Ein abgebrochenes Pressegespräch des Erzbistums Köln sorgte Anfang Januar für Aufsehen. Die eingeladenen Journalistinnen und Journalisten versprachen sich Einblick und weitere Informationen zum Missbrauchsgutachten, das Kardinal Rainer Maria Woelki zurückgehalten hatte (siehe Kasten „Unveröffentliches Gutachten“). Zu erwarten war, dass Namen im Dokument geschwärzt sind, wie es das Erzbistum auch angekündigt hatte. Ebenso erwartbar war bei einem solchen Gespräch die Vereinbarung „unter drei“ – Informationen dienen ausschließlich als Hintergrundwissen und dürfen nicht öffentlich verwertet werden.
Stattdessen präsentierte das Bistum den Kolleginnen und Kollegen am 5. Januar – wohl auf Anraten der Medienrechtskanzlei Höcker – eine juristische bindende Vertraulichkeitsvereinbarung. Mit ihrer Unterschrift sollten sie sich verpflichten, wesentliche Informationen nicht zu veröffentlichen.
Konkret forderte die Vereinbarung „vollständiges Stillschweigen“ über alle Informationen und Inhalte des Gutachtens, „soweit es um die in dem Gutachten geschilderten Tathergänge sexuellen Missbrauchs, benannte Täter/persönliche Verantwortlichkeiten, benannte Verantwortungsträger im Umgang mit (Verdachts-)Fällen sexuellen Missbrauchs aus dem Erzbistum Köln sowie die durch die Kanzlei WSW abgeleiteten Empfehlungen für das Erzbistum Köln geht“. So zitierte es Joachim Frank, Chefkorrespondent des Kölner Stadt-Anzeigers, nach dem Termin in einem Statement bei Facebook.
Erwünscht waren dagegen Beiträge darüber, was das Bistum juristisch und methodisch an dem Gutachten bemängelte. Erläutern sollte dies der per Video zugeschaltete Rechtsprofessor Matthias Jahn. Jede weitere Berichterstattung hätte der Freigabe durch das Erzbistum bedurft.
Nicht zum Sprachrohr werden
Unannehmbare Bedingungen für die acht Journalistinnen und Journalisten verschiedener Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Sender, sie verweigerten die Unterschrift. Nicht nur, weil sie sich nicht zum Sprachrohr für die Rechtsauslegung des Erzbistums machen lassen wollten. Vor allem hätte die Vereinbarung Schwierigkeiten bei weiteren Veröffentlichungen zu dem ganzen Themenkomplex bedeutet. Denn wäre im Einzelfall – vielleicht auch noch gerichtsfest – nachzuweisen, dass Wissen nicht aus dem Hintergrundgespräch bzw. ihrer Einsicht in das Gutachten stammt, sondern aus eigenen Recherchen? Die eigenen Quellen offenzulegen kommt ja nicht in Frage.
Auch wenn es hier gute Gründe für Vertraulichkeit gibt, mit den üblichen Regelungen für Hintergrundgespräche ist die vorgelegte Verschwiegenheitserklärung nicht vergleichbar. Bei Pressegesprächen oder in individueller Kommunikation gilt: Was „unter eins“ besprochen wird, kann beliebig verwendet und zitiert werden. Informationen „unter zwei“ dürfen verwendet werden – ohne Nennung dessen, der Auskunft gegeben hat. Zulässig ist aber eine Zuordnung zum Umfeld der Quelle, etwa die oft erwähnten „Parteikreise“. Für alles, was „unter drei“ gesagt wird, gilt absolute Vertraulichkeit. Zwar ist dieser mündliche Vertrag juristisch kaum durchsetzbar. Aber Journalistinnen und Journalisten halten sich daran. Denn wer die informelle Absprache bricht, verliert das Vertrauen und damit den Zugang zu wertvollen Informationen.
„Vollkommen unüblich“
„Alltagsgeschäft“ nannte Frank Stach, Landesvorsitzender des DJV-NRW, denn auch die Vertraulichkeit bei Gesprächen „unter drei“ und ergänzte: Es sei nachvollziehbar, dass im vorliegenden Fall Namen geschwärzt und Kopien untersagt seien. Ebenso die Bitte, dass „aus Gründen des Opferschutzes bestimmte Tatsachen möglichst geheim gehalten werden sollen“. „Vollkommen unüblich“ seien dagegen schriftliche Geheimhaltungsvereinbarungen in einem solchen Umfang. Wenn neben Tathergängen und Verantwortlichen nicht mal die Empfehlungen der Kanzlei weitergegeben werden dürften, komme das einem Maulkorb gleich.
Letzteres ist auch für Joachim Frank „der springende Punkt“. Schaue man auf das veröffentlichte Gutachten im Bistum Aachen (siehe Kasten links), lasse sich aus den Empfehlungen eine grundsätzliche Kritik an kirchlichen Strukturen vor Ort herauslesen, die das Erzbistum Köln wohl nicht öffentlich verhandelt sehen wollte.
Als „ebenso unglaublich wie unerhört“ kritisierte auch die Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP) die Forderung des Bistums. Sie widerspreche journalistischen Grundsätzen der Unabhängigkeit und Transparenz und konterkariere „die Bedeutung unabhängiger Medien im Zuge der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Es darf hier nichts geben, was den Eindruck einer gelenkten Berichterstattung erweckt.“ Die GKP erklärte, sie setze „auf eine Kirche, die keine Medienanwälte braucht, um mit Journalistinnen und Journalisten zu kommunizieren“.
Tatsächlich haben Medienanwälte heute einen weit größeren Einfluss als früher – nicht nur beim Erzbistum Köln. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung (OBS)* ergab 2019, dass die Zahl der „presserechtlichen Informationsschreiben“ stark zugenommen hat. Mit solchen Schreiben versuchen Anwaltskanzleien, Berichterstattung im Voraus zu verhindern oder wenigstens im Sinne ihrer Mandanten zu beeinflussen. Neben „harten“ präventiven Maßnahmen wie den presserechtlichen Informationsschreiben oder Warnschreiben listen die Autoren Daniel Moßbrucker und Tobias Gostomzyk auch „weiche“, also „kommunikativ-kooperative Kommunikationsmaßnahmen“ auf.
Unveröffentlichtes Gutachten
Ein unveröffentlichtes Rechtsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zum Umgang des Erzbistums Köln mit Fällen sexualisierter Gewalt durch Priester wächst sich zum immer größeren Problem aus. Mit dem Versprechen großer Transparenz hatte Kardinal Woelki es 2018 in Auftrag gegeben, die für März 2020 geplante Veröffentlichung aber zunächst wegen äußerungsrechtlicher Probleme verschoben. Im Herbst erklärte das Erzbistum, das Dokument könne wegen grundlegender methodischer Fehler gar nicht veröffentlicht werden. Dies scheint kurios, denn ein entsprechendes Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Bistum Aachen wurde im November veröffentlicht und für die Umsetzung gelobt. Inzwischen hat das Erzbistum beim Kölner Strafrechtler Björn Gercke ein neues Gutachten in Auftrag gegeben und will die Ergebnisse im März vorlegen./cbl
Berichterstattung verhindern
„Natürlich ist es meine Aufgabe, Journalisten zu drohen“, erklärte Medienanwalt Ralf Höcker, der unter anderem den ehemaligen Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maassen, und die AfD vertreten hat, in einem Interview der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) im Oktober 2019. „Warum sollten Journalisten der einzige Berufsstand sein, dem man nicht drohen darf?“ Er gehe mit Journalistinnen und Journalisten „in den Clinch“ und „drohe mit einstweiligen Verfügungen, Gegendarstellungen, Schmerzensgeld, Schadenersatz, was auch immer“. Bevor ein Bericht erscheine, versuche er „zu ergründen, wie der Bericht aussehen wird und was da an Rechtswidrigem drinstehen könnte. Und dann versuche ich zu verhindern, dass das passiert. Ich zeige Journalisten die Grenzen auf, definiere das Zulässige.“
Die Kanzlei Höcker berät auch das Erzbistum bei seiner Kommunikation mit Medien. Zuständig war in diesem Fall wohl Presserechtler Carsten Brennecke, der auf Twitter munter mitdiskutierte, als Journalistinnen und Journalisten den Abbruch des Kölner Pressegesprächs thematisierten. Dass Hintergrundgespräche ohne bzw. mit eingeschränkter Verwertbarkeit gang und gäbe seien, sei „jedem erfahrenen Investigativjournalisten bekannt“, erklärte Brennecke. Diese kämen so an „veröffentlichungsfähige Informationen, an die sie sonst nie gekommen wären und die die Öffentlichkeit sonst nie erfahren hätte“.
Brenneckes Vorwurf: Wer „eine Aufregung über eine Vereinbarung der Verschwiegenheit im Hintergrundgespräch öffentlich inszeniert“, kenne sich wohl sich nicht mit Investigativjournalismus aus. Dabei ließ er allerdings im Vagen, ob diese Vereinbarung auf der mündlichen Unter-drei-Regelung beruht oder auf einer juristisch bindenden Unterschrift.
Am besten vorab und auf Augenhöhe
Auch in der Süddeutschen Zeitung betonte Brennecke, „führende deutsche Investigativjournalisten“ akzeptierten solche Verschwiegenheitserklärungen – „quer durch alle führenden Blätter“. Dort heißt es weiter: „Allerdings treffe man solche Vereinbarungen in der Regel vor einem Gespräch ‚und auf Augenhöhe‘. Sie Journalisten ohne Ankündigung vorzulegen sei nicht unbedingt klug.“ Ergänzen könnte man noch: Noch schlechter sind die Aussichten auf brave Unterschriften, wenn man die Erklärungen unangekündigt einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen vorlegt. Spätestens, wenn einer erkennbar die Unterschrift verweigert, werden auch die anderen ihren Namen nicht darunter setzen.
Heißt das, dass Hintergrundgespräche „unter drei“ sich langsam erledigt haben? Eher nicht. So twitterte Massimo Bognanni, der als Reporter für Investigativredaktionen des WDR arbeitet: „Vertrauliche Hintergrundgespräche sind für unsere Arbeit enorm wichtig. Sie dienen dazu, Informationen zu sammeln, an die man sonst nie käme. Neue Ansätze zu erkennen und durch weitere Recherchen zu bestätigen.“
Er machte allerdings auch klar: „Eine Verschwiegenheitserklärung würde ich jedoch nie unterzeichnen. Schließlich würde die Verschwiegenheitserklärung ja gerade nicht ermöglichen, gewonnene Infos weiter zu vertiefen und zu veröffentlichen. Die Verschwiegenheitserklärung würde bestimmte Themen von der Veröffentlichung ausschließen.“
Was denn sei, wenn ein Journalist oder eine Journalistin „im Nachgang doch ans Material kommt, vorher aber Verschwiegenheit unterschrieben hat?“, wollte Medienjournalist Marvin Schade auf Twitter von Presserechtler Brennecke wissen. „Gute Frage“, antwortete der: „Verschwiegenheitsvereinbarungen werden oft mit einer Öffnungsklausel versehen, die besagt, dass der Journalist Informationen aus dem Hintergrundgespräch dann verwerten kann, wenn er sie aus dritter Quelle kannte oder erhält.“ Der Fall komme aber „in der Praxis fast nie“ vor.
„Wie würden Sie das überprüfen können, ob jemand, der bei Ihnen unterzeichnet hat, etwas wirklich auch aus anderen Quellen bekommen hat oder nicht – z.B.: anonym zugespielt?“, fasste Daniel Bouhs, ebenfalls Medienjournalist, daraufhin nach.
„Die Beweislast dafür liegt dann beim Journalisten“, erklärte Brennecke und befand: „Eine vergleichsweise geringe Belastung im Gegenzug für den Erhalt von Informationen, an die er sonst gar nicht oder erst nach Monaten kommt.“ Das – siehe oben – sehen viele Kolleginnen und Kollegen wohl explizit anders. Einen ursprünglich angekündigten zweiten Pressetermin hat das Erzbistum dann doch nicht mehr angeboten. Einer der Gründe: Es sah keine Möglichkeit, auf die schriftliche Verschwiegenheitsvereinbarung zu verzichten.||