriebes und somit Investitionen in neue Technik – und hier ist das Teuerste nicht die Hardware, sondern die Dienstleistung für Konzeption, Einrichtung und Migration der Daten, damit die Modernisierung auch gelingt.
Wie und wo es dieses Geld gibt: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Digitale-Welt/foerderprogramm-go-digital.html/AH
Ein Beitrag aus JOURNAL3/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2020.