THEMA | Sportjournalismus

Konkurrenz der Kanäle

Medienarbeit der Bundesliga-Vereine macht es Redaktionen schwer
30. September 2022, Dr. Boris Spernol

Als die WAZ Anfang 2009 Otto Rehhagel bat, etwas zur Verabschiedung ihres langjährigen Sportchefs Hans-Josef Justen beizutragen, überlegte er nicht lange. Er denke da „natürlich sofort an dieses Bild mit dem alten Herberger […], einfach köstlich“, sagte der statistisch gesehen erfolgreichste Trainer der Bundesliga-Historie. Der 2015 verstorbene Justen, zu seiner aktiven Zeit einer der profiliertesten deutschen Sportjournalisten, hatte bereits in jungen Jahren Mediengeschichte geschrieben. Und nach gut vier Jahrzehnten seiner Laufbahn, in denen er zahllose bedeutende internationale Sportveranstaltungen begleitet hatte, blieb auch ihm das Interview im Privathaus des Alt-Bundestrainers in Hohensachsen präsent, das mit Rotwein und belegten Broten in der Küche erst spät in der Nacht endete.

Vor dem Interview aber hatte Sepp Herberger den jungen Reporter zu einem Wettlauf ums Haus herausgefordert. Ein WAZ-Fotograf fing die Szene ein. Eine andere Schwarz-Weiß-Fotografie im Redaktionsarchiv zeigt den Sportjournalisten beim Interview mit Uli Stielike nach einem Europapokalspiel im Bernabeu-Stadion – in der Kabine wohlbemerkt.

Einfach mal mit einem Spieler plaudern, ohne dass ein Pressestab die Antworten im Prozess der Autorisierung in eine offizielle Vereinsmitteilung verwandelt? Die Zeiten, in denen bei aller professionellen Distanz immer auch Nähe zugelassen war, waren längst vorbei, als Hans-Josef Justen in Ruhestand ging. In den vergangenen Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen für die weitgehend männlich Kollegen, die über die Fußball-Bundesliga der Männer berichten, noch einmal wesentlich verschärft, wie Szenekenner zunehmend berichten.

Kein Einfluss auf die Interviewsituation

Als unlängst ein lokales Nachrichtenportal ein Videointerview mit einem Spieler des örtlichen Fußball-Bundesligisten veröffentlichte, stieß dies bei manchen in der Leserschaft auf massives Unverständnis, denn die zugegebenermaßen technisch nicht perfekte Aufnahme war in einer sogenannten Mixed-Zone am Rande einer Trainingseinheit entstanden. Im Hintergrund ließen andere Spieler beim Schusstraining immer wieder einen Metallzaun kräftig scheppern. Warum die Journalisten mit ihrem Interview denn nicht auf das Ende des Trainings gewartet hätten oder sich einfach woanders hingestellt hätten, fragten die Zuschauerinnen und Zuschauer – in völliger Unkenntnis der Lage. Denn die Journalisten, die ob der Geräuschkulisse manche Antwort teils selbst kaum verstanden, hatten keinen Einfluss darauf, wo und wann sie ihre Fragen stellen durften. Und das ist kein Einzelfall.

Früher war es üblich, dass die Journalisten auch nach einem Spiel in einer Mixed-Zone jeden Spieler ansprechen durften. Das ist längst nicht mehr bei allen Bundesligisten erlaubt. Viele Vereine bestimmen, mit welchen Spielern die Journalisten sprechen dürfen. Und diese Restriktion gibt es auch beim Profi-Training. „Zaun oder Zirkus?“ betitelte die Sportzeitschrift Kicker Ende August 2022 ihre Aufmachergeschichte über den Hang von Fußball-Bundesligisten, sich immer öfter beim Training abzuschotten. Bei den Bundesligisten habe sich eine Wagenburgmentalität entwickelt, kritisieren Journalisten, die seit Jahrzehnten in der Branche tätig sind. Verletze sich zum Beispiel ein Spieler im Training, könne es passieren, dass ein Verein dies erst Tage später kommuniziere.

Die Vereine wollen zunehmend Kontrolle

Peter Müller, Sportchef der Funke-Mediengruppe. | Foto: Lars Heidrich
Peter Müller, Sportchef der Funke-Mediengruppe. | Foto: Lars Heidrich

Peter Müller, heutiger Sportchef der Funke-Mediengruppe, der das Geschehen bei vielen Bundesligisten im Blick hat, teilt diese Beobachtungen und bringt das Dilemma auf den Punkt: „Das Hauptproblem aus unabhängiger journalistischer Sicht ist, dass die Vereine möglichst die Kontrolle über das, was veröffentlicht wird, behalten wollen. Mein Vorgänger Pit Gottschalk hat kürzlich in Sorge um unsere Branche betont, die Verlage hätten noch keine Antwort darauf gefunden, dass sich die Bundesligisten inzwischen Medienabteilungen leisten, die zum Teil größer sind als die unabhängigen Redaktionen, die über die Vereine berichten. Diese Ansicht teile ich zu hundert Prozent.“

Die Fußball-Bundesligisten treten damit durchaus bewusst in einen Wettbewerb mit den Redaktionen, indem sie versuchen, alles zunächst in den vereinseigenen Kanälen zu veröffentlichen. So kann es schon mal passieren, dass ein Verein noch während eines Pressegesprächs Einzelheiten über den Wechsel eines Spielers auf seiner Internet-Seite veröffentlicht. In der Verbreitung von Nachrichten hinkt der unabhängige Journalismus oftmals und immer öfter hinterher.

Verhindern, was früher selbstverständlich war

Nicht jeder Verein handhabe das gleich, betont Müller. Da gebe es auch Ausnahmen und Nuancen im Umgang miteinander und in der Art und Weise, wie und wann Medienanfragen behandelt werden. „Die wissen dann, dass es für sie gut ist, wenn sie noch einen Draht zu seriösen und unabhängigen Medien haben.“ Er wolle nicht per se die Medien-Abteilungen der Bundesligisten angreifen. „Die befolgen auch nur die Vorgaben ihrer Klubführungen. Die können oft gar nicht mehr anders, als Dinge zu verhindern, die früher selbstverständlich waren“, sagt der Sportchef. Auch Frank Lußem, stellvertretender Leiter der für NRW zuständigen West-Redaktion beim Kicker, kann dies bestätigen. Er sagt aber auch: „Ich weiß das von vielen Kollegen, in meiner persönlichen Arbeit habe ich bislang wenig Grund mich zu beklagen.“ Aber das liege eben auch an den Vereinen, über die er regelmäßig berichte.

Peter Müller sieht den Journalismus zugleich in einem doppelten Spannungsfeld. Er nehme – auch durch Reaktionen von Leserinnen und Lesern – zunehmend wahr, dass Fußball-Fans vor allem auf das vertrauten, was ein Verein offiziell verlautbare: „Fans fallen zu oft darauf rein, die reingewaschenen Meldungen von Vereinen als das Nonplusultra anzusehen“, sagt Müller. Zugleich werde die Rechercheleistung des unabhängigen Journalismus kritisch hinterfragt. Ein Misstrauen, das Medien ja nicht nur im Sportressort begegnet, wie auch Vertrauensstudien zeigen.

„Für diesen Ruf haben auch die sozialen Medien gesorgt“, sagt Müller, für den Kanäle wie Twitter und Facebook Fluch und Segen zugleich sind. „Einerseits kann man sie nutzen, um die Reichweite zu verstärken, für Redaktionsmarketing. Sie sind aber auch ein Fluch, weil jeder seine Meinung raushauen, jeder ‚Journalist‘ spielen kann. Wer sich aus 30 absurden Tweets eine Meinung bildet, braucht aus seiner Sicht gar keine unabhängige Berichterstattung mehr. Das wissen auch die Vereine, die sich das zunutze machen.“ Zugleich stellen Journalisten fest, dass Profispieler weniger Interesse an den klassischen Medien haben und seltener zu Interviews bereit sind.

„Wer als Spieler früher für sich werben und sich gut darstellen wollte, für den war es auch mal wichtig, im Interview gut rüber zu kommen. Das ist klar vorbei“, sagt Müller. „Inzwischen posten die ihre Sicht der Dinge selbst bei Instagram oder haben Profile, die sie von ihren Beratern und Agenturen bearbeiten lassen.“

Für den Sportjournalisten, der seit rund 40 Jahren im Geschäft ist, sind die dahinterstehenden Gründe aus Spielersicht durchaus nachvollziehbar. „Instagram ist ein Bildportal, wo sich jeder auf Hochglanz poliert. In einem Interview mit unabhängigen Medien muss sich ein Spieler auch unbequemen Fragen stellen. Das passiert in den eigenen Medien nicht, wo alles mehrfach chemisch gereinigt ist.“

Lieber unterm Teppich als veröffentlicht

Müller beobachtet, dass es eine Reihe von Fans gebe, die ihren Verein nicht angegriffen sehen wollten, die lieber etwas unter den Teppich gekehrt, als veröffentlicht wissen wollten. „Die sagen dann: Die Journalisten machen unseren Verein schlecht.“

Verbale Angriffe auf Sportjournalistinnen und -journalisten nehmen zu, berichten nicht nur die Betroffenen. In den Stadien müssen sie sich aber auch immer wieder vor gefüllten Bierbechern in Sicherheit bringen, die auf Pressetribünen geworfen werden. „Der Respekt geht verloren“, sagt Peter Müller, blickt aber auch selbstkritisch auf seine Branche: „Wir leben in der Zeit der schnellen Schlagzeilen. Die ausgeruhte Printversion ist nur noch für einen Teil der Kundschaft, der andere Teil liest online. Und online gilt die Schnelligkeit. Wenn da die journalistische Sorgfalt zu wenig eingehalten wird, liefern wir den Vereinen auch einen Vorwand für ihre eigenen Medien.“||

Ein Beitrag in Ergänzung zu JOURNAL 3/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2022.