Digital, jung, anders als etablierte Medien: Plattformen wie Buzzfeed, funk und Orange wollen das Lebensgefühl junger Menschen spiegeln und sie dabei auch für journalistische Inhalte begeistern. | Foto: prokop
Digital, jung, anders als etablierte Medien: Plattformen wie Buzzfeed, funk und Orange wollen das Lebensgefühl junger Menschen spiegeln und sie dabei auch für journalistische Inhalte begeistern. | Foto: prokop
 
THEMA | Medien für Millennials

Generation YouTube

Onlineportale für Jugendliche und junge Erwachsene als Experimentierfeld
14. Juni 2019, Anna von Garmissen

In Deutschlands Medienszene ist der Beißreflex ziemlich ausgeprägt. Wann immer ein neues Format, eine neue Marke sich an den Start traut, schnappen Konkurrenz, Kritiker und Experten zu. „Mit so einem Konzept kann das gar nicht funktionieren“, geifern die einen. „Die Idee ist geklaut“, schimpfen die anderen. Noch andere halten die Zielgruppe wahlweise für über- oder unterfordert oder gar nicht existent. Von allen Seiten knurrt es Neulingen entgegen.

So erging es auch den Onlineportalen, die vor einigen Jahren – zumeist zwischen 2014 und 2016 – antraten, um Jugendliche und junge Erwachsene für ihre Inhalte zu gewinnen. Als „Trottelplattformen“ (Ronja von Rönne in der WELT), „journalistische Bodendecker“ (Don Alphonso auf faz.net) oder „websitegewordene Schulklotür“ (Jan Böhmermann im Neo Magazin Royale) wurden Angebote wie Vice, Buzzfeed, ze.tt oder bento in der hiesigen Medienlandschaft begrüßt. Und im Branchendienst DWDL verkündete ein 18-Jähriger stellvertretend für seine Generation: „Wir brauchen kein heute+ und auch kein bento. Uns reicht der stinknormale Claus Kleber mit Krawatte und das Spiegel Online in der Non-Yolo-Version.“

Mehr als ein Beißreflex

Nett war das nicht. Aber daran war nicht nur der Beißreflex schuld, sondern vor allem die Banalität der damaligen Angebote. Das sollte der Journalismus der Zukunft sein? Die Rezensenten der ersten Stunde kämpften sich Ende 2015 durch einen Dschungel aus Quatsch-Videos, irrelevanten Listicles und Clickbait-Häppchen.

Und wie sieht es heute aus? Das JOURNAL hat sich angesehen, was die Jugend liest, sieht und klickt. Welche Ausspielwege, Erzählweisen und Formate gibt es? Und auf welchem Niveau spielt das heute? Dabei zeigt sich vor allem eins: Den jungen Journalismus gibt es nicht, sondern eine Vielfalt an Angeboten, die mit unterschiedlichen Teams, Zielen und Inhalten aufwarten. Sie alle konkurrieren um die kostbare Aufmerksamkeit der nachwachsenden Generationen.

Screenshot Buzzfeed
Screenshot Buzzfeed

Was geht viral?

Eines der erfolgreichsten Portale ist Buzzfeed. Der 2006 in den USA gestartete Dienst gehört zu den Auslösern der Listicle- und Quizschwemme, die durchs Netz wabert. Gründer Jonah Peretti wollte herausfinden, wie Inhalte sich möglichst weit in den – damals noch neuen – sozialen Medien verbreiten: Was geht viral? Warum teilen Menschen Inhalte? Kann man Viralität vorhersagen? Daraus entstand Buzzfeed – mit Katzenvideos, Listen und unnützem Wissen.

Als Chefredakteur von Buzzfeed Germany hat Daniel Drepper vor allem den Newsbereich im Blick und möchte eigenständige journalistische Recherchen voran bringen. | Foto: Stefan Beetz
Als Chefredakteur von Buzzfeed Germany hat Daniel Drepper vor allem den Newsbereich im Blick und möchte eigenständige journalistische Recherchen voran bringen. | Foto: Stefan Beetz

Nach ein paar Jahren erweiterte Buzzfeed das reine Entertainment-Angebot um einen Newsbereich. Dafür gab es mehrere Gründe: Zum einen wollte sich das Unternehmen nach außen profilieren und nicht mehr nur als Content-Schleuder wahrgenommen werden. Zum anderen ging es um mehr Reichweite, denn Buzzfeed setzt vor allem auf Native Advertising. „Wenn man keine News produziert, fällt ein Drittel der Leute weg“, sagt Daniel Drepper, der seit April 2017 Chefredakteur von Buzzfeed Germany ist.

Der Einstieg ins Nachrichtengewerbe hat der US-Plattform tatsächlich Renommee gebracht – etwa als sie russische Einflussnahme im US-Wahlkampf 2016 aufdeckte. Die meisten Klicks gehen aber nach wie vor auf das Konto der Unterhaltung. Allein der Rezepte-Kanal Tasty versammelt 96 Millionen Follower auf Facebook. Insgesamt erreicht Buzzfeed nach eigenen Angaben 650 Millionen Menschen in aller Welt – die meisten davon urban geprägte Frauen unter 35 Jahren. Die Zahl der Content Views liegt bei neun Milliarden pro Monat.

Trotz der beeindruckenden Zahlen sieht es finanziell nicht rosig für Buzzfeed aus. Anfang des Jahres verkündete Firmenchef Jonah Peretti den Abbau von 15 Prozent der 1 300 Stellen. Die 2014 gegründete deutsche Ausgabe – mit ihrer achtköpfigen Redaktion ohnehin ein kleiner Laden – ist nicht von den Streichungen betroffen. Allerdings sind die Stellen von drei Redakteuren, die Buzzfeed Germany im vergangenen Jahr verlassen haben, nicht nachbesetzt worden. Daniel Drepper, der gerne neue Gesichter ins Team holen würde, gibt sich trotzdem optimistisch. Das Konzept funktioniere sehr gut, die Richtung stimme.

Bewusst unterschiedliche Strategien

Genau wie die US-Mutter verfolgt Buzzfeed Germany mit seinem Unterhaltungsangebot auf der einen und selbst recherchierten News auf der anderen Seite „teilweise sehr unterschiedliche Strategien“, sagt Drepper. Wie unterschiedlich, verdeutlicht ein vergleichender Blick auf die Webseiten buzzfeed.com/de und buzzfeed.com/de/news an einem willkürlich gewählten Tag im Mai 2019.

„15 Fotos, die zeigen, was Stillen wirklich bedeutet“, heißt der Aufmacher im Entertainment-Bereich – darüber das Foto einer Frau in einem so fleckigen T-Shirt, dass man kaum hinschauen mag. Außerdem auf der Seite: „21 Premium-Flachwitze“, „19 Websites, von denen Du nicht weißt, dass sie Dir gefehlt haben“, „26 Fotos von Lebensmitteln, die dich erst böse, dann glücklich und dann wieder böse machen“.

Im Newsbereich veröffentlicht die Redaktion an diesem Tag den Gesetzentwurf für eine Reform des Transsexuellengesetzes. Sie informiert über einen internen Bericht des WWF, der den Umweltschützern „große Probleme im Umgang mit Menschenrechten“ bescheinigt. Und berichtet über eine umstrittene „Anti-Abtreibungs-Kapelle“ in Bayern.

Unterhaltung finanziert News

Wie passt das mit den Milchflecken und den Flachwitzen zusammen? Daniel Drepper, der vor seinem Einstieg bei Buzzfeed für das Recherchebüro Correctiv gearbeitet hat, sieht es pragmatisch. „Natürlich erzielt das Entertainment den allergrößten Teil der Reichweite“, sagt er. „Dadurch werden die News erst möglich.“ Eine Konstellation, die vielen Medienmachern bekannt vorkommen dürfte. Schon Axel Springer hat die WELT mit Gewinnen der BILD quersubventioniert.

Auf klassische Ressorts verzichtet Buzzfeed Deutschland. Die Newsredaktion, die aus zwei Frauen und zwei Männern besteht, kümmert sich um sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch, um Desinformation im Internet, Grundrechte sowie Themen aus der LGBT*-Community und dem Feminismus. Mit Erfolg.

„Wir schaffen es regelmäßig, Dinge zu veröffentlichen, die es nirgends anders gibt“, sagt Daniel Drepper. So deckte Buzzfeed Germany in einer Langzeitrecherche auf, wie Erdbeerpflückerinnen in Spanien systematisch ausgebeutet und sexuell missbraucht werden. Für die Reportage erhielten die Autorinnen Pascale Müller und Stefanie Prandl den diesjährigen Nannen-Preis in der Kategorie „Beste investigative Leistung“.

Bei der erwähnten WWF-Recherche kam der Berliner Redaktion das internationale Buzzfeed-Netzwerk zugute: Als das Thema zunächst in der britischen Edition aufkam, sei schnell klar geworden, dass es auch Deutschland betrifft, erzählt Drepper. Über die Zusammenarbeit mit den Kollegen, vor allem in den USA, äußert er sich positiv: „Wir stehen in gutem Austausch und arbeiten zugleich in großer Autonomie.“ Alle zwei Wochen telefoniert er mit seinem Chef in New York – dabei gehe es fast nie um Inhaltliches. „Wir haben keine Vorgaben im Newsbereich, müssen aber natürlich darauf achten, dass wir mit unseren Ressourcen haushalten.“

Ein starkes Haus im Rücken zu haben, ist für das News-Team vor allem in juristischer Hinsicht wertvoll. Sensible Recherchen werden von der Berliner Wirtschaftskanzlei Raue begleitet. „Kürzlich waren wir Beklagte, im Fall Yannic Hendricks“, erzählt Daniel Drepper. So wie er den Namen des Mannes ausspricht, klingt es fast genussvoll, denn eben das Bekanntwerden seiner Identität wollte Hendricks mit einer einstweiligen Verfügung verhindern. Der Abtreibungsgegner hatte zahlreiche Ärztinnen und Ärzte angezeigt, da er der Meinung war, sie verstießen gegen das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Als Buzzfeed über den Fall berichtete und Hendricks beim Namen nannte, sah dieser seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Das Landgericht Düsseldorf gab dem Onlineportal nun Recht.

Manchmal greift Buzzfeed auch selbst zu juristischen Mitteln. Aktuell geht es gegen die KfW vor, weil sie sich weigert, Unterlagen zum WWF-Fall herauszugeben. „Die Dokumente sind relevant für unsere Recherche“, sagt Daniel Drepper. Aus seiner Sicht ist die Bank zur Herausgabe verpflichtet. Schon früher, während seiner Zeit bei Correctiv, ist Drepper im Kampf für die Informationsfreiheit vor Gericht gezogen – mit Unterstützung des DJV.

Trashiges Image aufpoliert

Auch wenn sich manche Kolleginnen und Kollegen immer wieder kritisch über die Seite äußern: Unter Branchenbeobachtern hat Buzzfeed Germany sein trashiges Image kräftig aufpoliert – auch dank der praktizierten Transparenz. Im Redaktionspodcast „Unterm Radar“ berichten die Reporterinnen und Reporter seit August 2018 über ihre Arbeit und räumen, wo nötig, auch Fehler ein. „Wir machen einen sauberen Job. Und wir sind sichtbar“, sagt Drepper. Dabei helfen auch Kooperationen mit anderen Häusern, beispielsweise Correctiv oder dem ZDF-Format Zoom.

Dreppers erstes Ziel – relevanter, eigenrecherchierter Journalismus – ist damit verwirklicht. Nicht umsonst wurde er kürzlich vom Medium Magazin zum „Chefredakteur des Jahres“ gekürt. Doch Erfolg misst sich nicht allein am guten Ruf, sondern an den Klicks der Zielgruppe. Und da möchte Buzzfeed sich lieber nicht in die Karten bzw. Reichweitenstatistiken schauen lassen – zumindest nicht getrennt nach Nachrichten und Unterhaltung.

Nah ans Lebensgefühl des Publikums

Das zweite Ziel – die Schnittmenge zwischen Entertainment- und News-Nutzern zu vergrößern – erweist sich als schwieriger. „Das Publikum ist teilweise ein anderes“, so drückt Drepper es vorsichtig aus. Mit „buzzigen News“ versucht er nun, mehr Spaß-Nutzer für den Nachrichtenfeed zu interessieren. Immerhin gibt es auch Gemeinsamkeiten. „Unsere Community definiert sich stark über Empowerment und berufliche Identitäten. Da können wir ansetzen“, sagt Drepper. Auch die Haltung der Redaktion sei aus einem Guss: „Wir wollen nah am Lebensgefühl unseres Publikums sein – offen und neugierig. Und: Wir treten nur nach oben.“

Das Lebensgefühl der Millennials steht auch im Mittelpunkt von Angeboten wie bento, ze.tt, Noizz und Orange. Sie alle sind Ableger großer deutscher (Print-)Medienhäuser und sprechen Digital Natives an. Hinter ze.tt steht der Verlag der ZEIT, bento gehört zum Spiegel, Noizz zu Springer. Und Orange heißt eigentlich Orange by Handelsblatt. Gestartet sind sie alle zwischen 2015 und 2017 – also nach Buzzfeed Deutschland. Offenbar hat die US-Konkurrenz die späte Jugendoffensive der deutschen Medienhäuser befeuert. Ebenso wie der rasante Rückgang der Printnutzung: Dem Digital Publishing Report 2019 zufolge sind Zeitungen und Zeitschriften für jüngere Mediennutzer längst „Exoten“.

Vielfältige Portale

Nicht alle angefragten Kolleginnen und Kollegen fanden die Zeit mit dem JOURNAL zu sprechen.
Die vorgestellten Portale:
Buzzfeed.com/de/news
funk.net
orange.handelsblatt.com

Weitere Portale, die im Text erwähnt sind:
bento.de
noizz.de
vice.de
watson.de
ze.tt

Wirtschaft für junge Menschen

Während bento, Noizz und ze.tt in ihren Feeds alle Lebenslagen der Generation Youtube aufgreifen – von #FridaysForFuture über Game of Thrones bis zum Body Shaming, also die Beleidigung oder Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer körperlichen Erscheinung –, konzentriert Orange sich auf das angestammte Themenfeld seines Muttermediums. „Wir wollen Wirtschaft verständlich erklären und die junge Generation für das Thema begeistern“, sagt Andreas Dörnfelder. Der frühere Investigativreporter ist seit Anfang 2017 Redaktionsleiter von Orange. Das vierköpfige Team hat ein offenes Büro mit Videoschnittplatz im 5. Stock des neuen Medienhauses in Düsseldorf bezogen, auf einer Etage mit dem Handelsblatt-Ressort Unternehmen & Märkte. Ein Stockwerk tiefer arbeitet die Redaktion der WirtschaftsWoche.

Screenshot Orange
Screenshot Orange

An den Konferenzen der Wirtschaftstitel nehme Orange zwar nicht teil, erklärt Dörnfelder, trotzdem sei man laufend im Austausch über Themen. Die Ideen für Geschichten entstehen im Team oder aus Vorschlägen von Freien. Wichtig sei der eigene Dreh – die Sicht durch die Augen junger Menschen. Eine dpa-Meldung über schlechte Halbjahreszahlen bei Vapiano etwa nahm Autorin Julia Kanning zum Anlass, den Service der Restaurantkette selbst zu testen und ihre Erfahrungen mit den Bilanzinfos zu verknüpfen. Heraus kam: „1 Teller Nudeln, 40 Minuten warten: Meine letzte Mittagspause bei Vapiano“.

Andreas Dörnfelder ist Redaktionsleiter beim Handelsblatt-Ableger Orange: Das Portal will Wirtschafts- und Karrierethemen aus junger Sicht beleuchten. Foto: Uta Wagner
Andreas Dörnfelder ist Redaktionsleiter beim Handelsblatt-Ableger Orange: Das Portal will Wirtschafts- und Karrierethemen aus junger Sicht beleuchten. Foto: Uta Wagner

Neben klassischen Themen wie „Leitzins einfach erklärt“ widmet sich Orange vor allem Fragen rund um Berufseinstieg und Karriere. „Im Grunde interessiert uns alles, was unseren Leserinnen und Lesern hilft, sich zu verbessern“, sagt Dörnfelder. Empowerment nennt sich das Genre drüben bei Buzzfeed – es ist ein unverzichtbarer Bestandteil junger Medien.

Typisch für Orange sind Selbstversuche („E-Scooter im Test“) und praktische Tipps – meist im genre-typischen Clickbait-Duz-Stil („Kostenlose Kreditkarte beantragen? Diese 6 Dinge solltest Du wissen“). Ressorts gibt es auch hier nicht mehr. „Davon haben wir uns verabschiedet“, sagt der Redaktionsleiter. Gelabelt wird stattdessen über Hashtags wie #geld, #karriere oder #mobilität. Etwa 100 verschiedene Hashtags haben sich bislang angesammelt.

Angesprochen auf klickheischende Überschriften, sagt Andreas Dörnfelder: „Wir können uns nicht erlauben, Stücke zu machen, die nicht klicken. Aber wir dürfen auch nichts versprechen, was wir nicht halten können.“ Letztlich entscheide die Substanz. Vereinzelt übernimmt das junge Portal auch Texte von Handelsblatt oder Wiwo – nach sprachlicher Anpassung. Möglichst einfach und konkret zu berichten ist aus Dörnfelders Sicht zentral. Aufgesetzt cool wolle man dagegen nicht rüberkommen.

Mit ihrem Angebot aus drei bis fünf Texten, Videos oder Podcastfolgen pro Tag erreicht die Orange-Redaktion monatlich rund 1,2 Millionen Page Impressions. Bei den Visits steuere man auf die Million zu, so Dörnfelder. Zum Vergleich: bento, nach eigenen Angaben „Marktführer für Millennials“ kommt auf ungefähr zehnmal so viele Visits, bei ze.tt betrug die Zahl der Digitalkontakte im April 2019 rund 9,9 Millionen.

Den Nachwuchs scouten

Natürlich ist Orange auch auf Facebook, Instagram und YouTube aktiv. Einmal pro Woche lädt die Redaktion ein neues Video auf YouTube hoch. In der Regel erreichen die Clips Abrufe im einstelligen Tausenderbereich, aber es gibt auch Ausreißer nach oben. 160 000-mal wurde der Film „Berufe-Check: Ein Tag als Zugbegleiter im ICE“ bei YouTube geklickt. Realisiert hat ihn vor zwei Jahren Noah Gottschalk, damals gerade 17 Jahre alt. Den Jungreporter, der inzwischen auch für den WDR arbeitet, sieht Dörnfelder als herausragendes Nachwuchstalent und als gutes Beispiel für die Scouting-Funktion, die Orange in der Handelsblatt Media Group erfüllt.

Die Palette der Ausspielwege umfasst auch zwei Newsletter – einer auf WhatsApp (derzeit rund 4 000 Abonnenten), der andere „old school“ per Mail (rund 11 000 Abonnenten). Letzterer ist eigentlich die Keimzelle des Angebots, denn zum Start 2015 war Orange tatsächlich als reiner Mail-Newsletter konzipiert, in dem Schüler für Schüler schreiben sollten. Das Konzept wurde schnell über den Haufen geworfen, spricht aber Bände darüber, wie schwer Traditionsmedien sich mit jungen Zielgruppen tun.

Die Website von Orange hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Sie könnte einen Relaunch vertragen, schon wegen der etwas umständlichen Navigation. Konzepte für ein neues Erscheinungsbild liegen in der Schublade, sagt Andreas Dörnfelder. Doch Programmieren kostet Geld, und der Verlag muss sparen. Eine regelrechte Kürzungswelle schwappte Anfang des Jahres durch die Handelsblatt-Gruppe (siehe auch JOURNAL 2/19). Immerhin: Im Gegensatz zur englischsprachigen Edition des Handelsblatts ist Orange noch da.

Auf allen Kanälen

Solche Sorgen hat man bei funk nicht. Das gebührenfinanzierte Angebot von ARD und ZDF verfügt über ein jährliches Budget von 45 Millionen Euro. Mehr als 70 Formate realisiert funk, darunter vor allem YouTube-Kanäle, aber auch Communitys auf Facebook und Instagram, Snapchat-Shows, Podcasts und neuerdings sogar Tanz-Tutorials auf Tiktok, dem rasant wachsenden Videoclip-Netzwerk aus China. Es gibt eigentlich kein soziales Medium, auf dem funk nicht vertreten ist. „Wir beobachten auch neue spannende Plattformen wie zum Beispiel LinkedIn“, erzählt Philipp Schild. Der 43-Jährige ist einer von zwei Heads of Content bei funk und kümmert sich um alle ARD-Produktionen.

Wie bei fast allen Jugendportalen steht auch hier der Spaß im Vordergrund. Satireshows wie der Talk „World Wide Wohnzimmer“, der gerade die Eine-Million-Abonnenten-Marke geknackt hat, oder die Sport-Comedy Wumms zählen zu den beliebtesten Formaten. Daneben gibt es zahlreiche Orientierungs- und Informationsangebote – von Politik bis Wissenschaft, von Coming-of-Age-Themen bis Kultur. Rechercheformate wie die WDR-Produktion reporter und STRG_F – bei der Panorama-Redaktion des NDR angesiedelt und in jüngster Zeit funks erfolgreichstes Format nach gesehenen Minuten – begeben sich in den investigativen Journalismus. Auch fiktive Inhalte sind Teil des Portfolios. Die Webserie Druck, eine Adaption aus Norwegen, läuft bereits in der dritten Staffel. Bei Snapchat kommt iam.serafina auf mehrere Millionen Views.

Philipp Schild beziffert das Verhältnis von Unterhaltung und Information mit 59 zu 41 Prozent – nach gesehenen Minuten. „Das Ziel ist eine ausgeglichene Nutzung. Davon sind wir gar nicht so weit entfernt.“ Insgesamt sei die Reichweite mittlerweile alleine bei YouTube auf rund 300 Millionen Views im ersten Quartal 2019 angestiegen. Zweieinhalb Jahre nach dem Start kennen zwei Drittel der jungen Menschen in Deutschland funk oder mindestens eins seiner Formate. „Dafür, dass wir in einen Markt gegangen sind, den wir nicht kannten, kann sich das sehen lassen“, meint Schild.

Bei den privatfinanzierten Medien, allen voran Springers WELT, ist man nicht erfreut. Seit Bestehen des Content-Netzwerks wettert die Zeitung gegen die öffentlich-rechtliche Jugendunterhaltung im Netz. „ARD und ZDF fördern geschmacklose Inhalte mit Millionen“, titelte sie 2017. In einem anderen Artikel prangerte WELT-Autor Christian Meier an, dass „auf einmal sehr viele junge Medienmacher aus der Webvideoszene sehr gut beschäftigt“ seien. „Ob nun der unrasierte Typ, der mit der Kaffeetasse in der Hand die Welt erklärt, die Frau, die Interviews auf dem Klo führt, oder der Freak, dem funk gleich einen ganzen Bauernhof spendierte, um dort eine Kommune aufzubauen.“

Offenbar wurmt es die Verlage, dass ARD und ZDF ihnen in den sozialen Medien Konkurrenz machen, gebührenfinanziert und ohne Depublizierungspflichten. Sie sind ja selbst mit Jugendportalen am Start – im Fall von Springer Noizz. Der alte Streit um die Grenzen des öffentlich-rechtlichen Auftrags flammte auch hier wieder auf (siehe auch die Meldung zu den neuen Online-Regeln für ARD, ZDF und DLR).

Vielfalt jenseits der Marktgängigkeit

Reichweite aufbauen, als Marke bekannt werden, junge Menschen zur Reflexion bewegen: So sieht Head of Content Philipp Schild die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks funk. | Foto: Marcus Bauer
Reichweite aufbauen, als Marke bekannt werden, junge Menschen zur Reflexion bewegen: So sieht Head of Content Philipp Schild die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks funk. | Foto: Marcus Bauer

Philipp Schild nimmt es gelassen. „Man kann es auch so sehen“, sagt er: „funk erhält die Vielfalt, indem es Formate realisiert, die am Markt allein nicht überleben würden.“ Er kann auch dem Vorwurf nichts abgewinnen, dass Medien sich mit ihren Social-Media-Aktivitäten zu kostenlosen Reichweitentreibern der US-Konzerne machen. „Auf YouTube werden jede Minute 500 Stunden Content hochgeladen, da kratzt es die kein bisschen, ob wir sie boykottieren.“

Für Schild ist die Sachlage simpel: „Alles entscheidend ist, was die Zielgruppe von uns erwartet.“ Dazu müsse man sie nun mal dort erreichen, wo sie sich aufhält. Und das sind die sozialen Medien: Laut der JIM-Studie 2018 zählt YouTube für knapp zwei Drittel der Zwölf- bis 19-Jährigen zu den drei liebsten Internetangeboten. Auch Instagram und Snapchat rangieren oben auf der Beliebtheitsskala.

Zum Start des Portals im Herbst 2016 setzten die funk-Macher sich drei Ziele: Erstens Reichweite aufbauen. Zweitens als Marke bekannt werden. Und drittens: Reflexion bewirken. Die Jugendlichen sollen sich nicht nur amüsieren, sondern auch befähigt werden, am gesellschaftlichen Diskurs teilzuhaben, indem sie sich informieren und mit unterschiedlichen Positionen auseinandersetzen. Philipp Schild findet das heute wichtiger denn je. „Wir waren neulich in einer Schule“, erzählt er. „Manche Schüler verstehen nicht den Unterschied zwischen RT Deutsch und der Tagesschau.“

Screenshot funk
Screenshot funk

Um den Erfolg ihrer Kanäle zu messen, schauen die funk-Macher nicht nur auf die Abrufe, sondern auch auf Likes, Shares und vor allem Kommentare. Anhand der Interaktionsraten zeigt sich, wie stark die Jugendlichen sich mit den Inhalten beschäftigen und was sie für Wünsche haben. Die Masse der Äußerungen ist enorm. „In den letzten 90 Tagen hatten wir allein auf YouTube fast eine Million Kommentare“, so Schild.

Mit rund 90 000 Äußerungen war die Community von „World Wide Wohnzimmer“ besonders aktiv. Auch maiLab, der Science-Kanal der Chemikerin und Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim, erhält zu jeder Ausgabe Tausende von Kommentaren. Da braucht es ein gut funktionierendes Community-Management. „Das ist immer mit kalkuliert“, sagt Philipp Schild. Nicht nur, weil die User rasche Antworten auf ihre Fragen erwarten, sondern auch zum Schutz der Hosts und der Öffentlichkeit.

Beim Erwachsenwerden begleiten

„Wir haben die Pflicht, gewisse Dinge herauszufiltern“, sagt Schild. Regelmäßig erscheinen etwa Suizidhinweise in den Kommentarspalten. „Das nehmen wir sehr ernst. Im Zweifelsfall informieren wir die Polizei. Es kam schon vor, dass sie über die IP-Adresse den Aufenthaltsort einer Person ermittelt und sie dann direkt dort aufgesucht hat“, erzählt der Journalist. An solchen Begebenheiten wird deutlich, welch große Verantwortung Medien auf sich nehmen, die Jugendliche auf ihrem Weg beim Erwachsenwerden begleiten.

Junge Medienportale sind vor allem Versuchslabor und Experimentierfeld für neue Formen und Plattfomen. | Foto. txt
Junge Medienportale sind vor allem Versuchslabor und Experimentierfeld für neue Formen und Plattfomen. | Foto. txt

Nicht alle Formate, die funk aufsetzt, laufen nach Plan. Immer wieder werden Kanäle angepasst, manchmal ziehen sie von einer zur anderen Plattform um. „Wir haben zum Glück die Freiheit, zu feilen“, sagt der Head of Content. Oft werden Produktionen auch wegen mangelnden Erfolgs wieder beendet. Mehr als 70 eingestellte Formate zählt Philipp Schild bei einer schnellen Durchsicht. Das entspricht in etwa der Zahl der aktuell laufenden funk-Angebote. „Ich sehe das nicht als Misserfolg“, sagt Schild. „Wir haben eigentlich immer etwas daraus gelernt und in der Folge dann eben andere Ansätze ausprobiert.“

Zurzeit intensiviert das funk-Team seine Aktivitäten auf Instagram. Während die Zielgruppe aus Facebook langsam herausfällt, erfreut sich das zum gleichen Konzern gehörende Foto- und Video-Netzwerk großer Beliebtheit. Unter den speziell für Instagram produzierten Formaten ist „Mädelsabende“ mit 101 000 Abos funks größter Erfolg (siehe auch „Mut zum Durchstarten“). Im wöchentlichen Wechsel widmet sich das Team Themen wie „Coming out“, „Hormone“ oder „Freundschaft“. Auch das erst im April gestartete Nachhaltigkeits- und Umweltschutzformat „Ozon“ trifft mit bereits 21 000 Abonnenten offensichtlich einen Nerv in der Zielgruppe.

„Normalerweise bauen wir bei Instagram nicht so schnell Reichweite auf“, sagt Philipp Schild. Info-Kanäle haben es auf Instagram eher schwer: Das Netzwerk ist kommerzgetrieben, mit einem Hang zu Beauty- und Lifestyle-Themen, und baut stark auf Influencer und persönliche Kontakte (siehe auch Interview mit Stephan Weichert). „Um Aufmerksamkeit zu bekommen, musst man erst mal aus der winzigen Box des Friends-Feeds herauskommen“, erklärt Philipp Schild. Das gelingt beispielsweise, indem man Influencer in die Geschichten einbindet, die wiederum ihre Follower mitbringen. „Der Aufbau ist mühsam, aber dafür bekommt man eine starke Gemeinschaft mit echtem Interesse an den Hosts.“

Den Wandel unterstützen

Sieht funk sich als Vorreiter für die Zukunft von ARD und ZDF? So weit würde Schild nicht gehen, „aber wir tragen dazu bei, den Wandel zu unterstützen“. So hat das Team ein Social Media Playbook zur erfolgreichen Nutzung sozialer Netzwerke verfasst, das allen Interessierten in den öffentlich-rechtlichen Anstalten zur Verfügung steht. Gut vorstellbar ist auch, dass die funk-Expertise bei der Weiterentwicklung der Mediatheken nützlich sein wird. „Wir versuchen, alle unsere Learnings ins System zu geben“, sagt Philipp Schild.
Lernen, experimentieren und die Erkenntnisse ins System geben: Das scheint eine der Hauptaufgaben zu sein, die junge Medienportale für ihre Betreiber erfüllen – seien es nun öffentlich-rechtliche Anstalten, Traditionsverlage oder US-Digitalfirmen.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2019.