Gut gefüllte Reihen beim Medientreff 2019 in Gelsenkirchen. | Foto: Philipp Kania
Gut gefüllte Reihen beim Medientreff 2019 in Gelsenkirchen. | Foto: Philipp Kania
 
LOKALFUNK

Tolle Ideen prallen auf harte Realität

Der Medientreff NRW widmet sich wieder dem Lokalfunk
15. August 2019, Sascha Fobbe

Neustart 2019: Nach einjähriger Pause gab es am 5. Juni im Wissenschaftspark Gelsenkirchen wieder ein Branchentreffen für Lokalfunk-Akteure aus NRW. Neues Organisationsteam, neuer Veranstaltungsort, neuer Termin und ein neues Konzept kennzeichneten die zehnte Auflage des Medientreffs NRW. Das MedienkompetenzZentrum des Katholisch-Sozialen Instituts und die MQ Gesellschaft für MehrQualität mbH waren 2017 als Hauptorganisatoren ausgestiegen. Der DJV-NRW, der Verband Lokaler Rundfunk in NRW e.V. (VLR) und der Verein der Chefredakteure im NRW-Lokalfunk wollten weitermachen und holten sich die Medien-Akademie Ruhr als neuen Partner ins Boot. Das neue Orga-Team war sich schnell einig, die Veranstaltung auf einen Tag zu beschränken und nicht mehr im September, sondern vor den Sommerferien stattfinden zu lassen.

Das Thema „Vom Radiosender zum Audio-Content-Anbieter?!“ bot sich fast von selbst an: Audio im Netz boomt, neue Podcast-Formate und Plattformen bringen Bewegung in die Nachfrage nach audio on demand. Das stellt den NRW-Lokalfunk vor neue Herausforderungen, bietet aber auch neue Möglichkeiten, lokale Nähe auszuspielen.

Von anderen lernen

Die Ausgangsfragen für den Medientreff 2019: Wie kann die digitale Transformation lokaler Radiomarken gelingen und was lässt sich aus anderen Radiomärkten lernen? Im Gegensatz zu früheren Veranstaltungen gab es keine medienpolitische Diskussion zu Beginn der Tagung und auch keine Diskussionspanel. Stattdessen lieferten Referenten vormittags Input zum aktuellen Stand und zur Zukunft der Audionutzung im Netz, zu Digital Storytelling und Podcasts. Nachmittags konnten die Erkenntnisse in Workshops vertieft oder ausprobiert werden, zusätzlich gab es einen Workshop zu Mobile Reporting.

Etwa 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Chefredaktion und Redaktion, aus Veranstaltergemeinschaften und Betriebsgesellschaften sowie von radio NRW nahmen am Medientreff teil, ebenso einige Externe. Wie schon in den vergangenen Jahren zeigten sich die Lokalfunk-Akteure interessiert an den Beispielen und Vorschlägen, zweifelten aber an der Machbarkeit in ihren Sendern. Die Redaktionen wollen gerne innovativ sein, neue Formate ausprobieren oder den Hörern mehr Nutzen bieten, haben aber nicht das Personal, um das umzusetzen. So stellte Matthias Leitner, Journalist und Storyteller beim Bayerischen Rundfunk, zum Beispiel das Projekt „#icheisner“ vor. Der öffentlich-rechtliche Sender Bayern 2 hatte 2018 über Messenger-Dienste die Bayerische Revolution aus der Sicht des ersten Bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner erzählt. Vier Monate lang waren fünf Leute dafür freigestellt, undenkbar im NRW-Lokalfunk.

Ob und wie technische Neuerungen und Formate umzusetzen sind, darüber diskutieren die Verantwortlichen im NRW-Lokalfunk seit langem. Da geht es zum einen um größere Themen wie die Frage, ob der Lokalfunk auch auf DAB+ setzen soll, zum anderen aber auch um den Sinn von Formaten, die sich nicht im linearen Programm abbilden lassen.

Braucht der Lokalfunk Podcasts?

Der Workshop „My Podcast“ sollte eigentlich dazu dienen, ein Podcast-Projekt durchzuspielen, stattdessen erörterten die Anwesenden die Frage, ob Sender Podcasts produzieren sollten. Sie müssten dafür zusätzlich investieren, ohne mehr Hörer oder höhere Werbeeinnahmen zu bekommen. „Unsere Aufgabe als VLR ist es, das Radio zu retten. Welchen Nutzen haben Podcasts für die Lokalfunk-Sender?“, fragte zum Beispiel Dr. Horst Bongardt, Vorsitzender des VLR. „Das ist wie bei den Zeitungen vor 20 Jahren“, entgegnete eine Teilnehmerin, „die haben sich damals gefragt: Wozu brauche ich eine Homepage, das bringt keine Abonnenten. Der Lokalfunk sollte den Trend nicht verschlafen!“

Mathias Milberg im Workshop. | Foto: Philipp Kania
Mathias Milberg im Workshop. | Foto: Philipp Kania

Referent Matthias Milberg von podcastberatung.de, Köln, mahnte, auch auf die Zeit nach UKW zu schauen und Podcasts als ergänzende Werbemöglichkeit zu sehen: „Ich ruhe mich auf der Quote aus und mache in 20 Jahren zu? Das kann es nicht sein.“ Mit Podcasts produziere ein Sender exklusiven Content auch fürs Radio, das sei ein junges Produkt, das auch für eine junge Zielgruppe „sexy“ sei.

Was bleibt, wenn UKW weg ist?

Wie wichtig Podcasts für Radiosender sind, hatte zuvor auch Marc Krüger, Audio-Redakteur bei t-online/Ströer News Publishing GmbH, in seinem Vortrag aufgezeigt: Der typische Podcast-Hörer sei jünger als 49 Jahre, und „wer jung ist und Podcasts hört, wird damit nicht aufhören, nur weil er älter wird“. Die Lokalfunksender müssten sich überlegen, was bliebe, wenn UKW weg sei. Die Vorteile, die Radio noch habe, zögen dann nicht mehr: Musik bekämen Nutzer jetzt schon über Streamingdienste, Wetter und Verkehr über Smartphone-Apps, Interaktion über Social Media und Wortbeiträge über Podcasts. Die lineare Radionutzung gehe besonders bei Jüngeren immer weiter zurück, darauf müssten sich die Sender einstellen: „Podcasts sind fürs Radio, was Netflix fürs Fernsehen ist.“

Einige Lokalfunksender in NRW produzieren schon eigene Podcasts, manche mit, andere ohne zusätzliches Personal. Generell klagen die Lokalfunksender aber darüber, dass ihnen die Ressourcen fehlen, um neue Ideen umzusetzen. Das war schon bei den vergangenen Medientreffs ein Thema.

Die Veranstaltergemeinschaften würden gerne mehr Personal für Digitales einstellen, das Geld dafür müssten die Betriebsgesellschaften geben. Viele Betriebsgesellschaften seien aber „bislang zurückhaltend bei Digitalem“, so war es von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu hören. Auf die Frage, was im NRW-Lokalfunk fehle, betonte Matthias Leitner in der Abschlussrunde: „Geschäftsführungen mit Visionen“ seien wichtig, um die digitale Transformation nach vorne zu bringen. Und er regte an, in Zukunft über digitales Change Management zu reden.

Weiterdenken im Barcamp

„Tolle Ideen prallen auf harte Realität“ fasste Stanley Vitte, Referent Online-Kommunikation und Events im Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW (LFM NRW), den Medientreff zusammen. Damit es dieses Mal nicht dabei bleibt, diskutierten einige Chefredakteurinnen und Chefredakteure in einem spontanen Barcamp mit Vitte Lösungen, wie neue Ideen im Lokalfunk-Alltag umgesetzt werden könnten.

Abschlussrunde mit (v.l.) Moderatorin Colleen Sanders, Stanley Vitte von der LFM NRW und Timo Fratz, Chefredakteur Radio Bielefeld. | Foto: Philipp Kania
Abschlussrunde mit (v.l.) Moderatorin Colleen Sanders, Stanley Vitte von der LFM NRW und Timo Fratz, Chefredakteur Radio Bielefeld. | Foto: Philipp Kania

Die Idee: Ein Start-up für Digitales als gemeinsames Projekt aller Sender im NRW-Lokalfunk. Fünf Volontäre könnten zusammen in einer WG wohnen und für zwei Jahre viele digitale Dinge ausprobieren. Wenn alle Sender sich beteiligten, ließe sich das finanzieren. Dann würde sich auch zeigen, welche Betriebsgesellschaft zum NRW-Lokalfunksystem stehe oder nicht, sagte ein Chefredakteur in Anspielung auf die momentan schwierige Situation im Lokalfunk. Auch Crowdfunding oder eine Förderung durch die LFM NRW spielten die Chefredakteure im Barcamp gedanklich durch. Ob die LFM NRW Geld zur Verfügung stellen würde, konnte Vitte nicht versprechen, aber „wir fördern Innovatives“. Er lud die Chefredakteurinnen und Chefredakteure ein, sich mit der LFM NRW zusammenzusetzen und zu sehen, was machbar sei.

Generell kam der Medientreff 2019 bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut an. Sie lobten den Blick von außen mit Referenten, die aus anderen Radiomärkten kommen und den Austausch mit Fachleuten, die sich in neuen Themen oder Formaten auskennen. „Toll, dass der Medientreff nach einem Jahr wieder stattfindet!“, sagte ein Teilnehmer.

Was noch zu verbessern ist

Kritik gab es aber auch: Die Referenten waren alle männlich, fürs nächste Mal versprachen die Organisatoren mehr Expertinnen. Prüfen wollen die Verantwortlichen auch die Anregung, den Medientreff an einem Samstag stattfinden zu lassen. Der Vorteil: So könnten mehr Redakteurinnen und Redakteure dabei sein.

„Das war ein gelungener Neustart nach einem Jahr Pause“, meinte Timo Naumann, Geschäftsführer des VLR. Kerstin Loos, Mitglied der Geschäftsleitung der Medien-Akademie Ruhr, freute sich über das konkrete Ergebnis, ein gemeinsames digitales Projekt zu entwickeln. Zufrieden waren auch Moderatorin Colleen Sanders und Moderator Thorsten Kabitz, die als VdC-Mitglieder zu den Organisatoren der Veranstaltung gehörten. „Wir waren ganz nah am Alltag in den Redaktionen“, erklärte Sanders. „Es ging genau um die Fragen, die alle Radiomacher gerade beschäftigen. Das war unser Ziel!“ Und Kabitz ergänzte: „Da gab es viele gute Anregungen, für die wir aber auch die technischen und personellen Rahmenbedingungen in den Redaktionen brauchen.“

Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW, hob die Bedeutung des Medientreffs hervor: „Der Austausch untereinander, die Entwicklung von Ideen und Input sind für die Branche wichtig. Der Lokalfunk ist eine wichtige Säule im NRW-Mediensystem, deshalb ist der DJV-NRW auch nächstes Jahr wieder dabei!“ Wie der Medientreff 2020 aussehen wird, steht noch nicht fest. Die Organisatoren wollen nun erst einmal die Teilnehmerbefragung auswerten und dann in die Planung gehen.||

Die Autorin war für den DJV-NRW im Vorbereitungsteam des Medientreffs.

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2019.