Die Sache mit dem Personal war für Verlage und Sender früher ganz einfach: Draußen vor der Türe stand eine lange Schlange. In Praktika oder als Freie konnten sich beide Seiten wechselseitig ausprobieren. Manche fanden dabei einen Direkteinstieg in die Festanstellung, andere wählten den Weg des Volos. Mal entschied der Arbeitgeber, mal der oder die Angestellte, ob es danach miteinander fest oder frei weiterging – und so lebten sie dann mehr oder weniger glücklich bis ans Arbeitslebensende. Doch diese Zeiten sind vorbei. Immer häufiger entscheiden nicht der Chef oder die nächste Sparwelle, dass die gemeinsame Zeit vorüber ist, sondern die Journalistinnen und Journalisten selbst.
Nils Minkmar zu erreichen ist momentan gar nicht so leicht. Zeitlich geht es, aber technisch ist das so eine Sache. Der frühere Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sitzt ohne WLAN in Südfrankreich und schreibt an einem historischen Roman über Michel de Montaigne, wenn er nicht gerade als Pauschalist einen Artikel für die Süddeutsche Zeitung, einen Beitrag für seinen Newsletter „Der siebte Tag“ oder einen Podcast produziert. Denn Nils Minkmar ist seit diesem Jahr freier Journalist, nachdem er seine Redakteursstelle im Kulturressort des Spiegels gekündigt hat.
Jobangebot per Twitter
Bianca Hoffmann erwischt man zurzeit gut zu Hause per Zoom-Schalte, wenn ihre kleine Tochter sie nicht gerade braucht. Die leidenschaftliche Lokaljournalistin ist in Elternzeit. Die endet Anfang September, dann tritt sie eine neue Stelle an: Als Head of Regio übernimmt sie bei t-online die Leitung eines 16-köpfigen Teams, das schrittweise weiterwachsen soll. Volontiert hat sie in Magdeburg und danach das Reichweitenportal bei Lensing-Wolff aufgebaut, bevor es sie nach Berlin zu Correctiv verschlug. Hochschwanger erhielt sie via Twitter-Direktnachricht das Angebot von t-online, dort Führungskraft zu werden – und das, ohne einen Vollzeitvertrag unterschreiben zu müssen.
Daniel Fiene arbeitet vom Homeoffice in Düsseldorf aus – und zwar nicht wegen Corona, sondern weil er seit kurzem sein eigener Herr ist. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner und Freund Dennis Horn führt er die frühere Deutschlandfunk-Nova-Sendung „Was mit Medien“ als eigenständiges Medienmagazin im Podcastformat weiter. Was beim Uni-Radio angefangen hat, sollte nicht durch den Wegfall des Radiosendeplatzes enden – und da galt dann eben: ganz oder gar nicht. Aufgegeben hat er dafür Ende 2020 mitten in der Pandemie eine unbefristete, übertariflich bezahlte Stelle an Bord von Gabor Steingarts Redaktionskahn „The Pioneer“, nachdem er von 2006 bis 2019 in verschiedenen Funktionen bei der Rheinischen Post gearbeitet hatte: „Es ging um die Frage, ob ich jetzt mein eigenes Baby möchte oder das, was im Boot eines anderen sitzt. Da habe ich mich halt für das eigene Projekt entschieden und bin sehr, sehr glücklich.“
Carina Kontio ist noch bis Ende Oktober in ihrem alten Job beim Handelsblatt als Redakteurin im Unternehmensressort, für digitale Sonderthemen und für „The Shift“ zuständig, eine Plattform, die „neue Wege aufzeigt, wie wir heute und morgen Arbeit besser machen können“. Nach elf Jahren will sie Anfang 2022 durch einen Wechsel in die Unternehmenskommunikation eine neue Herausforderung außerhalb ihrer Komfortzone wagen. Kontio geht festen Schrittes, aber mit gemischten Gefühlen: Sie freut sich auf die neue Aufgabe, aber ihr altes Team wird ihr fehlen. Auch darum hat sie eine achtwöchige Auszeit eingeplant, weil sich elf Jahre bei einem Verlag nicht an einem Wochenende abschütteln lassen, bevor „neues Jahr, neues Glück“ für sie eine ganz persönliche Bedeutung erhält.
Die Branche ist in Bewegung
Vier Beispiele für einen Trend – Medienarbeitgeber können sich nicht mehr darauf verlassen, dass ihr Personal froh ist, (irgend)einen Job zu haben. Die Branche ist in Bewegung, und während das für viele Unternehmen den Gestaltungsspielraum beschneidet, sehen Beschäftigte von Verlagen und Sendern ihren größer werden. Früher war Journalismus eine Sehnsuchtsbranche, in der die Bewerberzahlen die zu besetzenden Positionen deutlich überstiegen.
Die Zeiten sind vorbei. Heute müssen selbst öffentlich-rechtliche Sender ihre Volontariate offensiv bewerben, um genügend qualifizierte und motivierte junge Medienmenschen zu finden. So dynamisch und flexibel, wie die Branche ist (und Arbeitgeber sich ihre Bewerber wünschen), sind Medienhäuser selbst meist nicht. Und so reiben sich Personaler die Augen und wissen nicht so recht, wie sie auf die aktuellen Anforderungen reagieren sollen, die potenzielle Mitarbeitende an sie stellen.
Das gilt vor allem, wenn es um den Nachwuchs geht, sagt Daniel Fiene. Als Teamleiter bei der Rheinischen Post musste er sich regelmäßig nach neuem Personal umschauen, da es eine relativ hohe Fluktuation gab: „Die Generation Z, die jetzt in ihren 20ern ist, hat einen ultrakrassen Karrieredrang. Wenn sich nicht innerhalb von zwei Jahren etwas am Gehalt oder Titel verbessert, werden die nervös. Nach spätestens fünf Jahren sind sie weg, weil sie glauben, dass man ohne Wechsel keine Karriere machen kann.“
Er hat bei den Jüngeren eine Rastlosigkeit gespürt, die er aus der eigenen Generation nicht kannte: „Außerdem beziehen sie jede Veränderung im Haus direkt auf sich und überlegen, was sie für sie bedeutet.“
Darauf seien viele Medienhäuser (noch) nicht eingestellt – zumal sie verkennen, dass es auch bei der Auswahl an potenziellen Arbeitgebern trotz aller Konzentrationsprozesse mehr Möglichkeiten abseits klassischer Pfade gibt. Hinzu kämen branchenspezifische Probleme: „Nämlich, dass die Medienhäuser, egal ob öffentlich-rechtlich oder privatwirtschaftlich organisiert, sich mit dem Medienwandel schwertun, weil sie nicht produktorientiert, sondern strukturorientiert arbeiten. Das frustriert halt, wenn man bestimmte inhaltlich motivierte Dinge erreichen möchte und sich dann zu wenig zu langsam bewegt“, sagt Fiene.
Veraltete Technik als Spaßbremse
Zum Strukturfrust gesellen sich oft weitere Spaßbremsen, meint Carina Kontio. Das weiß sie nicht nur aus eigenem Erleben, sondern hört es auch immer wieder aus anderen Häusern: „Veraltete Technik birgt auch ein unglaubliches Frustpotenzial.“ Zudem seien die Entscheidungswege in der Medienbranche oft kompliziert und lang, während die Jobs im Journalismus sich immer schneller veränderten. Zwar würden Schulungen beispielsweise für Mobile Reporting oder Datenjournalismus angeboten, doch dann bleibe im hektischen und stressigen Arbeitsalltag häufig keine Zeit mehr zum Aus- und Rumprobieren.
Daniel Fiene ist dennoch überrascht, wie schnell viele Medienmenschen, die mit ihm gestartet sind und an sich nach wie vor inhaltlich total für den Journalismus brennen, das Handtuch werfen und in die PR gehen, für Agenturen arbeiten oder für Companies, die Hörbücher produzieren. Dort werde halt nicht nur davon geredet, innovativ zu sein, und außerdem achteten die Unternehmen stärker darauf, dass die sogenannte Work-Life-Balance möglich ist.
Von außen sieht es oft besser aus
Dass diese Kolleginnen und Kollegen den Journalismus verlassen, findet er als Entscheidung noch nachvollziehbarer als das, was er bei Wechseln zwischen verschiedenen Medienhäusern mitbekommt: „Teilweise wird es da absurd. Ich kannte zwei Personen bei zwei großen Medienhäusern in München. Die eine Person arbeitete bei der SZ und war total strukturfrustriert, die andere beim BR und war auch total strukturfrustriert. Beide fanden das jeweils andere Medienhaus aber extrem innovativ, haben gekündigt und sind jeweils zum anderen gegangen. Als sie dann ein wenig dabei gewesen sind, haben sie festgestellt: Ah – same same, but different.“ Er ist überzeugt, dass man diese Geschichte so oder ähnlich über viele Häuser erzählen kann.
So sieht das auch Nils Minkmar. Er hat Jobs drangegeben, die lange als Karrierehöhepunkt galten, und findet, dass das mehr über die Branche als über ihn aussagt. Medienmanager hätten sich zu lange in der Sicherheit gewogen, dass neue Mitarbeitende ein nachwachsender Rohstoff seien – trotz des steten Wandels in der heutigen Zeit: „Für meine Eltern war es noch das höchste Ziel, an einer Hochschule zu landen. Heute ist die wissenschaftliche Karriere nicht mehr attraktiv – weder finanziell noch inhaltlich, allein wenn man so auf das Drittmitteldilemma schaut und was das mit der Freiheit der Forschung macht. Und genauso ist das doch auch in vielen Redaktionen.“
Immer mehr jobfremde Tätigkeiten
Journalistinnen und Journalisten würden mit immer mehr Aufgaben überzogen, die mit ihrem eigentlichen Job wenig bis gar nichts zu tun hätten. Und die Führungskräfte seien mit allem möglichen intensiver befasst als mit der inhaltlichen Linie der Redaktion. Die Angst, Trends zu verpassen oder Fehler zu machen, sei immens. Daraus könne wenig Zielführendes entstehen, meint Minkmar. Und so wie heute der Öffentliche Dienst selten die besten Juristen oder Ingenieurinnen bekomme, landeten im Journalismus offenbar meist nicht die besten Managerinnen und Manager. Manche Chefredakteure litten darunter, „andere könnten genauso gut für McKinsey arbeiten“.
In seinem früheren Job empfand Minkmar es als frustrierend, dass es immer hierarchischer zuging und Personalentscheidungen fürs Team nicht nachvollziehbar waren beziehungsweise dass transparente Beförderungsbegründungen fehlten: „Oft ging es nur darum, allen Beine zu machen – in welche Richtung auch immer.“ Doch wo Ehrlichkeit, Freiheit und Offenheit fehlten, wachse die Unzufriedenheit.
Das sieht Bianca Hoffmann ähnlich und hat sich darum viele Gedanken gemacht, wie sie führen will: „Ich sage meinem Team, dass ich – außer bei einer besonderen Lage – nicht möchte, dass es Überstunden macht. Es ist mein Job, die Arbeit so zu planen, dass sie in der vorgesehenen Zeit zu schaffen ist.“
Dabei gehörte Aufopferung auch während ihres Volontariats ganz selbstverständlich zum Jobprofil: „Ausgleich dafür? Gab‘s nicht.“ Inakzeptabel findet Hoffmann das und sieht einen Dreiklang der Anforderungen, damit Medienarbeitgeber nicht den Anschluss an die moderne Jobwelt verlieren: Geld, Entfristungen (also Sicherheit) und Arbeitsbedingungen: Medienarbeitergeber müssten endlich begreifen, dass es okay ist, ein Privatleben zu haben – auch als Journalistin. Wer Talente halten wolle, müsse außerdem für Vereinbarkeit von Kind und Karriere sorgen – auch für Führungskräfte.
Summe X draufgepackt
Im Journalismus hielten sich immer weniger Unternehmen an Tarifverträge, und wenn man sich in Bewerbungsgesprächen selbst daran orientiere, werde man oft nicht genommen: „Das ist schon hart, dass es ein Ausschlusskriterium ist, wenn man anständig bezahlt werden möchte.“ Selbstbewusst den eigenen Wert einzufordern müssten viele Journalistinnen und Journalisten aber auch erst (wieder) lernen, räumt Bianca Hoffmann ein: „Eine ehemalige Kollegin ist in eine Stadtwerke-Kommunikationsabteilung gewechselt, und als sie ihre Gehaltsvorstellungen genannt hat, haben die Personaler gesagt, dass sie da Summe X drauf packen, weil das sonst einfach viel zu wenig wäre.“
Die Chancen auf Festanstellung stehen nach Hoffmanns Einschätzung derzeit gut. Darum sollte man selbstbewusst Gehalts- und andere Forderungen stellen: „Ich bin das wert, das sind meine Bedingungen!“ Denn was Verlage und Sender heute oft anböten, sei schlicht nicht mehr konkurrenzfähig.
Daniel Fiene würde dies unterschreiben. Wenn er sich anguckt, wohin Kolleginnen und Kollegen seiner Generation wechseln, unterscheiden sich die Jobs inhaltlich sehr stark. Ab der Millenialsgeneration sei die Arbeit, auch wenn man sie noch so sehr liebe, nicht mehr das Nonplusultra: „Schade, dass den Jüngeren oft vorgeworfen wird, sie brächten keine Begeisterung für den Job mehr mit, nur weil sie einfach mal faire Arbeitszeiten fordern.“ Die sähen das schlicht differenzierter, ohne weniger Feuer für den Job mitzubringen. Und darum hätten ihre neuen Jobs abseits vom Journalismus eins gemeinsam: „Da wird viel stärker auf Arbeitszeiten oder Kompensationsmöglichkeiten geachtet, und die Bezahlung ist wesentlich angemessener im Hinblick auf Ausbildung und Aufgabe als im Journalismus.“ Wer das bei Ex-Kolleginnen und -Kollegen mitbekommt, stellt sich halt irgendwann am Newsdesk die Frage: Was hält mich hier eigentlich noch?
Noch eine Weile den Job gepimpt
Was die Jungen am Bleiben hindert, hindert die Etablierten am Gehen: Sie fürchten, sich durch einen Wechsel zu verschlechtern, weil sie noch alte Arbeitsverträge zu besseren Bedingungen abgeschlossen haben. Carina Kontio hat bei vielen beobachtet, dass sie ihre Unzufriedenheit herunterschluckten, bevor sie ernsthaft in Erwägung zögen, ihre Komfortzone zu verlassen. Und fast war sie selbst auch schon auf diesem Weg: „Ich habe mir meinen Job gepimpt mit Sachen, die ihn wieder interessanter gemacht haben. Ich habe mir einen Podcast ausgedacht und gesagt, den würde ich gern machen. Dann habe ich mir eine Serie ausgedacht, also ich habe mir immer so kleine Infusionen gegeben, die mich wieder ein, zwei Jahre bei der Stange gehalten haben.“
Doch das Grundgefühl blieb: der Wunsch nach einem Tapetenwechsel, nach einer ganz neuen Herausforderung abseits der Routinen und Komfortzonen. Ein Job, in dem sie nochmal etwas ganz anderes lernen kann und nicht noch jahrelang weiter macht, was sie schon kann. Eine interne Veränderung war nicht möglich, weil Kontio eine wichtige Schlüsselposition innehatte und dort als unverzichtbar galt. Dann fiel ihr zufällig eine Stellenanzeige bei LinkedIn ins Auge. Ein Ex-Kollege arbeitete bereits dort, den funkte sie per WhatsApp an. So kam die Sache ins Rollen.
Keine leichte Entscheidung
Doch so groß die Lust auf etwas Neues auch war, leicht fiel ihr die Entscheidung trotzdem nicht: „Ich bin abends eingeschlafen und habe gedacht: Okay, du kündigst. Morgens bin ich wach geworden mit dem Gedanken ‚auf gar keinen Fall!‘ – das ging zweieinhalb bis drei Wochen so.“ In elf Jahren waren am Arbeitsplatz viele Freundschaften entstanden. Es war nicht schwer, sich gegen ihre Routineaufgaben zu entscheiden, weil sie nichts mehr gelernt und keine Herausforderung gesehen hat, aber das alte Team hinter sich zu lassen war hart und hat nur geklappt, weil am neuen Arbeitsplatz insgesamt vier ehemalige Handelsblatt-Kollegen warten: „Du kannst dich über vieles informieren in Bezug auf einen neuen Job – die neuen Kolleginnen und Kollegen bleiben das Restrisiko.“
Doch als diese Blockade, einen Jobwechsel für eine Riesenhürde zu halten, sich erledigt hatte, wurde alles leichter: „Was du einmal geschafft hast, verliert seinen Schrecken.“ Sie hat die Trennung bewusst so gestaltet, dass sie nicht in vier Wochen weg ist: „Mir war wichtig, zu sagen, ich mache das Jahr noch zu Ende. So, wie man ein Medikament ausschleicht und nicht abrupt absetzt. Ich verabschiede mich bewusst von den Kollegen. Es gibt eine Nachfolgeregelung.“
Was für sie unmöglich war, geht auf einmal doch. Und Carina Kontio fühlt sich wie in der Schule: „Du kriegst nach den Ferien ein neues Fach und freust dich total drauf, hast richtig Bock, dir dafür Bücher zu besorgen, Filme anzugucken, Podcasts zu hören und dich so schlau zu machen. Das macht mich happy, weil ich was Neues lerne.“ Darum war es ihr im Wesentlichen gegangen. Doch die Option gab es im bisherigen Unternehmen nicht.
Rückkehr aus der PR kein NoGo mehr
Da es mehr Chancen bei anderen gibt, entscheiden Medienmenschen sich immer häufiger für den Wechsel. Auch, weil zum Beispiel die Rückkehr aus der PR in den Journalismus kein NoGo mehr ist wie früher einmal: Carina Kontios Chefredakteurin beim Handelsblatt war selbst für einige Jahre Konzernsprecherin. Der Trend zu flexibleren, experimentierfreudigeren Medienkarrieren nimmt zu.
Wechseln geht in beide Richtungen
Nicht ungewöhnlich, dass Journalistinnen und Journalisten neue Aufgaben in PR und Unternehmenskommunikation finden, ebenso in den Pressestellen von Behörden und Kommunen. Sie gelten als Allrounder, die komplexe Zusammenhänge verstehen und kommunizieren können. Sie bringen ihr journalistisches Handwerkszeug mit, das ressortspezifische Know-how, ihr Wissen über redaktionelle Abläufe sowie ihre Netzwerke.
So häufig dieser Schritt vorkommt, im Einzelfall schaut die Branche genauer hin, etwa als der ehemalige Handelsblatt-Chefredakteur Sven Afhüppe im Frühjahr zur Deutschen Bank ging. Zu den bekanntesten Seitenwechslern gehört Regierungssprecher Steffen Seibert, der vom ZDF kam. Er folgte damals auf Ulrich Wilhelm, der zurück auf die Medienseite ging – als Intendant des Bayerischen Rundfunks.
Und anders, als viele befürchten, ist auch der Weg zurück in die Redaktion bzw. eine freie journalistische Tätigkeit nicht verbaut. Beide Perspektiven zu kennen gilt nicht nur in Pressestellen als attraktiv, sondern auch in Redaktionen.
Das zeigt zum Beispiel Steffen Grimberg: Nach Stationen als Medienredakteur bei der taz und beim Magazin ZAPP (NDR Fernsehen) sowie als Referent beim Grimme-Institut, arbeitete er 2016-17 als ARD-Sprecher beim MDR (im Rahmen des ARD-Vorsitzes). Seit 2018 ist er wieder freier Journalist, unter anderem beim MDR-Medienportal MEDIEN360G. Im Oktober 2020 wurde Grimberg zum Vorsitzende des DJV-Landesverbands Berlin-Brandenburg/JVBB gewählt./cbl
Vorgesetzte erkennen langsam, dass sie noch nicht genug tun und dass viele junge Talente darum gehen. Die wünschen sich mehr Weiterbildung, Experimentierfreude und dass Strategien gemeinsam und transparent entwickelt werden. Doch wenn Medienhäuser ihren Mitarbeitenden weder Interesse noch Loyalität entgegenbringen, nimmt bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wechselseitig auch die Bindung an das und die Identifikation mit dem Unternehmen ab.
Abwerbungen werden üblicher
Auch die künftige t-online-Regio-Chefin Bianca Hoffmann warnt: Es sei heute viel häufiger als in den vergangenen Jahren der Fall, dass Leute abgeworben werden. So werde beim Konkurrenten geguckt, welche Talente es gebe, und dann werde knallhart angefragt, ob die Bereitschaft zum Wechsel bestehe: „Wir bieten dir viel mehr Geld, Ansehen und Ruhm – das ist heute nicht mehr selten, sowohl in der Direktansprache als auch über Headhunter.“ Auch Hoffmann selbst nutzt ihr eigenes Netzwerk aus dem Studium und anderen Karrierekontexten und spricht so Leute für ihr ehrgeiziges Regio-Desk-Projekt an.
Abwerbungen? Das gab’s um 2000 schon mal
Dass Talente gezielt abgeworben wurden, war zuletzt wohl um die Jahrtausendwende der Fall, als zahlreiche Wirtschaftsmagazine mit unterschiedlichen Zielgruppen entstanden. Auch viele Zeitungen und Sender verstärkten ihre Wirtschaftsredaktionen. Viele Kolleginnen und Kollegen ließen sich von attraktiven Jobangeboten von ihrem bisherigen Arbeitgeber weglocken. Damals hatte das für manche allerdings böse Folgen. Als die sogenannte Dotcom-Blase platzte, wurden die Redaktionen wieder verkleinert und viele Projekte sogar komplett eingestellt. /cbl
Personal Branding als Zwickmühle
Die digitale Sichtbarkeit von Journalistinnen und Journalisten, das Personal Branding, wird so zur Zwickmühle für Medienunternehmen: Der Erfolg der Mitarbeitenden, die sich selbst zur Marke machen, weil sie einen Blog betreiben, sich als Expertinnen und Experten auf LinkedIn positionieren oder bei Instagram andere an ihrem (Job-)Alltag teilhaben lassen, strahlt einerseits auf den Arbeitgeber ab, andererseits werden Mitarbeitende so auch sichtbar für die Konkurrenz.
Da kommt dann ein Jobangebot über die Direktnachrichten von einem Mitbewerber, auf den der betreffende Mitarbeitende von sich aus vielleicht gar nicht gekommen wäre. Oder es wächst die Idee, dass man selbst genug Medienmarke ist und keinen anderen Absender als den eigenen Namen mehr braucht, um seine Inhalte an die Nutzerschaft zu bringen, so wie bei Nils Minkmar und Daniel Fiene.
Attraktiver für Gründungen
Der „Was-mit-Medien“-Macher Fiene beobachtet aktuell eine weitere spannende Veränderung: „Die großen Internetcompanies, die ja in einem herausfordernden Verhältnis zu den Medienhäusern stehen – und zwar nicht nur auf dem Werbemarkt, sondern auch in ganz vielen anderen Bereichen – haben bislang vor allen Dingen mit Medienhäusern zusammengearbeitet. Jetzt fangen Google, Facebook und Co. an, Projekte aufzusetzen, bei denen sie einzelne Journalistinnen und Journalisten als Partnerpersonen sehen und sie gezielt unterstützen.“ Dadurch werde es noch attraktiver, in das Newscreator-Game einzusteigen und allein oder im kleinen Team selbstständig sein eigenes Medium zu starten.
Je mehr Erfolgsmeldungen es von Einzelpersonen oder Netzwerken gebe, denen dies gelinge, desto schwieriger werde die Personalwerbung für herkömmliche Medienanbieter: „Die Digitalriesen sehen dort eine Zukunft und einen Wachstumsmarkt, und sie stecken ihre Pfründe ab.“ Zumal Medienmanager aus Sparzwängen solche Arbeitsmodelle zwar mitentwickelten, dann aber für die eierlegende Wollmilchsau mit eigener Technik auch noch niedrigere Kombihonorare zahlen wollten. Da sei es doch kein Wunder, dass junge Medienschaffende sich denken: „Der Laden bezahlt mich nicht anständig. Er bietet mir keine Infrastruktur mehr. So kann ich das auch allein!“
Medienhäuser müssen Plattform werden
Nach Überzeugung von Daniel Fiene müssten klassische Medienhäuser anfangen, an Alternativmodellen zu arbeiten, wie sie ein eigenes Ökosystem etablieren können, in dem sie Personen, die sich eher als Partner denn Mitarbeitende verstehen möchten, eine Plattform bieten können.
Mit Dumping-Honoraren sei da allerdings kein Staat zu machen, warnt Fiene. Es reiche heute nicht mehr, zu sagen „du arbeitest zu meinen Bedingungen, dafür erreichst du auch ein gewisses Publikum“. Dieses Argument ziehe immer weniger – vor allem, wenn sich Arbeitsbedingungen und Ansehen des Journalistenjobs obendrein verschlechtern.
Es helfe gar nichts, wenn ein Medienmacher wie die WDR-Führungskraft Jochen Rausch in einer DWDL-Kolumne über den fehlenden Enthusiasmus des Audio-Nachwuchs wettere und beschwöre, was für ein geiles Medium das Radio doch sei.
Immerhin beklage sich Jochen Rausch noch. Andere Medienmanager machten sich über den Brain Drain bei großer Fluktuation gar keine Gedanken und hielten jeden – außer sich selbst natürlich – für ersetzbar. Dabei würden Redaktionen doch dann besonders gut funktionieren, wenn man sich sehr gut kenne: „Das journalistische Produkt lebt von den Persönlichkeiten. Das zahlt alles auf die Marke ein,“ wundert sich Medienjournalist Fiene über so viel Gleichgültigkeit.
Zumal diese Bewertung keine Generationenfrage ist. Nils Minkmar, Jahrgang 1966, und Daniel Fiene, Jahrgang 1982, kommen zu ziemlich ähnlichen Einschätzungen: Es seien gute Zeiten für Freie, wenn diese sich schon einen Namen gemacht hätten. Es sei eine gute Zeit für journalistisches Unternehmertum: So müsse sich zum Beispiel Special Interest ja nicht mehr zwingend am Kiosk verkaufen, um rentabel zu sein. Ja, noch könne die Etablierung über bekannte Medienmarken nicht schaden. Aber Geld sei da und die Leute gäben es aus – wenn auch nicht immer für klassische Abos.
Der direkte Dialog als Plus
Der Dialog zwischen Medienschaffenden und Nutzerinnen und Nutzern sei konstruktiver und hilfreicher, je persönlicher er werde, sagen beide. Daniel Fiene erfährt über den direkten Kontakt mit Userinnen und Usern eine Aufwertung seines Tuns. Denn er bekomme so mit, dass er ihren Alltag mit seiner Arbeit erleichtere. Es sei „einfach mega-super“ zu spüren, dass er anderen helfen könne, mit dem Medienwandel besser klarzukommen. „Weil ich nicht nur einen Sendeplatz fülle oder einen schönen Beitrag produziere, habe ich noch mehr Spaß an ‚Was mit Medien‘. Ich gehe viel motivierter ans Werk.“
Auch Nils Minkmar begegnet „seinen“ Leserinnen und Lesern anders als zu Spiegel-Zeiten. Ihn freut, dass er viel seltener in seiner Rolle als Vertreter eines Mediums und viel stärker als Person angesprochen werde. Arbeits- und Produktqualität hingen ja nun mal untrennbar zusammen: Da es ihm wieder mehr Spaß mache, zu schreiben, mache es eben auch mehr Spaß, die Texte zu lesen. Der Alltag in Redaktionen sei heute zu oft von Kopflosigkeit und Stress bestimmt. Dabei müsse man als Journalist doch immer offen sein für Neues. Darum ginge es doch, dafür bleibe aber leider bei zu vielen Medienhäusern immer weniger Luft, darum müsse man raus: „Sobald man die Eistürme der Redaktionen verlässt, kann das Leben beginnen!“
Damit beschreibt er genau den goldenen Käfig, in dem Carina Kontio nicht landen wollte. Sie weiß nicht, ob es eine wirtschaftliche Alternative für die breite Masse sein kann, selbst Medienmarke zu sein. Sie kennt Beispiele von Selbstständigen, die Bücher schreiben, Vorträge halten und für verschiedene Medien arbeiten; das funktioniere zwar gut, sei aber auch echt harte Arbeit.
Auch Bianca Hoffmann meint, es müssten sich gar nicht alle selbstständig machen, um glücklich im Job zu werden. Sie ist sich sicher: Neue Konkurrenten setzen etablierte Anbieter unter Druck. Die müssten sich notgedrungen verändern, weil sie sonst bald gar kein Personal mehr bekämen. Bei einigen Medienmarken werde die Ehrfurcht vorm großen Namen diesen Punkt eventuell noch eine Weile hinaus zögern, aber auch das sei endlich, weil junge Leute sich weniger eng an Medienmarken bänden – als Mitarbeitende genauso wenig wie als Kundschaft. Noch könnten Medienhäuser auf diese Warnschüsse reagieren, bevor sie komplett den Anschluss in der Nachwuchswerbung verlören.
Daniel Fiene kann dem nur zustimmen. Medienmarken fänden sich zwar immer in zwei Wellen wieder: Es gebe Zulaufs- und Abgangsphasen – wenn bestimmte Köpfe kämen oder gingen, gäbe es immer Nachahmer. Das sei nicht neu, sagt er mit Blick auf den Neu-Freien Minkmar, „aber spätestens, wenn Mitarbeitende der jüngeren Generationen dasselbe fordern wie Ü50, sollte man in Führungsetagen eventuell anfangen, das Ganze ernst zu nehmen und nicht mehr nur mit ‚Ach ja, die Jugend…‘ abzutun, oder?“||
Warum der DJV-NRW auch für Jobwechsler ein echtes Pfund ist
Dass der DJV die Verbands-Heimat so vieler Berufsgruppen ist, hat Vorteile: Ob angestellt oder frei, ob Journalismus oder PR, ob klassische Tageszeitung oder Neugründung, privater oder öffentlich-rechtlicher Sender, Agentur, Produktionsfirma, Onlinemedium oder, oder, oder: Solange das Einkommen zum überwiegenden Teil aus journalistischer Arbeit kommt, ist der DJV die richtige Organisation und steht den Mitgliedern mit seinem Know-how zur Seite.
Newsletter, Podcasts, Mailings, die Social-Media-Kanäle und natürlich das JOURNAL informieren über wichtige Trends und Entwicklungen in den verschiedenen Teilen der Branche, über die Medienszene NRW und Medienpolitik. So sind Mitglieder auch über ihre eigene Nische hinaus auf dem Laufenden. Das hilft, wenn man sich umorientieren oder weiterentwickeln will. Hinzu kommen Branchen-Veranstaltungen, kostengünstige Weiterbildung und das große Netzwerk aus Kolleginnen und Kollegen – von lokal bis bundesweit.
Ein wichtiger Baustein ist für viele Mitglieder schließlich auch der Berufsrechtsschutz im DJV-NRW. Im besten Fall müssen sie ihn nie in Anspruch nehmen, jedenfalls nicht für juristische Auseinandersetzungen. Aber nützlich ist es auf jeden Fall, das Justiziariat mal über den neuen Anstellungs- oder Honorarvertrag schauen zu lassen oder Antwortet auf wichtige Fragen zum Beispiel zur Existenzgründung oder der Mitgliedschaft in der KSK zu bekommen.
Kurz: Wer zum DJV-NRW gehört, weiß den Beruf und die eigenen beruflichen Interessen durch den anerkannten Berufsverband und die starke Gewerkschaft gut vertreten./cbl
Der Beitrag ist Teil des Titelthemas „Medienkarrieren heute“. Weitere Texte sind „Hab den Mut zur selbstbestimmten Veränderung“ und „Wie es miteinander weitergehen kann“.
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2021.