PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT |

Neben- statt Gegeneinander

BGH-Urteil zu Lensing gegen dortmund.de
16. Oktober 2022, Corinna Blümel

In welchem Umfang dürfen städtische Internetportale eigene journalistische Inhalte anbieten? Ab welchem Punkt gefährden sie die Pressevielfalt? Und was ist mit dem Gebot der Staatsferne von Medien? In diesem Punkt hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Juli ein Urteil gefällt, das bundesweit Beachtung findet (Az. I ZR 97/21): Danach ist das kommunale Portal dortmund.de nicht wettbewerbswidrig.

Der Rechtsstreit geht auf das Jahr 2017 zurück. Damals berichtete die Stadt auf ihrem Portal dortmund.de mit eigenen Reporterinnen und Reportern über kommunale Veranstaltungen, aber auch über Sport und kulturelle Ereignisse. Sogar bezahlte Anzeigen gab es seinerzeit auf der Seite. Diese sind verschwunden, und auch die Berichterstattung wurde zwischenzeitlich zurückgefahren.

Worauf Kommune und Verlag sich in Dortmund einigen können. Foto: Sulamith Sallmann
Worauf Kommune und Verlag sich in Dortmund einigen können. Foto: Sulamith Sallmann

Vorwurf: Die Grenzen überschritten

Gegen die Veröffentlichung redaktioneller Inhalte hatte 2018 das Dortmunder Medienhaus Lensing (Ruhr Nachrichten, ruhr24.de) geklagt. Der Vorwurf: Das Angebot sei presseähnlich und überschreite damit die Grenzen der zulässigen kommunalen Öffentlichkeitsarbeit. Das Landgericht Dortmund hatte Lensing Recht gegeben, vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm verlor der Verlag aber und nun auch vor dem BGH. Zwar betonte dessen Vorsitzender Richter Jörn Feddersen die Bedeutung der Pressefreiheit und der staatsunabhängigen Medien für die Demokratie. Die Öffentlichkeitsarbeit der Kommunen dürfe der freien Presse keine Konkurrenz machen oder sie gar in ihrer Existenz gefährden. Unter dem Strich kam der BGH aber zu dem Schluss, dass dortmund.de – trotz einzelner unzulässiger Texte – in der Gesamtbetrachtung nicht presseähnlich sei.

Die Entscheidung hat über NRW hinaus Signalwirkung: Die Frage, wie groß der Gestaltungsspielraum der Kommunen bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit ist, beschäftigt auch andere Verwaltungen und die betroffenen Medienhäuser. So ist am BGH noch ein weiteres Verfahren zum Stadtportal muenchen.de anhängig.

Verweis auf aktuelle Rechtsprechung

Wer in den Wochen nach dem Urteil auf dortmund.de stöbert, findet im Nachrichtenportal neben kommunalen Informationen auch Meldungen zur Namensgebung der Trauerschwäne auf dem Friedhof, Ankündigungen zur Sommerausgabe des Alternativ-Karnevals Geierabend und zum Tag der Trinkhallen im Ruhrgebiet, aber auch die Erinnerung daran, dass der 14. DFB-Bundestag im Juli 1962 in den Westfalenhallen den Grundstein für die Fußball-Bundesliga gelegt hatte. Unter den Texten steht jeweils der Vermerk: „Dieser Beitrag befasst sich mit Verwaltungsangelegenheiten der Stadt Dortmund. Dieser Hinweis erfolgt vor dem Hintergrund aktueller Rechtsprechung.“||

 

Kommentar Kristian van Bentem

Die richtigen Lehren ziehen

 

Kristian van Bentem ist stellvertretender Landesvorsitzender und Betriebsratsvorsitzender bei den Westfälischen Nachrichten in Münster. . | Foto: Alexander Schneider
Kristian van Bentem ist stellvertretender Landesvorsitzender und Betriebsratsvorsitzender bei den Westfälischen Nachrichten in Münster. . | Foto: Alexander Schneider

Dieses BGH-Urteil schafft keine Klarheit – im Gegenteil: Mit seiner „Wischiwaschi“-Entscheidung hat sich das ¬Gericht um klare Spielregeln gedrückt und die Unsicherheit sogar verschärft. Kommunen werden regelrecht ermuntert, die schwammigen Grenzen des noch erlaubten „Gesamtcharakters“ ihrer Internetauftritte auszuloten – zumal einzelne klare Verstöße gegen die Trennung von Staat und Presse, die auch der BGH im verhandelten Fall erkannt hat, keine Folgen haben. Verlagen wird dagegen aufgebürdet, die oft umfangreichen Onlineangebote von Kommunen zu überprüfen und als Klagende die Darlegungs- und Beweislast zu erbringen, dass die rote Linie überschritten ist. Zu befürchten steht, dass Verlage und Kommunen sich künftig häufiger vor Gericht treffen.
Das Urteil birgt zudem weitere Brisanz: Für Verlage ist es eine Existenzfrage, ihre Onlineangebote endlich nachhaltig zu monetarisieren. Kostenlose journalistische Inhalte von Verwaltungen sind deshalb kontraproduktiv und könnten zum Bumerang für Kommunen werden, in denen das Aus von Lokalredaktionen mit allen fatalen Folgen droht.
Allerdings – auch das gehört zur Wahrheit – Verlage wie Lensing-Wolff, die ihre -Lokalredaktionen in Grund und Boden ¬sparen, Angebote stetig eindampfen und durch Absprachen mit ehemaligen Kon¬kurrenten lokale Nachrichtenmonopole geschaffen haben, dürfen sich nicht wundern, wenn andere in diese Lücken stoßen wollen. Lensing und Co. sollten deshalb nicht nur das BGH-Urteil bejammern, sondern Lehren daraus ziehen.||

 

Kommentar Daniel Rüstemeyer

Urteil mit Signalwirkung

 

Die „Staatsferne der Presse“ ist von überragender Bedeutung, um eine freie und unabhängige Berichterstattung zu ermöglichen. Das BGH-Urteil ist dennoch zu begrüßen. Verwaltungshandeln muss transparent, zeitgemäß und modern kommuniziert werden. Dabei dürfen die Rechte der Pressefreiheit keinesfalls eingeschränkt werden. Die meisten kommunalen (Online-)Angebote beschränken sich auf Sachinformationen, allgemeine Themen bleiben tabu. Aber: Sport, Kultur oder Bildung sind immer auch dann Stoff für kommunale Öffentlichkeitsarbeit, wenn es sich um städtische Themen handelt.

Daniel Rustemeyer. Foto: privat
Daniel Rustemeyer ist Vorsitzender im Fachausschuss Presse und Leiter Kommunikation und Medien bei der Stadt Marl. Foto: privat

Fest steht: Das BGH-Urteil hat große Signalwirkung. Für die Medien kommt es ungelegen. Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, digitaler Wandel – die Verlage stecken in schwierigen Zeiten.

Von den journalistisch-handwerklichen Fähigkeiten in den Pressestellen profitieren insbesondere die oft dünn besetzten Lokalredaktionen. Kommunale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit trägt dazu bei, dass Journalistinnen und Journalisten staatliche Informationen prüfen, einordnen und erklären können. Keinesfalls dürfen sie dabei ihren Anspruch aufgeben, umfassend zu informieren. Nur so kann der Journalismus seine besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen erfüllen.

Der DJV hat die Pressestellen und Redaktionen nach dem BGH-Urteil zu einem fairen Miteinander aufgerufen. Das unterstütze ich ausdrücklich. Die Kommunikation zwischen Pressestellen und Redaktionen sollte auch in Zukunft von Vertrauen und gegenseitigem Respekt geprägt sein.||