Mehr als der Watchdog: Lokaljournalismus begleitet das Leben in den Städten und auf dem Land in allen seinen Veränderungen kritisch und zugleich wohlwollend und schafft damit auch Identität und Verbundenheit. | Foto: Anja Cord
Mehr als der Watchdog: Lokaljournalismus begleitet das Leben in den Städten und auf dem Land in allen seinen Veränderungen kritisch und zugleich wohlwollend und schafft damit auch Identität und Verbundenheit. | Foto: Anja Cord
 
THEMA | Lokaljournalismus

Aus dem Kreis ausbrechen

Der Lokaljournalismus braucht neue Impulse
18. Oktober 2019, Corinna Blümel

Wie können wir den Lokaljournalismus neu denken? Welche Konzepte gibt es schon, um Menschen (wieder) für journalistische Angebote vor der eigenen Haustür zu gewinnen? Diese Fragen stellt sich nicht nur der DJV-NRW. Aber er regt bei dieser Aufgabenstellung zum Querdenken an. Etwa mit dem MediaLab, einem „Experimentierraum für den Journalismus der Zukunft“. Das Projekt hat der Landesvorsitzende Frank Stach im Rahmen der Ruhr-Konferenz der Landesregierung eingebracht (siehe unten). Es soll drei Jahre laufen (2020 bis 2022), ehe es in den Regelbetrieb geht.

Kontinuierlich kritisch begleiten

„Wir brauchen gerade auch im Lokalen Medienvielfalt, am besten mehrere unabhängige journalistische Angebote aus allen Medienbereichen“, macht Stach deutlich. Auch wenn Lokaljournalismus oft mit der Lokalzeitung gleichgesetzt wird, stehen Radio, Fernsehen und Internet gleichberechtigt daneben. „Wichtig ist nicht, welches Medium berichtet. Es geht darum, dass lokale Themen kontinuierlich und kritisch begleitet werden. Und das in einem verlässlichen Rahmen. Deswegen braucht es Journalistinnen und Journalisten, die dafür ausgebildet sind und die von ihrer Arbeit leben können.“

Unabhängig von Rahmenbedingungen und Finanzierung bleiben die unabdingbaren Funktionen von (Lokal-)Journalismus die gleichen: Orientierung geben, Teilhabe ermöglichen und – ganz wesentlich – die Mächtigen kontrollieren (siehe auch Kasten „Die drei Kernaufgaben“). Welche Entscheidungen trifft der Stadtrat, und wie setzt die Verwaltung diese um? Wer zieht die Fäden bei Stadtentwicklung, Verkehrsplanung und großen Bauvorhaben? Wie stellen sich Energieversorger und andere örtliche Unternehmen in Sachen Klima auf? Gibt es genug Kitaplätze, passt das Schulangebot zu den Bedürfnissen junger Familien? Auch weichere Themen entscheiden über Lebensqualität, über Identität und Zusammenhalt: Sportvereine und Musikschule, kulturelle Angebote und Stadteilfeste, Angebote für Kinder und Jugendliche, für Senioren, für Geflüchtete und andere Migranten.

Die Notwendigkeit ist eigentlich vielen bewusst. Wer in den vergangenen Jahren Diskussionen zur Zukunft des Lokaljournalismus besucht hat, kennt alle Argumente. Ob in Münster, Dortmund oder Köln: Die Podiumsgäste aus der Branche, der Lokalpolitik, der jeweiligen Stadtgesellschaft beschwören Wert und Wichtigkeit einer unabhängigen Presse. Denn die wird vorrangig als Träger des Lokaljournalismus wahrgenommen, auch wenn Lokalfunk oder -fernsehen sowie die regional ausgerichteten öffentlich-rechtlichen Angebote gerne genutzt werden. Aus dem Publikum kommen bei so einer Diskussion unweigerlich ältere Stimmen, die die vielen Fehler und die geschrumpften Lokalteile beklagen. Und darauf schimpfen, dass alle nur noch am Smartphone herumdaddeln. Irgendwann steht jemand auf und sagt, dass er keine jungen Menschen kennt, die noch Zeitung lesen.

Die drei Kernaufgaben

In einem Gastbeitrag bei Meedia im März 2019 hat Klaus Meier, Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, die drei Kernaufgaben von Journalismus definiert:
• Orientierung und Navigation im Informationsdschungel bieten, also gesellschaftlich wichtige Themen von unwichtigen trennen;
• den Menschen Teilhabe an Öffentlichkeit und Politik ermöglichen und zur regionalen Identität, einer regionalen Heimat, beitragen;
• Wächter des lokalen Machtgefüges sein, also den Mächtigen auf die Finger schauen und Machtmissbrauch ans Tageslicht bringen.

Gerade, was die dritte Aufgabe angeht, hat eine Studie in den USA 2018 einen Beleg geliefert, welche gravierenden Auswirkungen die Schließung von Lokalzeitungen hat. Danach sind steigende Beschaffungskosten und ein schlechteres Finanzgebaren in der Kommune wahrscheinlich, wenn Zeitungen schließen und kein anderes lokaljournalistisches Angebot als Watchdog für Politik und Verwaltung nachwächst./cbl

Zu alt und zu neu

Die Diskussion – ob innerhalb der Branche oder mit der Bürgerschaft – dreht sich im Kreis. Seit Jahren. Auf einen erheblichen Teil der potenziellen Nutzerinnen und Nutzer passt das Angebot unter dem Label „Lokaljournalismus“ nicht mehr, egal, ob es auf Papier, im Netz oder von Hörfunk und Fernsehen ausgeliefert wird. Den einen ist es zu alt, weil es nichts mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun hat. Aber anderen ist es auch schon zu neu, weil eben vieles nicht mehr so ist wie früher.

Dass ein Tradionshaus wie DuMont nicht mehr Verlag sein will (siehe „DuMont Rheinland: Beschäftigte hängen weiter in der Luft“), ist genauso bezeichnend wie das ewige Werben der Medienhäuser, im NRW-Lokalfunk größere Einheiten zu schaffen, sprich: den lokalen Bezug zu kappen. Alles das zeigt: Das Lokale hat es schwer. Dabei liegt vor der Haustür, in der Stadt, dem Dorf oder dem Kreis ein reicher Schatz an Themen, der gehoben werden will. Sowohl „menschelnde“ Geschichten, die Verbundenheit schaffen, als auch solche mit politischem Sprengsatz, die die Mächtigen überwachen und die Demokratie am Laufen halten.

Wie also die Kraft des lokalen Journalismus retten, ja neu erfinden, wenn die alten Modelle von Finanzierung und Vertrieb immer schlechter funktionieren? Diese Frage stellen sich der DJV und seine Landesverbände genauso wie andere Akteure. Für den Landesvorstand war dies der Grund, auf dem diesjährigen Gewerkschaftstag einen Pakt für Lokaljournalismus ins Leben zu rufen (siehe Kasten unten und JOURNAL 3/19).Die Idee: In einer gemeinsamen Anstrengung von Branche, Politik und Gesellschaft neue Wege finden, um Journalismus in seinen vielfältigen Funktionen gerade im Lokalen zu sichern.

Auch die NRW-Medienpolitik hat erkannt, dass ein Rückzug des Lokaljournalismus gerade aus den ländlicheren Regionen zum Problem werden könnte. | Foto: Frank Sonnenberg
Auch die NRW-Medienpolitik hat erkannt, dass ein Rückzug des Lokaljournalismus gerade aus den ländlicheren Regionen zum Problem werden könnte. | Foto: Frank Sonnenberg

Bemühungen der NRW-Medienpolitik

Dass es so nicht weitergehen kann, merkt auch die Politik und versucht seit einer Weile gegenzusteuern. So hatte schon die rot-grüne Vorgängerregierung die Stiftung Vor Ort NRW geschaffen, die unter Schwarz-Gelb wieder in die Landesanstalt für Medien NRW integriert wurde. Unter dem Namen Journalismus Lab fördert die LFM-NRW Journalistinnen, Journalisten und Organisationen bei Entwicklung und Umsetzung innovativer Projekte im Bereich Online, Video und Audio. Allerdings monieren Beobachter, dass viele Start-ups, die hier und anderswo gefördert werden, nur sehr am Rande mit Journalismus zu tun haben.

Zudem hat Nordrhein-Westfalen im Mai eine Bundesratsinitiative für gemeinnützigen Journalismus gestartet (siehe auch JOURNAL 4/19). Wenn sie durchkommt, hätten Vereine und Stiftungen, die Journalismus ohne Gewinnstreben unterstützen, steuerliche Vorteile.

Nicht zuletzt dreht sich eines der Themenforen bei der Ruhr-Konferenz der Landesregierung um Journalismus und Vielfalt, moderiert von Medienstaatssekretär Nathanael Liminski und von Andrea Donat, Chefredakteurin Radio Bochum und Beisitzerin im Vorstand des DJV-NRW (siehe JOURNAL 2/19).

Pakt für Lokaljournalismus

Angesichts des rasanten Verlustes an Presse- und Meinungsvielfalt gerade im Lokalen hat der DJV-NRW auf seinem Gewerkschaftstag 2019 einen Pakt für Lokaljournalismus ausgerufen (siehe auch JOURNAL 3/19) – als „gemeinsamen Kraftakt aller Akteure“. Um ausreichende Medienvielfalt in der Fläche sicherzustellen, richtet der DJV-NRW damit zahlreiche Forderungen an die Medienpolitik in Land und Bund. Dazu gehören auf Bundesebene unter anderem die Überprüfung des Tendenzschutzparagrafen, eine Ergänzung des Kartellrechts um den Aspekt Medienvielfalt und definierte Mindeststandards für die Gewährung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für journalistische Angebote.

Die Landesregierung soll Förderkonzepte für alternative Modelle von Lokaljournalismus entwickeln und Rahmenbedingungen schaffen, um eine journalistische Start-up-Kultur auf den Weg zu bringen und deren Entwicklung und Perspektiven wissenschaftlich zu begleiten. Wünschenswert sei eine technische Plattform, auf der sich eine neue journalistische Community entwickeln, vernetzen und auch vermarkten könne. Gefordert werden auch Maßnahmen zur Sicherung des NRW-Lokalfunks unter Beibehaltung des bewährten Zwei-Säulen-Modells. Nicht zuletzt spricht sich der DJV-NRW für eine Initiative zur Gemeinnützigkeit von Journalismus aus. /cbl

Scheinvielfalt im Lokalen

Die Medienhäuser selbst setzen in erster Linie auf Kostensenkung und Arbeitsverdichtung, oft um den Preis, weniger originäre Inhalte zu publizieren. Zunehmend verzichten Zeitungen auf den eigenen Mantel oder lassen sich einen erheblichen Teil der Mantelseiten zuliefern – wie aktuell das Westfalen-Blatt in Bielefeld (siehe „Westfalen-Blatt verliert eigenständigen Mantel“). Auch im Lokalen tauschen immer mehr Regionalblätter in NRW Inhalte oder produzieren direkt in gemeinsamen Redaktionen für verschiedene Titel. So entsteht auch im Lokalen oft eine Scheinvielfalt: Leserinnen und Leser können vielleicht zwischen Zeitungstiteln wählen, bekommen aber überall das Gleiche serviert.

Derweil müssen Redaktionen jeder Mediengattung alle digitalen Ausspielwege bedienen. Den Schichtbetrieb für das „Rund-um-die-Uhr-Produzieren“ verglich ein Betriebsrat letztens lapidar mit Industriearbeit. Und das vollmundige Versprechen, mit dem Medienhäuser die ausgedünnten Redaktionen und Inhalte schönreden, wird kaum mal eingelöst. Richtig spürbar wird jedenfalls nicht, dass die berühmten Synergien dazu dienten, den Redaktionen vor Ort Luft für aufwendige Recherchen zu verschaffen.
Wenn aber die „Optimierungsversuche“ am Bestehenden an die Grenzen stoßen: Wie können Konzepte jenseits bisheriger Strukturen entstehen? Ist es möglich, Menschen (wieder) für den Lokaljournalismus zu gewinnen? Das soll das MediaLab Ruhr ausloten, den die Ruhr-Konferenz jetzt auf Vorschlag des DJV-NRW aufsetzen wird. Im „Experimentierraum für den Journalismus der Zukunft“ sollen innovative Projekte im Austausch gerade mit den Menschen entwickelt werden, die bisher kein Interesse an Lokaljournalismus hatten oder die ihm enttäuscht den Rücken gekehrt haben.

Einen „Experimentierraum“ öffnen

Welche Antworten sich der Landesverband erhofft, erläutert Frank Stach: „Wir wollen verstehen, was diejenigen umtreibt, die nicht unsere Beiträge lesen, sehen oder hören wollen. Welche Informationsbedürfnisse und Themeninteressen haben diese Leute? Wie müssen wir uns als Medienmacher verändern, wie müssen wir den Lokaljournalismus neu aufstellen, damit wir sie dafür gewinnen?“ Am besten doch, indem sie sich aktiv einbringen können. Um erste journalistische Gehversuche zu erleichtern, sollen niedrigschwellige Angebote etwa in Bibliotheken oder Volkshochschulen entstehen.

Einbinden soll das MediaLab nach Vorstellungen des DJV-NRW alle Akteure, die heute schon nach neuen Wegen für den Lokaljournalismus suchen. Denn da gibt es schon einige. Wenn alle ihre Expertise einbringen, sollte es möglich sein, an die Stelle ratloser Diskurse etwas Neues zu setzen. ||

Die anderen Teile der Titelgeschichte aus JOURNAL 5/19:
Vielfalt wagen!
Eine wichtige Bastion
Lokaljournalistische Experimente (ergänzend zum Heft)


Ein Beitrag aus JOURNAL 5/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2019.