Welche Lokalfunkstation hören die Menschen im Ennepe-Ruhr-Kreis künftig, etwa in Hattingen, Gevelsberg, Witten und Herdecke? Ist dort weiterhin Radio Ennepe Ruhr zu empfangen oder wird die Region zum weißen Fleck im NRW-Lokalfunk? Die Gefahr besteht, denn der Lokalsender könnte zum Jahreswechsel ohne Betriebsgesellschaft (BG) dastehen: Die Funke-Tochter Westfunk hatte als Mehrheitseignerin im Frühjahr angekündigt, sich aus der BG von Radio Ennepe Ruhr zurückzuziehen (siehe JOURNAL 2/20). Weiterer Gesellschafter ist der Ennepe-Ruhr-Kreis.
In einem internen Schreiben hatte Westfunk-Chef Axel Schindler schon vor Beginn der Coronakrise erklärt, man rechne für 2020 nicht mit positiven Betriebsergebnissen bei Radio Ennepe Ruhr. Um eine Insolvenz zum Jahresende 2020 zu vermeiden, sei die Kündigung unvermeidlich. Schon im Frühjahr war deshalb klar: Falls sich für die Funke-Anteile der BG keine neuen Eigner finden, droht das Aus für Radio Ennepe Ruhr. Die Beschäftigten haben ihre Kündigung bereits erhalten. Der DJV-NRW hat die Kolleginnen und Kollegen in diesem Prozess beraten.
Zwischenlösung mit radio NRW
Noch hofft die Veranstaltergemeinschaft (VG) allerdings, das endgültige Aus abbiegen zu können. Das Landesmediengesetz sieht für so einen Fall vor, dass ein Mantelanbieter für maximal ein Jahr einspringen kann. Die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) will diesen Weg wohl gehen. Entsprechend will radio NRW beantragen, die Frequenz für den Ennepe-Ruhr-Kreis zwölf Monate zu bespielen, sagt Geschäftsführer Sven Thölen. Falls die VG zwischenzeitlich eine neue BG finde, werde man natürlich zurücktreten. Es sei ja im Interesse von radio NRW, dass die Frequenz für den Lokalfunk erhalten bleibe.
Geplant sind nach Thölens Aussage 24 Stunden Programm inklusive Kennung von Radio Ennepe-Ruhr. Dabei könne er sich auch „vorstellen“, dass „in geringem Umfang“ lokale Nachrichten dabei seien. Dem Vernehmen nach will man dafür auf bisherige Mitarbeitende von Radio Ennepe Ruhr zurückgreifen.
Der DJV-NRW begrüßt den Aufschub, beobachtet den Vorgang aber sehr genau. Geschäftsführer Volkmar Kah: „Keinesfalls darf hier ein Modell entstehen, wirtschaftlich schwache Sender durch eine zentrale Lösung zu ersetzen – mit minimalem Etat und bescheidener Qualität.“
Der VG-Vorstand gibt noch nicht auf. Seit dem angekündigten Rückzug von Westfunk hat er viel Zeit und Energie in die Suche nach neuen Investoren gesteckt. Unter anderem bei den Medienhäusern, die BG-Anteile in umliegenden Sendegebieten halten: Lensing-Wolff (Radio 91.2 und Antenne Unna), Ippen (Radio MK) und Rheinische Post (Radio Wuppertal). Bisher vergeblich: Bis Ende November wollte sich keines der Medienhäuser auf den Deal einlassen.
Auch der Gesprächsfaden zu Westfunk ist noch nicht ganz abgerissen. Das liegt unter anderem daran, dass es für die VG extrem schwierig ist, belastbare wirtschaftliche Daten zu erhalten. Vieles ist intransparent, weil Westfunk als Mehrheitseignerin von insgesamt zehn Betriebsgesellschaften in der Region die Posten untereinander verrechnet. So lässt sich kaum zuordnen, welcher Anteil bei bestimmten Posten auf den einzelnen Sender entfällt.
Zwar soll Westfunk dem VG-Vorstand auch signalisiert haben, dass es nach dem 1. Januar 2021 vielleicht doch gemeinsam weitergehen könnte, aber bis Ende November hatte sich nichts getan. Eine solche Verlängerung hatte der DJV-NRW schon im Frühjahr gefordert, falls noch keine neue BG gefunden sei. Jörg Prostka, Vorsitzender des Märkischen Pressevereins sowie von 2001 bis 2011 und wieder seit März 2020 Mitglied in der VG von Radio Ennepe Ruhr, setzt auch nicht viel Hoffnung in eine solche Lösung: „Vermutlich wäre das nur unter Bedingungen möglich, die für die VG kaum akzeptabel wären. Wichtig ist die Kompetenz und Präsenz vor Ort im Ennepe-Ruhr-Kreis. Uns geht es ja um den Erhalt sowohl des redaktionellen Angebots in der bekannten Qualität als auch der journalistischen Arbeitsplätze für Feste und Freie.“
Hinzu kommt, dass Funke eine eigene Agenda für den Lokalfunk in der Region hat. Schon 2018 hatte das Medienhaus verkündet, Verluste einzelner Betriebsgesellschaften nicht mehr mit Gewinnen aus anderen Westfunk-Sendern kompensieren zu wollen (siehe JOURNAL 6/18). Nun schafft die Funke-Tochter Fakten.
Funke will größere Einheiten
Dabei war Westfunk im vergangenen Jahr mit dem Versuch gescheitert, Radio Ennepe Ruhr mit Radio Hagen zu fusionieren. Die Redaktionen der beiden Lokalradios sitzen im gemeinsamen Funkhaus in Hagen, machen aber jeweils ihr eigenständiges Programm. Damals konnte sich die VG von Radio Ennepe Ruhr gegen die Verschmelzung wehren und sogar mögliche Träger für eine neue Betriebsgesellschaft gewinnen. Deren Einstieg hatte die Westfunk allerdings verhindert.
„Das ist ja ein altbekanntes Muster“, erklärt Kah. „Die Zeitungsverleger in NRW tun seit jeher alles, damit ihnen vor der Tür keine mögliche Konkurrenz erwächst. Funke möchte also das Sagen behalten, aber die Bedingungen zu seinen Gunsten verändern. Was denen letztlich vorschwebt, ist ein Regionalsender für das Ruhrgebiet.“
Wichtige publizistische Größe
Medienpolitisch steht das allerdings in klarem Widerspruch zum bisherigen Modell des NRW-Lokalfunks, an dem die Verleger schon länger an verschiedenen Ecken schrauben wollen. „Aus unserer Sicht muss der Lokalfunk gerade in seiner Vielfalt erhalten bleiben“, macht Kah klar. „Gerade jetzt, wo immer mehr Lokalzeitungen fusionieren oder Inhalte miteinander austauschen, ist der Lokalfunk in NRW ein wichtiger Garant für publizistische Vielfalt im Lokalen.“
So belegt der Vorgang um Radio Ennepe Ruhr aus Sicht des DJV-NRW einmal mehr, wie wichtig es ist, die Rolle der Veranstaltergemeinschaften im Zweisäulenmodell zu stärken. „Der Gesetzgeber muss bei der Novelle des Landesmediengesetzes endlich klare Verhältnisse schaffen“, fordert Kah. Der DJV-NRW ist deswegen schon länger mit den entscheidenden Akteurinnen und Akteuren der Medienpolitik im Gespräch und hat entsprechende Vorschläge unterbreitet.
Falls alle Stricke reißen, hat Jörg Prostka eine mögliche Lösung im Auge, die außerhalb des bisherigen Rahmens liegt – ohne Beteiligung eines Medienhauses. „Ich könnte mir vorstellen, dass eine Genossenschaft die BG-Anteile übernimmt.“ Nach Auskunft des Genossenschaftsverbands ist das möglich, die LfM hat nach Prostkas Auskunft noch keine rechtliche Einschätzung dazu.
„Es wäre sicher schwierig, unter Coronabedingungen eine Fundraising-Kampagne zu stemmen. Der Finanzbedarf liegt immerhin bei rund 750 000 Euro. Aber es wäre den Versuch wert, auch um die Redaktion zusammenzuhalten, die trotz des angekündigten Westfunk-Rückzugs in diesem schwierigen Coronajahr einen tollen Job gemacht hat.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 6/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2020.