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Die Informantin fragt nach

Sally Lisa Starken erklärt Politik für Jüngere
7. Oktober 2024, Andrea Hansen

„Die Informantin“, der Titel klingt ein bisschen nach Krimi. Ist aber keiner, es ist der wöchentliche News-Podcast von Sally Lisa Starken aus Bielefeld, Jahrgang 1990, freie Journalistin. Seit Januar 2023 veröffentlich sie jeden Freitag eine Folge. Immer. Nur über Weihnachten macht sie eine Woche Pause. „Sonst ist der Podcast bislang nur einmal ausgefallen, als ich sehr stark Corona hatte.“ Das Angebot ist für sie Teil ihres Alltags. Ihrem Publikum geht’s ähnlich. Das bekommt von ihr aktuelle politische Debatten erklärt, stets mit Kontext, manchmal auch mit Meinung.

Die Informantin
Porträtbild der jungen Journalistin Salla Lisa Starken.
Sally Lisa Starken. | Foto: Benni Janzen

Wie funktioniert Politik? Und was bedeuten die aktuellen Schlagzeilen für mein Leben? Im Podcast „Die Informantin“ ordnet Sally Lisa Starken das aktuelle News-Geschehen ein und erklärt politische Hintergründe. Ein weiteres Angebot ist ihr Newsletter „Politikwach“, der ebenfalls wöchentlich erscheint. Ihr Ziel: Politik einfach erklären, neu erzählen und so besser verstehen.

Was ihr selbst gefehlt hat

Sie hat das Angebot geschaffen, das ihr selbst gefehlt hat. Beim Newskonsum hat sie oft Infos vermisst, um die neuen Informationen einbetten und verstehen zu können: „In der Politikberichterstattung wird oft zu viel vorausgesetzt.“ Das fange schon mit Begriffen an. Dabei müssten Nachrichtenmacherinnen und -macher doch den Anspruch an ihre Arbeit haben, dass „ich das auch verstehen kann, wenn ich nicht gut im Politikunterricht aufgepasst habe.“

Sally Lisa Starken selbst hat im Politikunterricht aufgepasst, denn sie hat sich schon immer für das Thema interessiert: „Ich muss gestehen, ich wollte sogar mal Politikerin werden,“ erzählt sie lachend. Mit Anfang 20 hatte sie ihr duales Studium beendet, war fertige Rechtspflegerin bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld. 2019 ist sie für die SPD bei der Europawahl angetreten. Dabei ist ihr klar geworden, dass das nicht ihr Weg ist. Und zwar weder der bei der Staatsanwaltschaft noch der ins Parlament.

Diese verräterische Stille

Denn auch im politischen Raum hatte sie diese Momente des fehlenden Kontextes: „In Diskussionen wird da noch mehr mit Fachbegriffen um sich geworfen. Wenn man dann in den Raum fragt: Was hast du damit gemeint, kommt ganz oft diese verräterische Stille.“ Das sei der Moment, in dem Menschen merkten, dass sie nur Plattitüden wiederholen, die sie aufgeschnappt haben. Das sei eine politische Bildungslücke, die größer sei, als sie bis dahin gedacht hatte. Es fehlten frei verfügbare Ressourcen, die auf- und erklärten.

Eine junge Frau sitzt inmitten von ausgebreiteten Zeitungen auf dem Boden.
Politik muss besser erklärt werden, um auch Jüngere zu erreichen. Davon ist Sally Lisa Starken überzeugt. Gerade die klassischen Medien setzen zu viel Wissen voraus. | Foto: Daniel Dittus

Wie vom Grundgesetz gedacht, ermächtigt sie sich selbst, Publizistin zu sein – ohne Volo oder vergleichbare Ausbildung. Doch es dauert etwas, bis sie sich Journalistin nennen mag. Sie kannte das von der Staatsanwaltschaft: So richtig gehörte man in der Justiz nur dazu, wenn man Jura studiert hatte. Das hat sie geprägt: „Ich habe mich immer wieder gefragt: Habe ich es den Leuten jetzt bewiesen?“ Sie belegt Kurse an der Hamburg Media School und hinterfragt immer wieder ihren Wissensstand.

Dann der Schlüsselmoment: Sally Lisa Starken soll eine Veranstaltung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung moderieren, es kommt die typische Frage: Was sollen wir ins Programm schreiben? Sie zählt auf, was sie bislang alles gemacht hat, ohne eine Berufsbezeichnung zu nennen: „In der Veranstaltungsinfo stand dann, ohne dass sie mich gefragt hatten, ‚freie Journalistin‘. Da habe ich gedacht, wenn andere es sagen, kann ich mich auch selbst so nennen.“

Seither sieht sie das mit der Bezeichnung entspannt. Sie habe – heiliges Klischee, meint sie grinsend – ihr Hobby zum Beruf gemacht: „Ich habe mich schon immer intensiv mit diesen Themen befasst – jetzt zahlen sie auch meine Miete.“ Das sei einerseits die schönste, aber auch die forderndste Situation. Wenn einer nach ihren Hobbys frage, könne sie – ziemlich typisch für eine Journalistin – keins nennen: „Selbst wenn ich häkeln würde, würde ich
dabei noch eine Doku gucken.“

Sich regelmäßig erden

Ein Problem mit der Work-Life-Balance hat sie nicht, dank ihres Campingbusses: „Sobald ich einsteige, geht’s mir gut.“ Und sobald sie in den Bergen steht, kommt sie runter: „Das ist eine Resilienzstrategie. Die zweite ist, dass ich Freunde habe, die mit meinem Beruf gar nichts zu tun haben.“ Es sei erholsam, sich abends zu treffen und nicht über den Höcke-Wahlkampf zu sprechen: „Da merkt man, dass das reale Leben komplett anders ist als mein digitales Leben. Das erdet.“

Erdung ist das eine. Das andere ist Ernsthaftigkeit. Sally Lisa Starken fühlt eine große Verantwortung beim Newsfluencen: „Ich habe eine große Followerschaft. Wenn ich denen übermorgen etwas erzähle, was ich nicht richtig recherchiert habe, glauben mir das viele. Darum will ich Fehler, so gut es geht, ausschließen“, erzählt sie.

Kritisch über dreist zu bedrohlich

Die Haltung der Menschen sei kritischer geworden, auch in der Mitte der Gesellschaft. Das könne sie in ihren Direktnachrichten sehen – der Weg von kritisch über dreist hin zu bedrohlich sei oft nicht weit. „Früher habe ich gesagt: Das, was in den sozialen Netzen passiert, passiert mir nicht auf der Straße. Das ist aber zehn Jahre her. Heute würde ich diese Meinung komplett revidieren.“

Es passiert ihr überall: „Im Zug hat mich mal ein Mann angesprochen und gefragt, ob ich glaube, dass er ein Nazi sei. Das sind Momente, vor denen ich Respekt habe.“ Sie ist sich der latenten Gefahr bewusst und ist vorbereitet. Recherche-Reisen unternimmt sie nie allein. Mindestens ihre Mitarbeiterin kommt mit, oft tut sie sich auch mit Kolleginnen oder Kollegen zusammen, die dieselben Themen beackern: „Wir nehmen einen Leihwagen, sagen nicht, wo wir wohnen, und befolgen noch ein paar Sicherheitsregeln.“

Neben anderen gehört Spiegel-Redakteurin Ann-Katrin Müller zu diesem Netzwerk, das Sally Lisa Starken sich geschaffen hat. In ihm kann sie ihre Arbeit inhaltlich diskutieren und mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam abschätzen, was geht und was nicht. Sie selbst sorgt sich bei öffentlichen Veranstaltungen der AfD zum Beispiel nicht; so eine Gefahreneinschätzung sei aber hoch individuell: „Ich bin eine deutsche Journalistin, ich bin eine blonde Frau – wenn ich einen Migrationshintergrund hätte, würde meine Arbeit wohl anders aussehen,“ räumt sie ein.

Die AfD ist eins ihrer „Lieblingsthemen“. Die Partei kommt oft im Podcast vor, ein Buch voller Gespräche mit AfD-Wählerinnen und -Wählern ist auch fast fertig. Sie hofft, „dass die Brandmauer eine Tür hat, durch die man einige wieder zurück auf die andere Seite holen kann“. Es ärgert sie, dass kaum jemand seine Politik erklärt – „außer Robert Habeck in Ansätzen“ – und dass die CDU keine andere Idee habe, als die AfD zu kopieren: „Es ist doch alles mit Studien belegt. Schon vor zehn Jahren wurde dieser Prozess von Provokation zum Normalisierungsgewinn beschrieben!“

Der Aufschrei kommt immer zu spät

Die Frage des Jahrzehnts ist für sie, warum der Aufschrei immer erst kommt, wenn etwas passiert ist, und wie man das endlich ändert: Brexit, Trump, Rechtsruck in Europa. Und auch, dass der Effekt der Demos nach der Correctiv-Recherche verpuffen würde, sei von Anfang an klar gewesen: „Jedes Mal dasselbe Muster: Am Ende sind alle schockiert und fühlen sich hilflos.“

Politik und Medien setzten zu oft auf die schnelle Schlagzeile. Nachhaltigkeit im Nachrichtengeschäft erachteten viel zu wenige als Notwendigkeit. Hier sieht sie auch eine Gefahr ihres eigenen Geschäftsmodells: „Es ist auch in meiner Arbeit immer wieder die Frage, wie ich die Aufmerksamkeit der Leute bekomme.“ Es sei schwierig, die Menschen in ihrem Alltag zu erreichen.

Und auch, wenn sie sagt, dass sie nie aufhören würde, mit Menschen zu reden, heiße das nicht, dass sie für alle(s) Verständnis habe. Das ewig gleiche Lied vom „Sorgen-der-Menschen-ernst-Nehmen“ sei schon zu oft gesungen worden. Wenn die AfD von Björn Höcke stärkste Kraft werde und den Landtag blockiere, könne man sich als Wählerin und Wähler nicht so schnell mit der Aussage freikaufen, man habe nur aus Protest gewählt: „Wer Teil dieser Demokratie ist, hat eine Stimme und dadurch auch Verantwortung!“

Auch die Medien müssten raus aus ihren Automatismen. Nur weil eine Partei ein Stöckchen hochhalte, müssten ja nicht alle drüber springen: „Ich hätte mir gewünscht, dass keiner darüber berichtet, was die FDP zum Bürgergeld gesagt hat.“ Es hätte kein Vorhaben der Regierung gegeben: Wo sei da die Relevanz? „Und dann muss man auch noch erklären, dass alles, was die da von sich gegeben haben, faktisch nicht stimmte.“

An demokratische Parteien hat sie den Anspruch, dass diese sich selber an die Nase fassen, ihre Forderungen auf Faktizität überprüfen und statt Populismus wieder mehr Erledigungsvermerke liefern: „Etwas anderes können wir uns nämlich nicht mehr leisten.“||

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2024.