Nachrichtenkompetenz und Medienmündigkeit gelten als unverzichtbar, um sich in der heutigen Medienwelt zu bewegen, sie sind Schlüsselkompetenzen für die Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft (siehe auch „Vertrauen zurückgewinnen“). Gerade junge Menschen sollen früh lernen, wie sie Informationen und Quellen auf Glaubwürdigkeit überprüfen können. Da ist es gut zu hören, dass Lehrerinnen und Lehrer an deutschen Schulen großen Wert auf die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz legen, wie eine im Frühjahr 2020 erhobene Studie ergab (siehe Kasten „Die wichtigsten Lernziele“).
Defizite in Medienkunde
Erschreckend ist allerdings ein weiterer Befund der Studie, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse mit mehr als 500 Lehrkräften durchgeführt hat: So meinen 40 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer, Medien hätten die Aufgabe, die Bevölkerung für bestimmte Anliegen zu mobilisieren, und fast jede fünfte Lehrkraft (19 Prozent) glaubt, dass klassische Medien wichtige Nachrichten verschweigen. Im Westen haben 22 Prozent der Lehrkräfte kein großes Vertrauen in die Medien, im Osten fehlt das Vertrauen sogar bei rund der Hälfte.
Auch das Informationsverhalten der Lehrerinnen und Lehrer selbst zeigt Lücken: So verfolgen zwar 80 Prozent das aktuelle Nachrichtengeschehen regelmäßig in den Medien. Aber 11 Prozent – eher jüngere als ältere Lehrkräfte – verlassen sich darauf, über soziale Netzwerke oder Push-Nachrichten auf dem Handy mitzubekommen, wenn etwas Wichtiges passiert.
Nach Überzeugung von Ilka Hoffmann, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), haben die meisten Lehrkräfte die Kompetenz, „Medienquellen einzuschätzen und zu bewerten“. Erforderlich seien aber mehr Fortbildungen zu didaktischen Konzepten für den Unterricht: Wo finde ich didaktische Materialien oder wie kann ich diese selbst erstellen? Wie können entsprechende Projekte etwa in den Deutschunterricht integriert und kompetenzorientiert umgesetzt werden? Auch die Produktion von Berichten und Reportagen nennt sie als wichtigen Unterrichtsinhalt – vom Recherchieren und Aufbereiten von Informationen bis zur technischen Produktion von Medieninhalten. „Video- und Audioproduktionen gewinnen vor allem in der jüngeren Generation immer mehr an Bedeutung. Deshalb ist auch die digitale Medienkompetenz für Lehrkräfte wichtig“, sagt Hoffmann.
Neben diesem didaktischen Bedarf sieht die Gewerkschafterin in der Lehrerschaft auch das Bedürfnis, in Medienkunde besser aus- und fortgebildet zu werden. „Eine wichtige Frage lautet: Wie kann ich Fakten überprüfen? Angesichts der Fülle der Informationen wird es immer schwieriger, diese zu bewerten und einzuordnen. Hier brauchen die Lehrkräfte gute Instrumente für ihre Arbeit.“
Dafür sei ein vertiefter Einblick in die konkrete journalistische Arbeit hilfreich, ebenso das Wissen darum, wie stark journalistische Arbeit sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Dabei bezieht sich Ilka Hoffmann auf Entwicklungen wie die fortschreitenden Konzentrationsprozesse, den Stellenabbau in den Redaktionen und das Outsourcen redaktioneller Arbeit sowie den zunehmendem Druck auf Journalistinnen und Journalisten.
Wie gut von schlecht trennen?
Dass der damit verbundene Qualitätsverlust in der Berichterstattung auch vor den Leit- und Qualitätsmedien nicht Halt macht, bedeute für den Unterricht eine zusätzliche Herausforderung, macht Ilka Hoffmann deutlich. So werde es beispielsweise bedeutend schwieriger, „die Unterschiede zwischen qualitativ gutem Journalismus und anderen Texten, die veröffentlicht werden, herauszuarbeiten“. Dabei sieht sie zugleich, dass das Thema Qualität journalistischer Arbeit auch „Fragen der demokratischen Grundlagen dieser Gesellschaft und deren Funktionsmechanismen“ berührt.
Die Dringlichkeit gut ausgebildeter Lehrkräfte wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass die Schulung von Nachrichtenkompetenz nach Einschätzung von Fachleuten früh anfangen muss. Mit ihrem Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ und dem „Kompetenzorientierten Konzept für die schulische Medienbildung“ hat die Kultusministerkonferenz (KMK) Ende 2016 die Anforderungen an die Vermittlung von Medienkompetenz in Schulen formuliert. Eine Empfehlung der KMK: Die Lehrenden sollen auf außerschulische Kooperationspartner setzen, insbesondere Medienanbieter und Bildungseinrichtungen zur Vermittlung von Medienkompetenz.
Das Land NRW hat die bundesweiten Bildungsstandards mit dem Medienkompetenzrahmen NRW umgesetzt. Unter insgesamt sechs Teilbereichen (siehe Grafik) stehen zwei in engerer Verbindung mit Informations- und Nachrichtenkompetenz sowie mit Medienmündigkeit: Bei „Informieren und Recherchieren“ geht es um die sinnvolle und zielgerichtete Auswahl von Quellen sowie die kritische Bewertung und Nutzung von Informationen. Der Teilbereich „Analysieren und Reflektieren“ soll das Wissen um die Vielfalt der Medien vermitteln, aber auch die kritische Auseinandersetzung mit Medienangeboten und dem eigenen Medienverhalten. Wie von Lehrkräften gewünscht, bietet eine Datenbank Unterrichtsideen für alle Fächer sowie für außerschulische Projekte (medienkompetenzrahmen.nrw).
Die wichtigsten Lernziele
Im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse hatte das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) gut 500 Lehrkräfte an Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien befragt, die in den Klassen 7 bis 10 Deutsch oder ein sozialwissenschaftliches Fach wie Sozialkunde, Gemeinschaftskunde oder Politik unterrichten. Die Befragten halten die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz in der Schule mehrheitlich für „besonders wichtig“ oder „auch noch wichtig“ (55 bzw. 40 Prozent). Jeweils rund die Hälfte empfand es als besonders wichtig, die Bedeutung von Nachrichtenkompetenz und die Bedeutung von Medien für unser politisches System zu vermitteln. Seltener gilt die Vermittlung von Hintergründen und Zusammenhängen, etwa über mögliche Einflussnahme auf die Entstehung von Nachrichten oder die politische Ausrichtung verschiedener Nachrichtenquellen, als besonders wichtiges Lernziel. Nur 22 bzw. 12 Prozent halten es für besonders wichtig, dass Schüler die Veränderungen der Medienlandschaft und deren Folgen verstehen oder dass sie lernen, selbst Nachrichten zu verfassen./cbl
Medienpädagogische Angebote
Es gilt also einerseits, Kinder und Jugendliche im Umgang mit Nachrichten und Quellen fit zu machen. Anderseits müssen schon Schülerinnen und Schüler wissen, was zu beachten ist, wenn sie selbst Texte, Fotos oder Videos veröffentlichen. Wer in sozialen Medien postet, muss wissen, was Journalistinnen und Journalisten in der Ausbildung gelernt haben: Wer muss mir Auskunft geben? Was darf ich veröffentlichen? Wie muss ich die Privatsphäre schützen? Wie überprüfe ich Informationen?
Zu den zahlreichen entsprechenden Angeboten in NRW gehört der Tag der Medienkompetenz (TdM), zu dem das Land NRW in der achten Ausgabe am 28. September eingeladen hatte – wegen Corona komplett digital im Live-Stream aus dem Landtag. Schwerpunkt: Digitalisierung und die Folgen für die Gesellschaft. Als Ableger versammelt das Projekt Medienkompetenz vor Ort vielfältige Projekte und Einrichtungen, die sich auf unterschiedlichste Weise mit dem Thema befassen.
Auch die Landesanstalt für Medien NRW vermittelt Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern Kompetenzen im Umgang mit Medien. Bei „klicksafe – bewusst durch den digitalen Alltag“ lernen Eltern, Lehrkräfte oder Multiplikatoren beispielsweise, wie sie Jugendliche unterstützen, das Internet sicher, kompetent und selbstbestimmt zu nutzen. Das Schulprojekt „Medienscouts NRW“ qualifiziert Jugendliche, um ihre Mitschülerinnen und Mitschülern in Fragen zu Themen wie Cybermobbing, Sexting, Datenschutz oder Urheberrecht zu beraten.
Um sich ihr Publikum langfristig zu erhalten, machen auch die Medienhäuser Angebote zu Nachrichtenkompetenz und Medienmündigkeit und bieten sich deswegen als Kooperationspartner für die Schulen an. So bündelt der WDR unter dem Titel „Fit für die Medienwelt“ zahlreiche Angebote für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen und gibt dabei zugleich Einblick in die eigene Arbeit. Projekte wie „KiRaKa kommt!“ bieten Schulklassen die Möglichkeit, das Medienmachen selbst auszuprobieren. Auf der Seite www.schlauer.wdr.de können Schulen und Lehrkräfte kostenfrei umfangreiches Unterrichtsmaterial herunterladen.
Besonders lange schon engagieren sich Tageszeitungen für die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz. Zwei Drittel der deutschen Verlage bieten laut BDZV Projekte für junge Zielgruppen an. Wegen der Vielfalt an kleinen und mittelständischen Zeitungen gibt es in Deutschland viele unterschiedliche Projekte, darunter etwa seit 1979 das Projekt „Zeitung in der Schule“.
Anders als in Ländern wie etwa Frankreich gibt es allerdings keine bundesweiten Angebote. „Es hängt also vom Engagement der einzelnen Verlage ab, etwas für die junge Zielgruppe zu tun“, sagt Anja Pasquay, Sprecherin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Allen Initiativen gemeinsam ist, dass sie Kindern und Jugendlichen, die im Elternhaus keinen Zugriff auf Zeitungen haben, den Zugang zum Medium ermöglichen sollen – und zwar gedruckt, online und mobil.
„Wenn wir uns darauf einigen, dass es ‚die Jugend‘ nicht gibt, sondern Jugendliche und junge Leute in viele unterschiedliche Gruppen zerfallen, dann halte ich es trotzdem für sehr unwahrscheinlich, heute ganz normale 15-Jährige mit einer gedruckten Zeitung zu überzeugen. Die nutzen das Smartphone zur Bewältigung ihres Alltags“, meint Pasquay. Deshalb gehe es heute nicht mehr darum, sie zum Lesen gedruckter Zeitungen zu bringen, sondern für das Produkt Zeitung insgesamt zu gewinnen. „Wir müssen die Menschen überzeugen, dass es für ihr Leben nützlich ist, verlässliche Informationen mit guten Quellen zu nutzen.“
„Verständlich und cool rüberkommen“
Dass die Jugend in der veränderten Medienwelt von heute Nachrichten nicht mehr in der Lokalzeitung sucht, betont auch Anke Vehmeier, Leiterin des Lokaljournalistenprogramms der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). „Unsere Intention muss es aber sein, denen eine relevante Marke zu schaffen, die verständlich und cool rüberkommt. Dafür müssen wir die bisherigen Angebote für die junge Zielgruppe extrem neu und startup-mäßig ausbauen.“
Für Print werde man junge Menschen jedenfalls eher nicht mehr gewinnen können. „Wir sind an dem Punkt, dass wir die Ansprache an die Jungen ganz anders angehen müssen als bisher“, betont Anke Vehmeier. „Wir müssen TikTok ernst nehmen, wir müssen akzeptieren, dass die Jugend ihre Nachrichten eher von RTL2 bezieht.“ Lokalzeitungen müssten sich fragen, was sie daraus lernen können. Diese riesige Aufgabe sei bisher vernachlässigt worden und müsse deswegen umso dringlicher angepackt werden. Das hat bisher nur ein Teil der Medienhäuser verstanden, wie die Umfrage „Engagement der Zeitungen im Bereich junge Zielgruppen“ zeigt (siehe Kasten „Hin zur Jugend“). Von denen die sich beteiligt haben, gibt knapp ein Viertel an, keinen Plan zu haben, wie sie junge Menschen besser erreichen.
Anke Vehmeier von der bpb plädiert für eine bessere Vernetzung der Akteurinnen und Akteure. „Bislang ist es so, dass jeder etwas für sich ausprobiert, man guckt auch mal beim anderen ab. Aber nur wenn wir uns breiter aufstellen, wenn sich Journalisten aus der Praxis mit der Wissenschaft vernetzen, werden wir den Schlüssel finden, um für die jungen Leute attraktiv zu sein.“
Ein vielversprechendes Forschungsprojekt hat das Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung – Hans-Bredow-Institut Ende Mai 2020 gestartet: „Use the News“ will die Nachrichtenkompetenz insbesondere der Bevölkerung unter 30 Jahren erforschen. Auf Basis der Ergebnisse wollen die Beteiligten in einem eigens gegründeten Medienlabor neue Nachrichtenformate entwickeln und testen. Mit dabei sind unter anderem BDZV, SWR und NDR, ARD-aktuell, ZEIT-Stiftung, der Spiegel, die Mediengruppe Neue Osnabrücker Zeitung, der Ostfriesische Zeitungsverlag sowie die Funke-Mediengruppe mit dem Hamburger Abendblatt.
Hin zur Jugend
Auf welchen Kanälen wollen Zeitungen junge Zielgruppen künftig erreichen? Das haben BDZV und die Initiative junge Leser Ende 2019 bei 160 Tageszeitungen in der Studie „Engagement der Zeitungen im Bereich junge Zielgruppen“ nachgefragt. 69 Prozent der Befragten wollen ihre Aktivitäten auf Instagram ausbauen, 59 Prozent versuchen das über ihre Website. Etwa ein Viertel will auf Podcasts setzen, jeweils 35 Prozent wollen junge Leser mit Apps oder Printprodukten erreichen. Sieben Prozent nennen TikTok oder Snapchat als perspektivische Kanäle. Allerdings gaben auch 22 Prozent an, keine Pläne zu haben, mittels welcher Kanäle sie perspektivisch junge Zielgruppen erreichen könnten./
Medienbildung als Schulfach
Vielen Akteurinnen und Akteuren reichen die bisherigen Angebote allerdings nicht. So fordert zum Beispiel Marlis Prinzing, Journalistik-Professorin an der Hochschule Macromedia in Köln, Medienbildung als Querschnittsthema besser als bisher in verschiedenen Unterrichtsfächern zu verankern. Auch Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts, sieht es als Dilemma, wenn Medienbildung zu spät und nur unstrukturiert erfolgt: „Wir müssen Kinder und Jugendliche auf dem Weg in eine Welt begleiten, die sich durch die Netzwerke radikal gewandelt hat. Warum gibt es noch immer kein Schulfach, das den Umgang mit den Sozialen Medien lehrt? Die Grundlagen für Nachrichtenkompetenz werden ganz früh gelegt. Wenn die Redaktionen mit ihren bescheidenen Mitteln diese Kompetenz später herzustellen versuchen, dann wird das nicht gelingen.“
Dass Medienbildung fest auf den Stundenplan gehört, fordert der DJV schon lange. Nicht nur, aber auch angesichts der zunehmenden Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten. „Es ist erforderlich, dass Schülerinnen und Schüler von Schulbeginn an etwas über die Rechte und gesellschaftlichen Aufgaben von Journalistinnen und Journalisten lernen“, fordert Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW. „So legen wir eine wichtige Grundlage, damit Qualitätsjournalismus auf lange Sicht seine entscheidende Rolle für Demokratie und Gesellschaft spielen kann.“
Journalismus in die Schulen tragen
Ob eigenes Schulfach oder nur ein Thema unter vielen im Politik- oder Deutschunterricht: Besonders gut funktioniert Medienbildung, wenn Menschen aus der Praxis direkt in den Unterricht kommen und über ihren Berufsalltag sprechen. Wenn Journalistinnen und Journalisten in Schulen ihre Arbeit zu erklären, kann es zum Beispiel um Themenfindung, Recherche und die Arbeitsschritte beim Verfassen von Beiträgen gehen, aber auch um die Frage, was Journalistinnen und Journalisten dürfen oder ob jemand ihre Arbeit beeinflusst.
Bundesweit haben sich entsprechende Initiativen gebildet, die zum Beispiel über Medienhäuser oder Journalistenschulen organisiert sind. Eine unabhängige und gemeinnützige Organisation sind die Lie Detectors, die Unterrichtseinheiten zum Thema Desinformation und Fake News für Kinder und Jugendliche konzipieren (siehe auch JOURNAL 2/19). Interessierte Journalistinnen und Journalisten können hier andocken, aber zum Beispiel auch bei Reporter4you.
Letzteres ist das Projekt, an dem sich der DJV beteiligt. Hinter dem Medienkompetenzprojekt Reporter4you steht die Reporterfabrik, ein Ableger von Correctiv. Die 2019 vereinbarte Kooperation ist durch Corona ins Stocken geraten, soll aber sobald wie möglich fortgesetzt werden, erklärt Kah: „Wenn das wieder möglich ist, rufen wir unsere Mitglieder dazu auf, aktiv an der Aktion teilzunehmen.“ Informationsmaterial und ein Musterbrief, mit dem sich interessierte Journalistinnen und Journalisten an Schulen wenden können, hält die Reporterfabrik bereit. ||
Ein Beitrag aus JOURNAL 6/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2020.