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Neulich… In der Konferenz

Glosse
25. März 2024, Karlheinz Stannies

Der Lokalchef scrollte bei der Konferenz durch die lange Liste mit Diagrammen und Zahlen. „Der verschwundene Hund wurde prima geklickt“, meinte er, „da sollten wir nochmal nachdrehen.“ Die Redaktion rollte mit den Augen. Der Köter war doch längst wieder zu Hause. „Ja“, sagte der Leiter, „aber die Leute wollen bestimmt wissen, wie herzzerreißend das Wiedersehen war. Da sind sicher noch Nachfolgeartikel drin. Wir merken ja, wenn das Interesse nachlässt.“

Alles wurde gemessen. Welche Texte wie oft angeklickt und wie weit gelesen wurden. Der abgehauene Fiffi hatte zudem für zwei Digital-Abos gesorgt. Sitzungen von Ratsausschüssen dagegen wurden oft geschlabbert, weil die Berichte kaum geöffnet und selten zu Ende gelesen wurden. Die Politik konnte unbeobachtet schalten und walten.

Was war nur aus dem guten alten Journalismus geworden? Was aus Fakten, Fakten, Fakten? Oder aus bedachter Einordnung und ermöglichter Meinungsbildung? Heute geht’s um Klicks und Abos – egal wie. Ständig riefen die Online-Scharfmacher bei uns an, damit wir Wörter wie Ampel, Ausländer und Angst in die Texte mischten. Oder wenigstens Helene Fischer. Bringt mehr Traffic. In mancher Nachrichtenredaktion knallen heutzutage die Korken, weil Taylor Swift im Football-Stadion gepupst hat. Das garantiert Klick-Orgien.

Wir fragten uns manchmal, was so manche Info-Gelüste und Aufreger-Vorlieben eigentlich über unsere Lesenden, Hörenden und Schauenden aussagen. Sind sie von guten Geister:innen verlassen? Geschieht Themenauswahl nach dem Motto: Dumm klickt gut? Halt, halt, Kundinnen und Kunden darf man nicht kritisieren. Wer Schrott möchte, soll Schrott erhalten. Hauptsache zufrieden. Früher waren die Ansprüche der Medien an sich selbst allerdings irgendwie andere.

„Nach wochenlangem Schweigen“, rief eine Jung-Onlinerin dazwischen: „Jetzt rede ich!“ Ihr Kollege widersprach: „Vorher breche ich mein Schweigen!“ Wir wussten:
Eigentlich würden beide erst später was sagen, wenn überhaupt. Sie wollten uns nur neugierig machen. Teasern sitzt halt so drin.

„Hey“, orderte der Chef, „lies mal einer quer, was die Künstliche Intelligenz aus den Polizeimeldungen gemacht hat.“ Kürzlich waren Nachrichten aus der Nachbarstadt erschienen. Kann passieren, vor allem wenn der Praktikant frei hat.

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Übrigens: Dieser Text hier hat die Chance, gut geklickt zu werden. Er enthält die Wörter Ampel, Ausländer und Angst. Und sogar Helene Fischer.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 1/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im März 2024.