Der Lokaljournalismus hat in vielen Ländern zu kämpfen. Vielerorts sind Lokalzeitungen auf dem Rückzug und hinterlassen eine Lücke, solange keine Alternativen nachwachsen. Dabei ist es wichtig, den Menschen vor Ort eine Stimme zu geben, eine zuverlässige Quelle für lokale Informationen zu schaffen und die Watchdog-Funktion der guten alten regionalen Tageszeitung zu erfüllen.
Medienförderung gegen weiße Flecken
Was tun, wenn Lokaljournalismus nicht mehr aus Vertriebs-und Werbeerlösen zu finanzieren ist? Neben der indirekten Förderung durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz, wie ihn auch Deutschland auf Zeitungen und Zeitschriften gewährt, gibt es in vielen europäischen Ländern eine direkte Presseförderung. Dazu zählen unter anderem Österreich, die Niederlande, Belgien, Dänemark, Schweden und Finnland, Portugal und Frankreich. Details dazu in einer Zusammenstellung des Wissenschaftlichen Dienstes für den Bundestag.
Die direkte Presseförderung gilt in Deutschland als schwierig und wird von den Zeitungsverlagen strikt abgelehnt. Aber die Idee einer Gemeinnützigkeit für Journalismus findet immer mehr Befürworter. So hat Nordrhein-Westfalen hat eine Bundesratsinitiative gestartet, damit Vereine und Stiftungen, die Journalismus ohne Gewinnstreben unterstützen, künftig als gemeinnützig anerkannt werden und damit steuerliche Vorteile genießen (siehe JOURNAL 4/19)./cbl
Einfach mit den Menschen sprechen
In vielen Ländern wird Lokaljournalismus durch Subventionen gefördert (siehe Kasten). Jenseits der finanziellen Unterstützung testen Journalistinnen und Journalisten auch in anderen Ländern aus, wie Lokaljournalismus (wieder besser) funktionieren kann. Wenig überraschend: Oft geht es einfach darum, mit Menschen zu sprechen, vor allem mit denen, die nicht durch Herkunft, Bildung oder Schichtzugehörigkeit sowieso gehört werden. Ein schwieriges Unterfangen, seit die Redaktionen auf Minimalbesetzung zusammengeschrumpft sind und zugleich rund um die Uhr liefern müssen (siehe auch „Die nächste Runde“ zum Thema User first, JOURNAL 1/19).
Als Gegenmittel ist die Kolumnistin Helen Ubiñas vom Philadelphia Inquirer bei einer Schulveranstaltung im Südwesten Philadelphias mit dem Banner ihrer Zeitung, mit Reporter-Notebooks, Stiften und Schokolade, um mit Schülerinnen und Schülern darüber zu reden, welche Berichterstattung sie von der Zeitung erwarten. Das betreffende Viertel war zuvor wegen Waffengewalt in die Schlagzeilen geraten, und die Jugendlichen hatten die reißerischen Schlagzeilen verspottet, wie der Columbia Journalism Review berichtet. Das Experiment funktionierte so gut, dass Ubiñas und andere nun häufiger an Brennpunkte gehen, die normalerweise fern des Redaktionsalltags sind. Mit diesen „Pop-up“-Redaktionen und -Newsrooms kommt das, was im Digitalen „Audience Engagement“ genannt wird, also die Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer, zurück in die reale Welt.
Gerade in den USA, wo seit 2004 1.800 Zeitungen eingestellt wurden, gibt es wachsende weiße Flecken oder „News Deserts“. Während gerade im ländlichen Bereich Menschen wirklich oft komplett von Lokalnachrichten abgeschnitten sind, entstehen in dichter besiedelten Regionen Newsseiten, die oft mit Unterstützung von Stiftungen lokal oder zumindest auf Ebene eines Bundesstaats berichten. Aus Stiftungsmitteln und Spenden (unter anderem vom Facebook Journalism Project) finanziert sich zum Beispiel Bringing Stories Home, eine Initiative des Pulitzer Centers, die Redaktionen unterstützt und ihnen Ressourcen bietet, um lokale Geschichten zu erzählen, die sonst untergehen würden. Zunehmend übernehmen auch politische Organisationen die Finanzierung von „Muckrakern“, also Investigativ-Reportern, die mit Behaarlichkeit über eine lange Zeit recherchieren.
Versuche in Großbritannien
Auch aus Großbritannien gibt es Beispiele, wie der Lokaljornalismus wieder enger an die Menschen rückt. Etwa indem erfahrene Journalistinnen und Journalisten, die zuvor für die überregionale Presse gearbeitet haben, hyperlokale Projekte starten. So gründete Lawrence Hatton in Ilkeston eine kostenlose monatliche Boulevardzeitung namens Ilkeston Inquirer. Die 40.000-Einwohnerstadt hatte zwar eine Lokalzeitung, den Ilkeston Advertiser, aber der berichte vorwiegend über das 25 Meilen entfernte Chesterfield. Der Inquirer, den Hatton zusammen mit seinem Bruder – wohl ohne Gewinnabsicht – finanziert, soll die Einheimischen in Ilkeston mit Nachrichten versorgen, die für sie von Bedeutung seien.
Auch hinter einem Community-Journalismusprojekt in Stonehouse, Plymouth, steckt mit Alan Qualtrough ein ehemaliger Zeitungsjournalist, der ins Lokale zurückgekehrt ist. Mithilfe eines Zuschusses der Stiftung Power to Change wurde die halbjährlich erscheinende Zeitung The Stonehouse Voice ins Leben gerufen. Sie bindet die Bürgerinnen und Bürger ein, damit sie selbst ihre Geschichten erzählen können. Dafür hat Qualtrough in Workshops die wichtigsten Schreibtechniken und weiteres Know-how zum Zeitungmachen vermittelt.
Auf einzelne, vertiefte Recherchen statt vieler Beiträge setzt die Online-Zeitung The Bristol Cable: Hinter dem Projekt steht eine Mediengenossenschaft mit 2.000 Eignern, die auch bei der Themenfindung mitreden können. Das Startkapital stammt aus einer Crowdfunding-Kampagne.
Crowdfunding und Spenden finanzieren zu einem kleinen Teil auch digitale Medien-Start-ups in Spanien, wie eine Studie der Universität Navarra herausfand. Nach Einschätzung der Wissenschaftler ist das bemerkenswert, weil man vor kaum einem Jahrzehnt allgemein angenommen habe, dass gerade in Spanien niemand für digitale Nachrichten bezahlen werde. Mehr als ein Drittel der insgesamt 3.065 digitalen Medien dort erscheint ausschließlich online. Die Wissenschaftler fanden 75 hyperlokale Angebote.
Serie bei @mediasres
Eine ganze Reihe zum Lokaljournalismus hat @mediasres, die Mediensendung im Deutschlandfunk, in den vergangen Wochen aufgelegt. Die verbindende Frage: Wo und wie gelingt es, mit regionalen Berichten Menschen zu erreichen? Da darf ein Beispiel aus Skandinavien nicht fehlen. Schließlich gelten die dortigen Medienhäuser in den Chefetagen deutscher Verlage als Vorbild und Erfolgsmodell. @mediasres stellt die norwegische Zeitung Sunnhordland vor, die nur noch drei- statt fünfmal wöchentlich erscheint und dafür online rund um die Uhr aktualisiert.
Ein anderes vorgestelltes Experiment ist die kleine, unabhängige Zeitung Le Micro in der Westschweiz. Sie wird nicht über Kiosken und Läden vertrieben, sondern in Cafés und Bistros, und dort arbeitet die Redaktion auch gerne. Denn Redaktionsräume gibt es nicht bei dem Projekt, das sein Startkapital wie andere mit einer Crowdfunding-Kampagne aufgebracht wurde. Auch hier setzen die Macherinnen und Macher besonders auf exklusive, selbst recherchierte Geschichten und den direkten Kontakt zur Zielgruppe, die über Gespräche schon in der Konzeptphase eingebunden war.
Dass man unter anderen Voraussetzungen auch völlig andere Wegen gehen kann, um lokalen Nachrichten zu sammeln und zu verbreiten, zeigt das Handy-basierte Online-Portal CGnet Swara in Indien. Weil nicht jeder Zugang zu Medien oder dem Internet hat, hat das Portal eine Möglichkeit entwickelt, Lokalnachrichten per Hotline abzurufen. Und nicht nur das: Zugleich besteht die Möglichkeit, auf einem Anrufbeantworter eine Meldung über beobachtete Probleme zu hinterlassen, sodass der Nachrichtenfluss auch für abgelegene Regionen funktioniert.||
Alle Teile der @mediasres-Serie sind hier verlinkt.
Die komplette Titelgeshichte aus JOURNAL 5/19:
Aus dem Kreis ausbrechen
Vielfalt wagen!
Eine wichtige Bastion
Ein Beitrag in Ergänzung zur Titelgeschichte in JOURNAL 5/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2019.