Eine junge Frau arbeitet mit Laptop in der Küche.
Homeoffice, notfalls auch in der Küche, ist für viele Freie Alltag, den sie souverän meistern. Aber in Ausnahmesituationen brauchen sie Solidarität. | Foto: kastoimages
 
THEMA | Vom Umgang mit Freien

Allein oder gemeinsam?

In der Krise zeigt sich, wie es um die Solidarität mit Freien steht
8. April 2020, Werner Hinse

Es gibt den Moment, da glaubst du, du bist allein mit diesem Alptraum. Mit einem leeren Konto. Oder einem leeren Terminkalender. Und ohne Ideen, wie es weitergehen kann. Solche Ängste hat jede freie Journalistin und jeder freie Journalist schon mal durchgespielt. Oder du träumst, du stehst allein da. Widerwärtige Kommentare prasseln im Internet auf dich ein, Trolle folgen dir über Tage bis in jeden deiner privaten Social-Media-Accounts. Deine Redaktion zeigt dir die kalte Schulter. Achselzucken. Selbst schuld. Und du kriegst keine Jobs mehr von ihnen. Noch ein Alptraum für Freie.

Normalerweise wachst du morgens auf und bist überzeugt, dass deine Alpträume wie immer mit dem ersten Kaffee verschwinden. Diesmal nicht. Es ist Freitag, der 13. März 2020, ein schwarzer Freitag. Schon am Nachmittag häufen sich die Absagen von Aufträgen. Zuvor noch ganz wichtige Termine werden verschoben, und es gibt neue Dienstpläne – ohne dich. Dein persönliches Corona-Loch ist da.

Auch die A-Kunden brechen weg

„Gähnende Leere hier“, sagt ein junger Freier am Telefon drei Tage später über seine Auftragslage. „Vorige Woche war das noch alles voll, bis weit nach Ostern.“ Der leere Terminkalender ist vollkommen ungewohnt für den freien Journalisten, der schon auf gut ein Jahrzehnt Selbstständigkeit zurückblickt. Durststrecken hat er schon gehabt. Aber gar keine Aufträge, das kannte er bisher nicht. Kaum war das Thema Corona raus, kaum wurden in Redaktionen und Pressestellen die Dienstpläne eingekürzt, da hagelte es bei ihm Absagen. Nicht nur von einmaligen Kunden. Nein, auch von seinen A-Kunden, die er seit Jahren zuverlässig mit Fotos, Videos und Texten beliefert.

Er hat bislang gut verdient, sagt der junge Kollege. Aber ausgerechnet vor ein paar Monaten hat er endlich mal wieder in seine Ausrüstung investiert. Und wie lange reichen bei ihm die Finanzen? „Vielleicht bis Ostern, wenn ich nicht zu viel ‘raushaue.“ Und danach? „Tja“, sagt er und schiebt leise hinterher: „Mal sehen“.

„Ich habe noch einen Auftrag“, sagt ein anderer Freier aus dem Ruhrgebiet. „Wenn der fertig ist, dann werde ich wohl Fenster putzen, die Wohnung sauber machen.“ Denn auch bei ihm kommen keine Jobs mehr rein. „Ich hab‘ dann nichts mehr zu tun.“

Ein finanzielles Desaster

Die Corona-Krise ist für die meisten freien Journalistinnen und Journalisten ein finanzielles Desaster. Der DJV-Vorsitzende Frank Überall schreibt in einem Brief an die Mitglieder: „Es sind die Freien, denen die Aufträge wegbrechen, die mit großer Sorge auf ihr Konto schauen und nicht wissen, wie es weitergeht.“ Erstaunlich für viele Freie: Die Gesellschaft merkt‘s diesmal. Und das fühlt sich an wie Solidarität, dieses von vielen als altmodisch gescholtene Gefühl.

„Dass Journalisten nicht irgendeine Berufsgruppe sind, sondern systemrelevante Tätigkeiten ausüben, haben wir in diesen Tagen deutlich gemacht“, schreibt Überall. NRW, Sachsen und Bayern haben Journalistinnen und Journalisten schon einmal den Status Systemrelevanz verliehen. Eine wichtige Entscheidung, damit die Berichterstattenden wenigstens ihre Kinder gut betreut wissen.

Allerorten suchen Journalistinnen und Journalisten gemeinsam mit anderen Kreativen und ihren Verbänden nach Lösungen für das Dilemma, in dem alle Selbstständigen durch Corona stecken. Darunter auch der DJV auf Bundes- und Landesebene. Während die Geschäftsstelle des DJV-NRW vorwiegend auf Homeoffice umgestellt hat, arbeiten Geschäftsführer Volkmar Kah und Justiziar Christian Weihe zusammen mit dem Landesvorstand an vielen Themen, darunter besonders auch an allem, was die Freien auffängt.

Normalerweise wenden freie Journalistinnen und Journalisten sich an Weihe und seine Kolleginnen Dr. Constanze Berkenbrink und Karoline Sieder, wenn es mit Honoraren hakt oder wenn ein Vertrag zu prüfen ist. Jetzt ist bei vielen Anfragen die ängstliche Stimmung deutlich spürbar. Die Fragen der Freien drehen sich zum Beispiel um Ansprüche bei stornierten Aufträgen oder den Bedingungen, unter denen man Arbeitslosengeld beantragen kann, falls man freiwillig eingezahlt hatte. Fragen mit einer gewissen Allgemeingültigkeit beantwortet der DJV-NRW direkt so, dass sie auch in die Ratgebersammlung im Netz einfließen können (djv-nrw.de/corona).

Zur Lösungssuche unter den Kreativen gehören auch Eigeninitiativen wie die Petition, die für sechs Monate ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle fordert: „Schnell, unbürokratisch, zeitlich begrenzt. Das würde den sozialen Absturz Tausender verhindern und gleichzeitig die Kaufkraft im Land erhalten.“ Die Petition mit rasch wachsender Unterstützung zielt im Kern auf die rund vier Millionen Selbstständigen und Kreativen, die sich zu den Verwundbarsten des Zwangsstillstands zählen dürfen, wie es die Süddeutsche Zeitung formuliert.

Andere Urheber und Urheberinnen haben sich an die VG Wort gewandt, die 240.000 Schreibende und 8.000 deutsche Verlage vertritt, und sich für eine vorgezogene Hauptausschüttung stark gemacht. Die Verwertungsgesellschaft meldete sich bei ihren Wahrnehmungsberechtigten mit einem Sonder-Newsletter: Auch wenn sie sehe, wie dramatisch die wirtschaftliche Situation von Urhebern und Verlagen gerade sei, könne sie die Ausschüttung nicht vorziehen. Sie verwies auf die Sozialfonds der Verwertungsgesellschaften Wort und Bild Kunst. Wer einen Wahrnehmungsvertrag mit der jeweiligen Verwertungsgesellschaft geschlossen habe, sei grundsätzlich antragsberechtigt. Allerdings sind auch die Mittel der Sozialfonds begrenzt. Deswegen lenkte die VG Wort in ihrem Newsletter den Blick zugleich auf staatliche Hilfen für Solo-Selbstständige und Unternehmen der Kreativwirtschaft, die geplant und teilweise bereits abrufbar seien.

Zeitig Hilfen angemahnt

Ein Erfolg für den DJV, der „bereits in der vergangenen Woche bei der Bundesregierung Hilfen für die freien Journalistinnen und Journalisten angemahnt“ habe, wie Überall schrieb. „Offenbar mit Erfolg.“ Nicht einmal eine Woche nach dem schwarzen Freitag verständigte sich das Bundeskabinett auf Unterstützungsleistungen für Solo-Selbstständige. Es tut sich konkret etwas: In Bayern können Freie bereits seit dem 17. März auf Hilfen der Landesregierung zählen, und in Berlin sind Zuschüsse von bis zu 15.000 Euro in der Planung. [Stand dieses Textes 24. März 2020, Aktualisierungen zu den Hilfen für Freie und Angestellte unter djv-nrw.de/corona].

NRW muss allerdings noch folgen. Zwar hat das Land am 23. März seinen Rettungsschirm verabschiedet, der in Ergänzung zu den Soforthilfen der Bundesregierung auch Kleinunternehmen, Solo-Selbständigen und Kulturschaffenden helfen soll. Aber der DJV-NRW mahnte bessere Regelungen für die rund 10.000 freien Medienschaffenden in NRW an, von denen die meisten Solo-Selbstständige sind und überwiegend auftragsbezogen arbeiten. Viele Freie müssten mindestens von März bis Juni mit einem Umsatz „Null“ rechnen, zum Beispiel diejenigen, die in Bereichen wie Foto und Film bzw. in der Reise-, Veranstaltungs- oder Gerichtsberichterstattung tätig seien. Im gegenwärtigen Wirtschaftseinbruch böten sich für sie auch keine erkennbaren alternativen Aufgabenfelder.

Der DJV-NRW fordert deswegen die Übernahme des vollen Verdienstausfalls sowie der weiterlaufenden Betriebskosten von Selbstständigen. „Freie benötigen umgehend monatliche Zuschüsse, um bereits jetzt vorliegende Liquiditätsengpässe kurzfristig zu überbrücken. Dabei geht es oftmals schlicht um die Kosten der allgemeinen Lebenshaltung wie Miete usw.,“ erklärte der DJV-Landesvorsitzende Frank Stach. Bis das JOURNAL im April erscheint, ist hoffentlich vieles besser geregelt.

Es gibt noch ein paar weitere Wege, um die Folgen eines Auftragseinbruchs zumindest etwas zu mildern. Der DJV-NRW hat auf seinen Seiten zügig wesentliche Tipps zusammengestellt, um in der Krise den finanziellen Aufwand herunterzufahren (siehe Kasten).

Auftragseinbruch: Die Folgen abmildern

Was können Freie tun, wenn ihre Einkünfte wegbrechen? Natürlich für geleistete Arbeiten schnell Rechnungen stellen und ausstehende Honorare in der angemessenen Frist höflich, aber bestimmt einfordern. Und vor allem Kosten senken, wo möglich. Der DJV-NRW hat dazu Ratschläge in seinem Corona-Dossier zusammengestellt, das regelmäßig aktualisiert wird.

• Ein wichtiger Schritt: Sich ans Finanzamt oder den Steuerberater wenden, um die laufenden Vorauszahlungen zur Einkommensteuer herabzusetzen. Wenn Umsatzeinbrüche absehbar sind, kann man die Vorauszahlungen, die ja auf den Einnahmen der vorigen Jahre basieren, neu festsetzen lassen. Für die Senkung der Vorauszahlungsbeträge müssen handfeste Gründe auf den Tisch. Befürchtungen allein reichen nicht, aber vielleicht eine Liste abgesagter Aufträge.

• Fällige Steuern kann das Finanzamt stunden, „wenn die sofortige Entrichtung der vollen Steuer mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Eindringlichkeit der Abgabe durch den Aufschub nicht gefährdet wird“. Eine solche „erhebliche Härte“ liegt bei einer nachweislich wirtschaftlichen Notlage oder einer finanziellen Bedrängnis vor. Allerdings darf die Zahlung der Steuer durch den Aufschub nicht gefährdet werden. Deswegen darf der finanzielle Engpass nur vorübergehend bestehen oder die Zahlungen müssen ggf. durch Vermögenswerte gesichert sein.

• Bei der Künstlersozialkasse (KSK) lässt sich die Schätzung des Einkommens fürs laufende Jahr nach unten korrigieren, wenn plötzlich Aufträge weggebrochen sind. Ansonsten zahlen Freie in den kommenden Monaten zu hohe Beiträge für Rente und Krankenversicherung. Auch hier gilt: Die Reduzierung der KSK-Beiträge gilt nicht rückwirkend. Also sollte man sich schnell um die Änderung kümmern. Allerdings ist das ein Schritt mit Konsequenzen: Wer seine Schätzung nach unten korrigiert, erhält im Fall einer Krankheit auch weniger Krankengeld.

• Für Kolleginnen und Kollegen, die durch alle Maschen fallen, gibt es seit 1960 den Unterstützungsverein des DJV-Landesverbands NRW, kurz U-Verein genannt. In „äußersten Notlagen“ kann der Verein bedürftige Kolleginnen und Kollegen sowie Hinterbliebene unterstützen, erklärt dessen Schatzmeister Helmut Dahlmann. Der Vorstand um den Vorsitzenden Klaus Johann trifft schwierige Entscheidungen. Ihre Maßgabe, sagt Dahlmann: „Wenn Kolleginnen und Kollegen das Wasser bis zum Hals steht, es keine Aufträge, keine Ersparnisse und keine Hilfen von Staat gibt, in solchen Fällen helfen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten.“ /whi

djv-nrw.de/corona

Und wie sieht es im Alltag aus?

Was Freie gerade an Solidarität zu spüren bekommen, war und ist für viele von ihnen in ihrem Berufsalltag bislang eher die Ausnahme. In den Wochen vor Corona hat das JOURNAL ausgelotet, wie Medienunternehmen und Redaktionen in NRW es mit ihren Freien halten. Gelten im Alltag und ohne Corona-Druck Solidarität und Kollegialität? Oder stehen Freie eher allein im Regen?

Wie oft bei solchen Recherchen wollten Kolleginnen und Kollegen – egal ob Freie oder Festangestellte – nur anonym zu Wort kommen. Sie sprechen über die Lage in den journalistischen Betrieben in NRW, nennen Beispiele für Missachtung von Freien oder berichten von Chefs, die als Sadisten verrufen sind. Aber aus Sorge um künftige Jobs oder das Ansehen im eigenen Haus soll oft nicht mal die Zugehörigkeit zu Verlag oder Sender erkennbar sein, auch Orte müssen verschleiert werden.

Wie also sieht es aus mit der Solidarität für Freie? Bei den Tageszeitungen schlägt sie sich jedenfalls nicht in der Bezahlung nieder (siehe Die Zeitungsbranche – ein Trauerspiel). Die Honorare sind so schlecht, dass viele Lokalredaktionen inzwischen auf nebenberufliche Freie wie etwa Rentner zurückgreifen. Die haben Zeit für lange Abende mit Schützenvereinen und Landfrauen und sind obendrein finanziell abgesichert. Gerade in ländlichen Regionen gehen Redaktionen mit ihren Freien deswegen längst eher sorgsam um, weil anders als früher nicht endlos weitere Bewerberinnen und Bewerber vor der Tür stehen.

„Meine Freien sind mir genauso lieb wie meine Festen“, sagt denn auch der Lokalchef einer Tageszeitung im Westfälischen. Das klingt schön. Wenn einer mal Mist gebaut habe, so erzählt er, dann werde das glattgezogen. Solidarisch und kollegial. Blumenstrauß nach draußen. Korrektur im Blatt. Ein langes Gespräch mit ihm, dem Chef. Punkt. Das war‘s – und in der robusten Welt des Tageszeitungsjournalismus geht es weiter.

Mehr Solidarität erwünscht

Ganz so solidarisch und kollegial läuft es allerdings oft nicht, wenn man genauer nachhorcht. Eine Zeitungsredakteurin, die früher lange als Freie in verschiedenen Bereichen gearbeitet hat, kann sich an Fälle erinnern, wo sie sich deutlich mehr Solidarität der jeweiligen Redaktion für ihre Freien gewünscht hätte.

„Wenn es bei der Blattkritik um einen Text geht, der von außen kritisiert wird oder sogar einen Shitstorm nach sich zieht, dann läuft es in der Regel darauf hinaus, dass die Schuld allein bei der oder dem Freien gesehen wird“, fasst sie ihre Erfahrung zusammen. Wie oft hat sie sich darüber geärgert, dass die Redaktion sich dann nicht selbstkritisch fragt, warum sie den Auftrag so erteilt und den Beitrag dann auch in dieser Fassung ins Blatt oder in die Sendung gehoben hat. „Hat nicht derjenige, der einen Text oder Beitrag abnimmt, eine mindestens genauso große Verantwortung?“

Ein Blumenstrauß als Entschuldigung, wenn was schief gegangen ist? Das dürfte heute eher selten noch funktionieren. | Foto: txt
Ein Blumenstrauß als Entschuldigung, wenn was schief gegangen ist? Das dürfte heute eher selten noch funktionieren. | Foto: txt

Dass einzelne Texte misslingen, dass man vielleicht in Social Media den Ton nicht trifft und in eine Hasswelle gerät: Wer wollte sich schon davon freisprechen, dass das passieren kann? In der gegenwärtig aufgeheizten Stimmung reicht dies oft schon für große digitale Aufregung (siehe auch Empörungsverstärker, JOURNAL 1/20). Der „Blumenstrauß nach draußen“ dürfte als Lösung deswegen heute eher die Ausnahme sein.

Was die Kollegin deswegen umtreibt, ist die Frage, bis zu welchem Punkt Redaktionen dann hinter jemandem stehen, der wegen eines Fehlers oder vielleicht auch nur einer unglücklichen Formulierung im Feuer steht. „Das ist schon bei Festangestellten nicht immer optimal. Aber gerade für die Freien würde ich mir wünschen, dass Redaktionen deutlicher Verantwortung übernehmen und die Betroffenen schützen.“

Rückendeckung wird zum Thema

Sie steht mit diesem Anliegen nicht alleine da. Das Thema der oft nicht hinreichenden Rückendeckung für Freie ist in den vergangenen Monaten dringlicher geworden. Denn viel zu oft geht es heutzutage nicht nur darum, ob ein Beitrag in der Redaktionskonferenz nicht gut ankam oder ein, zwei unzufriedene Leserbriefe oder Höreranrufe eingehen. Heute müssen gerade auch Freie damit rechnen, dass Kritik aus den sozialen Netzwerken auf sie einprasselt. Und dass sie sogar ernsthaft bedroht werden.

Hassvolle Reaktionen spielen im Leben vieler Medienschaffender längst eine Rolle: Journalistinnen und Journalisten sind zunehmend von Beleidigungen, Anfeindungen, Aufrufen zur Gewalt bis zu Morddrohungen betroffen, und sie werden auch tätlich angegriffen. Eine Studie, die das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung 2017 für den Mediendienst Integration durchführte, trägt den bezeichnenden Titel: „Publizieren wird zur Mutprobe“.

Darin erklärten zwei Drittel der Befragten, dass sie starken Rückhalt unter Kolleginnen und Kollegen finden, wenn es um Hate Speech oder Gewaltandrohungen geht. 13 Prozent gaben dagegen an, dass Kolleginnen und Kollegen solche Vorfälle nicht ernst nehmen. In der Studie ist nicht aufgeschlüsselt, wie sich diese Werte zwischen Festen und Freien verteilen. Unter den Befragten waren 48,6 Prozent in Festanstellung, 45 Prozent Freie und 6 Prozent Pauschalisten.

Es ist jedenfalls kein Wunder, dass die Neuen deutschen Medienmacher ihren Leitfaden gegen Hassrede im vergangenen Jahr in der dritten Auflage herausgebracht haben. Und kein Zufall, dass die Freischreiber jüngst ein Manifest aufsetzten, das sich mit dem Schutz von Freien befasst.

 

FAIRhaltenskodex und Jahr der Freien

Der DJV, dessen Mitglieder inzwischen zu einem erheblichen Teil freie Journalistinnen und Journalisten sind, tritt schon lange für deren Schutz ein – sowohl im Hinblick auf ausbeuterische Auftraggeber als auch im Bedrohungsfall. Das laufende Jahr hat der DJV zum Jahr der Freien erklärt. Auch das faire Miteinander von Festen und Freien ist traditionell ein Thema für die größte Journalistenorganisation in Deutschland. Angestoßen vom Fachausschuss Freie in NRW hat der DJV auf seinem Verbandstag 2013 einen FAIRhaltenskodex verabschiedet. Die Botschaft: Gemeinsam sind Feste und Freie einfach besser, sogar doppelt gut.

„Hauptberufliche freie Journalistinnen und Journalisten sind für Zeitungen, Zeitschriften, Internetangebote, Radio- und Fernsehsender unverzichtbar“, heißt es da. „Sie ergänzen und bereichern die redaktionelle Arbeit der angestellten Redakteurinnen und Redakteure durch Ideen, Vielfalt und spezielles Können. Eine faire Zusammenarbeit von Festen und Freien sichert neben der Qualität des journalistischen Produkts auch den kollegialen und gewerkschaftlichen Zusammenhalt.“

Die Punkte im Kodex betreffen vor allem Fragen wie Auftragserteilung, transparente Entscheidungen, Termintreue und faire Honorare. Der Rückhalt nach außen war damals bei der Zusammenstellung weniger ein Thema. Es war die Zeit, als vieles tatsächlich noch mit dem erwähnten Blumenstrauß und einer förmlichen Entschuldigung erledigt war.

Öffentlich „Sorry“ gesagt

Wie eine öffentliche Entschuldigung für einen missglückten Beitrag heute aussehen kann, hat die Rheinische Post im Sommer 2019 gezeigt, als ein Text der Düsseldorfer Lokalredaktion für erheblichen Ärger sorgte. Nachdem es im Hofgarten eine Vergewaltigung gegeben hatte und Düsseldorf über den Park als „Angstraum“ diskutierte, sollte eine Reportage zeigen, wer sich nachts dort herumtreibt. Der Haken: Geschrieben hatte den Text ein freier* Kollege, der zum Schluss kundtat, er habe sich zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt. Der Text löste heftige Kritik aus. [*Durch ein Missverständnis ist bei einem Recherchegespräch der Eindruck entstanden, es habe sich bei dem betreffenden Kollegen um einen Freien gehandelt. Als Mitautorin entschuldigt Corinna Blümel sich für das Versehen.]

Wenige Stunden, nachdem sich eine Twitter-Userin über den Text beschwert hatte, antwortete die RP-Redaktion ihr öffentlich und übernahm in einem kurzen Thread die redaktionelle Verantwortung: „Leider ist die Umsetzung dieser eigentlich legitimen lokaljournalistischen Idee verunglückt, und das tut uns leid. Natürlich ist es Irrsinn, als Mann nachts im Park nachempfinden zu wollen, ob man dort Angst haben muss. Insofern sind der Vorspann und vor allem der Satz am Schluss (‚Ich habe mich … zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt‘) ärgerlich und gedankenlos, zumal ohne jede Einordnung. Es tut uns sehr leid, dass uns das in der Redaktion vorher nicht aufgefallen ist. Und es tut uns leid, dass wir damit dich und viele andere LeserInnen verärgert haben.“

Natürlich hätte die Redaktion noch deutlicher zeigen können, wie wenig die Schuld beim Freien Autor liegt, den sie mit diesem Auftrag losgeschickt hatte. Aber die RP hat hier zügiger und solidarischer reagiert als der WDR zum Jahreswechsel im Zusammenhang mit dem #umweltsau-Video und der politisch zugespitzten Debatte um Satirefreiheit (siehe auch Tagelang im Sturm gestanden, JOURNAL 1/20). Nach einer unbedachten Äußerung auf Twitter stand der freie Kollege Danny Hollek im Zentrum eines Shitstorms von Nazis und Trollen. Angehörige der rechtsextremen Szene marschierten vor seinem Haus auf, es gab Morddrohungen.

Neben allem anderen, was zu der ganzen Debatte gesagt und geschrieben wurde, haben viele Freie dies auch als einen Testfall dafür gesehen, wie der WDR zu seinen Freien steht. Da wurde genau registriert, dass die Aktuelle Stunde sich auf Twitter zunächst „scharf von Form und Inhalt“ distanzierte und erklärte: „Der betroffene Mitarbeiter ist kein Redakteur beim WDR, sondern freier Mitarbeiter.“ Bei vielen Freien reichte das, um die altvertrauten Gräben zu festangestellten Redakteuren wieder breit klaffen zu sehen. Die Redaktion rückte allerdings später auf Twitter gerade: „Mitarbeiter zweiter Klasse gibt es bei uns nicht.“ Die kritisierte Äußerung sei nur „im Kontext zu sehen“.

Schnörkellose Worte

Es war Monitor-Chef Georg Restle, der wirklich klare und schnörkellose Worte fand: „Freie Mitarbeiter sind die schwächsten Glieder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wenn sie öffentlich bedroht werden, müssen wir uns hinter sie stellen. Unabhängig davon, ob uns gefällt, was sie veröffentlichen. Nennt sich Meinungsfreiheit. Nennt sich Standhaftigkeit – gegen die Feinde der Demokratie.“

Auch der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall forderte Schutz für den bedrohten Kollegen und adressierte dies nicht nur an die Sicherheitsbehörden, sondern auch an den WDR als Auftraggeber. Der Sender stellte eilig klar, dass man das selbstverständlich tue. Druck und sogar Morddrohungen gegen WDR-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter seien vollkommen indiskutabel. Man biete den Betroffenen Personenschutz an und gehe mit allen juristischen Mitteln gegen entsprechende Drohungen vor. Dies gelte für feste ebenso wie für freie Mitarbeiter.

Diese Selbsteinschätzung des WDR teilen nicht alle, die dort beschäftigt sind. So sagt jemand, der in einer etwas höheren Hierarchiestufe des Senders arbeitet: „In kritischen Situationen reagiert der WDR nicht so sehr, wie man es sich wünscht.“ Dabei geht es nach Überzeugung dieses Gesprächspartners Freien und Festangestellten gleichermaßen schlecht, wenn es plötzlich zu Bedrohungen komme oder es gar Morddrohungen gegen angestellte WDR-Kolleginnen und Kollegen im Ausland gebe.

Wie sieht es also aus, wenn jemand von außen angegangen wird? Schließen sich die Reihen um die Freien oder stehen diese plötzlich im Regen? Die Erfahrung, als Freie plötzlich ohne Rückhalt der Redaktion dazustehen, hat die Mafia-Expertin Petra Reski vor vier Jahren gemacht. Wegen ihrer Reportage über die Mafia in Deutschland musste sie sich mit Freitag-Verleger Jakob Augstein über weit mehr als ein Jahr ein juristisches Gefecht liefern. Andreas Rossmann kritisierte in der FAZ, der Verleger verweigere seiner Autorin nicht nur juristischen Beistand, noch schlimmer: „Er würdigte ihre Arbeit herab.“ Petra Reski hat aus ihren Erfahrungen – nicht nur mit dem Freitag – eine Lehre gezogen und verarbeitet ihre Recherchen schon länger fast ausschließlich in Romanform (siehe auch JOURNAL 5/2014).

Dabei ist es nach der Erfahrung von Christian Weihe eher untypisch für Verlage und Sender, ihren Freien in solchen Situationen die Unterstützung zu verweigern: „Bei Angriffen von Dritten helfen sie immer.“ Sie vertreten ihre Freien dann auch juristisch. Wobei zum Beispiel einstweilige Verfügungen sowieso zunächst beim Medienhaus und bei der Redaktion landen. Nur im Einzelfall ziehen Verlage oder Sender sich aus der Affäre und empfehlen Freien die Rechtsvertretung etwa durch den DJV. Weihe erinnert sich an einen solchen Fall, der sich dann aber auch mit einem Anruf klären ließ.

An den DJV verwiesen

Einen Hinweis auf den DJV-Rechtsschutz statt konkreter Unterstützung soll Richard Gutjahr von seinem langjährigen Auftraggeber erhalten haben, dem Bayerischen Rundfunk (BR). Gutjahr wurde als extremer Fall für fehlenden Rückhalt bekannt, weil er offen mit der Bedrohungssituation sowie mit dem Versagen des Senders umging: Nach Berichten über zwei Terrorakte ist er in den Fokus rechten Hasses geraten und wird mit seiner Familie seitdem bedroht. Rückendeckung vom Sender? Mangelhaft, wie er mehrfach öffentlich anmahnte. Nach 22 Jahren als Freier beim BR reichte es ihm, und er verabschiedete sich gen Berlin.

In einem offenen Brief schrieb Gutjahr an den BR-Intendanten Ulrich Wilhelm: „Ich bin mir bewusst, dass ich mit dieser Veröffentlichung viel riskiere und ich mich angreifbar mache. Auf der anderen Seite: Wenn wir nicht endlich lernen, eine gemeinsame Stimme in Bezug auf Hass und Hetze gegen Journalisten und Politiker zu finden und weiterhin versuchen, eigene Versäumnisse unter den Teppich zu kehren, dürfen wir uns nicht wundern, dass unsere Gegner uns immer zwei Schritte voraus sind. Das ist kein Spiel mehr. Womit wir es hier zu tun haben, ist todernst.“

Von rechts bedroht werden bis hin zu Mordfantasien – das kennen inzwischen viel zu viele Kolleginnen und Kollegen. Auch Monitor-Chef Georg Restle hat zum Beispiel Erfahrungen damit. Der WDR stellte deswegen im vergangenen Juli Strafanzeige.

„Wenig reicht mittlerweile aus, um zur Zielscheibe rechter Zermürbungsstrategien zu werden“, schrieb Peter Weissenburger im Januar in der taz mit Blick auf die Fälle Danny Hollek und Richard Gutjahr. „Das beginnt mit Beleidigungen in den sozialen Medien und per Mail, dann kommen Drohungen, persönliche Informationen werden veröffentlicht, manchmal kommt es zu Stalking, im Extremfall zu Kundgebungen gegen eine Person.“

Weissenburger kommt zu dem Schluss, dass freie Journalistinnen und Journalisten in solchen Fällen einer besonderen Bedrohungslage unterliegen. Und er verweist darauf, dass es zeitlich versetzte Attacken gibt, sodass die Angriffe sich nicht unbedingt auf einen aktuellen Beitrag beziehen, sondern auf ältere. Wie sind Freie dann abgesichert? Oder wenn sie zwar privat, aber doch eindeutig stellvertretend für ihren Sender beleidigt oder bedroht werden? Wer sei dann zuständig?

Mit der Frage, wer für die Kosten aufkommt, wenn jemand bedroht wird und deswegen Zugänge zu Wohnung und Büro absichern will, hat sich auch der DJV-NRW schon auseinandergesetzt, erläutert Christian Weihe: „Was ist, wenn Freie – wie wir es etwa aus Dortmund oder dem Aachener Raum kennen – massiv von rechts bedroht werden? Die Polizei empfiehlt dann, die Wohnung besser abzusichern. Aber wo nehmen Freie das Geld für entsprechende Maßnahmen an Fenstern und Türen her, vielleicht sogar für eine Kameraüberwachung?“

Im Einzelfall und nach sorgfältiger Prüfung könnte in so einer Situation der Unterstützungsverein des DJV-NRW gegebenenfalls mit einem zinslosen Darlehn oder sogar einem Zuschuss einspringen (siehe dazu Kasten „Auftragseinbruch: Die Folgen abmildern“). Aber nach Überzeugung des DJV-NRW sollten sich die Medienhäuser in solchen Fällen für ihre festen Freien genauso zuständig fühlen wie für ihre Angestellten.

Vergleichsweise gut geregelt

Größter Arbeitgeber für hauptberuflich freie Journalistinnen und Journalisten ist in NRW der WDR mit seinen Landesstudios: mit mehr als 2 200 sogenannten 12a-Freien, die an mindestens 42 Tagen im Jahr für den Sender tätig sind, hinzu kommen noch etwa 10.000 Freie, die wenigstens einmal im Jahr für den WDR arbeiten. Verglichen mit den Tageszeitungen wirken der WDR und andere öffentlich-rechtliche Sender von außen betrachtet wie ein Paradies für Freie: Eine wohlgeordnete Welt mit tariflich vereinbarten Mindesthonoraren, mit geregeltem Urlaubsanspruch und Gremien, die auch die Interessen von Freien im Blick haben.

Aber natürlich ist auch beim WDR nicht alles zum Besten, ebenso wie bei der Deutschen Welle und dem Deutschlandfunk. Mehr oder weniger deutlich fühlen die Freien sich auch in diesen Strukturen als Mitarbeitende zweiter Klasse, die zwar die hochwertigen Inhalte liefern, aber in den fortwährenden Umbauprozessen und Programmreformen beliebig hin- und hergeschoben werden.

Das zeigte sich jüngst bei der Deutschen Welle, wo neue Dienst- und Schichtpläne im Bereich der neu geschaffenen Hauptabteilung Information für erhebliche Unruhe sorgten. Rund 50 Freie unterzeichneten einen offenen Brief an die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters, weil sie infolge der Umstrukturierung Auftrags- und Einkommensverluste befürchteten. Aus dem Haus war zu hören, dass die Freien ursprünglich mal in die eher unbeliebten Nachtschichten der Nachrichtenredaktion gedrängt wurden, die ihnen nun als Einnahmequelle genommen würden, ohne dass andere Einsatzgebiete absehbar seien (siehe ausführlicher JOURNAL 1/20).

Magere Zeitungshonorare

Arbeitnehmerähnlich beschäftigte Freie oder solche mit Pauschalistenvertrag werden bei Lokalzeitungen in NRW inzwischen immer seltener, hat der DJV-NRW festgestellt. Stattdessen haben viele Verlagshäuser tariflose Tochtergesellschaften, in denen Angestellte die journalistische Arbeit zu Billigkonditionen erledigen.
Wer überhaupt noch (haupt- oder nebenberuflich) frei im Lokalen arbeitet, wird mit geringsten Text- und Bildhonoraren abgespeist. Die Hoffnungen, die der DJV in die Allgemeinen Vergütungsregeln für hauptberufliche freie Mitarbeiter an Tageszeitungen gesetzt hat, haben sich nicht erfüllt. Obwohl die darin vereinbarten Honorare für Texte und Bilder schon bei der Einigung als absolute Untergrenze anzusehen waren, werden sie nach Kenntnis des DJV in der Regel unterschritten.
Zwar haben die Verlegerverbände die nach jahrelangen Verhandlungen erzielte Einigung inzwischen aufgekündigt, „aber die Regelungen wirken weiterhin nach – als wichtiger Anhaltspunkt für die Gerichte“, erklärt Christian Weihe, Justiziar des DJV-NRW. Das führt in Gerichtsverfahren manchmal zu spektakulären Nachzahlungen, wenn freie Kolleginnen und Kollegen viele Jahre lang Texte und Bilder zu Dumpingkonditionen geliefert haben. So musste zum Beispiel der Bonner General-Anzeiger 2013 gut 38 400 Euro plus Zinsen nachzahlen (AZ 28 O 1129/11). /whi

Ausführlicher unter Die Zeitungsbranche – ein Trauerspiel.

Starkes Machtgefälle

Umbauprozesse haben auch beim WDR über die Jahre immer wieder zu Sorgen geführt. Aber es gibt andere Gründe für ein Unwohlsein, wie das Gutachten im Nachgang zu #MeToo 2018 zeigte (siehe JOURNAL 5/18). Darin stellte die frühere Gewerkschaftschefin Monika Wulf-Mathies fest: „Der Umgang mit freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lässt oft sogar ein Minimum an Respekt vermissen.“ Einen zentralen Faktor dafür sieht Wulf-Mathies im starken Machtgefälle zwischen Festangestellten und Freien, die sich „in einem starken Abhängigkeitsverhältnis von ihrem jeweiligen Vorgesetzten/Auftraggeber“ befänden.

Macht, so zeigte das Gutachten, haben im journalistischen Betrieb halt nicht nur die Spitzen der Hierarchie. Sie entsteht überall dort, „wo eine Redakteurin oder ein Redakteur, eine Assistentin oder ein Assistent Aufträge an freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Externe vergibt“. Diese Einschätzung teilen die Kolleginnen und Kollegen, die für diesen Beitrag über ihre Erfahrungen gesprochen haben.

Wulf-Mathies appellierte, Vorgesetzte und Führungskräfte in die Pflicht zu nehmen. Entsprechend ihrer Verantwortung müssten sie ihre Fürsorgepflicht nicht nur im Umgang mit Angestellten wahrnehmen, „sondern auch mit freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Praktikantinnen und Praktikanten sowie Studierenden“.

Dass es mit dem pfleglichen Umgang gegenüber Schwächeren im WDR zumindest früher nicht weit her war, hatte ein freier Kollege bereits vor Erscheinen des Wulff-Mathies-Berichts anonym beschrieben (siehe „Fehler im Betriebssystem – die Angst im WDR“, ergänzend zu JOURNAL 5/18 online erschienen): Er sah das Haus anfällig für Menschen in Führungspositionen, „die – unbesehen der fachlichen Kompetenz – charakterliche Schwächen mehr oder weniger direkt in ihren Führungsstil einfließen lassen“.

Kritik als „Verrat“

Der langjährige WDR-Freie diagnostizierte unter anderem eine mangelnde Bereitschaft zur Selbstkritik. Da werde eine kleine kritische Bemerkung in einer Redaktionssitzung schon mal als „Verrat“ abgekanzelt. „Oder Freie erfahren hintenherum, dass sie in der Redaktion dafür bekannt seien, ‚Widerworte‘ zu geben.“

Inzwischen hat der WDR seinen „Kulturwandel“ eingeleitet, unter anderem mit verpflichtenden Fortbildungen für Führungskräfte sowie Workshops und weiteren Initiativen. Ziel ist eine bessere Feedback-Kultur, ein respektvolles und dialogorientiertes Miteinander, von dem auch die Freien profitieren sollen.

Einen ähnlichen Weg geht jetzt die Deutschen Welle (DW), nachdem sich die Geschäftsleitung lange gegen eine verbindliche Regelung zum Schutz der Mitarbeitenden vor Machtmissbrauch gewehrt hatte. Dabei hatte die DW bislang „keine ausreichenden Instrumente gegen klassisches Führungsversagen, das zu Konflikten führen kann“, erklärt Daniel Scheschkewitz, Vorsitzender des Örtlichen Betriebsrats in Bonn. Deswegen sei die Dienstvereinbarung so notwendig, zumal die Führungskräfte selbst durch finanziellen Druck und Zielvorgaben unter Druck stünden. Künftig sollen Führungskräfte bei der DW verpflichtend im Umgang mit Machtmissbrauch und Konfliktmanagement geschult werden. Zudem wurde eine Task Force eingerichtet, bei der alle Beschwerden auflaufen sollen, die mit Hilfe der klassischen Anlaufstellen nicht gelöst werden konnten (siehe ausführlicher „Deutsche Welle sucht neue Führungskultur“).

Scheschkewitz wünscht sich vor allem, dass die DW-Freien am Standort Bonn sich vernetzen und organisieren. Denn nach Beobachtung des Betriebsratvorsitzenden werden freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr nur im Journalismus eingesetzt, sondern in allen Bereichen der DW. Sie seien zur Manövriermasse des unterfinanzierten öffentlich-rechtlichen Systems geworden. Und wenn dann die Aufenthaltstitel afghanischer oder ukrainischer Kolleginnen und Kollegen in Deutschland an diese DW-Jobs gebunden seien, führe das nachvollziehbarerweise zu Angst und einem Gefühl des Ausgeliefertseins.

Wenn es für Freie hart auf hart kommt: Gibt es einen Rettungsschirm oder stehen sie allein im Regen? | Foto: txt
Wenn es für Freie hart auf hart kommt: Gibt es einen Rettungsschirm oder stehen sie allein im Regen? | Foto: txt

Sorgen und Gerüchte

Ausgeliefert fühlen sich viele Freie gerade – in allen Medienbereichen. Weil viele Redaktionen sich auf das eine Thema Corona konzentrieren, sodass andere inhaltliche Kompetenzen nicht mehr gefragt sind. Weil einzelne Tageszeitungen angedroht haben, den Umfang zu reduzieren. Weil auch die Verwaltungen in den Medienhäusern durch Corona geschwächt sind, sodass die Sorge aufkommt, die ausstehenden Honorare könnten noch später angewiesen werden als üblich. Weil auch unter Journalistinnen und Journalisten Gerüchte die Runde machen – etwa, dass der WDR ganze Wellen einstellen werde oder dass er die Zahlung von Honoraren aussetze.

Dabei hat sich der WDR schon mit den Gewerkschaften zusammengesetzt, um zu klären, wie er zum Beispiel mit schon disponierten Diensten umgeht, die nicht mehr geleistet werden oder wie er beauftragte Arbeiten honoriert, die coronabedingt nicht fertiggestellt werden können. Er hat angekündigt, dass die Berechnung von Urlaubs- und Krankheitsgeld nicht durch die erzwungenen Auszeiten beeinträchtigt werden soll. Der bereits bestehende Härtefallfonds, 2015 auf Anregung des DJV-NRW eingerichtet, soll aufgestockt werden, um zu vermeiden, dass Freie durch geringe oder wegfallende WDR-Beauftragungen in wirtschaftliche Not geraten. Dafür will der Sender mit den Gewerkschaften vorübergehend neue Kriterien entwickeln.

So wie die Politik entdecken offenbar auch Auftraggeber in Zeiten der großen Krise so etwas wie Verantwortung für ihre freien Journalistinnen und Journalisten. Wie weit die Solidarität trägt, wenn wieder der Alltag einkehrt, wird sich zeigen.

Mitarbeit: Corinna Blümel

Stand: 24. März 2020 / Aktualisierungen zu Coronahilfen unter djv-nrw.de/corona

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2020.