Keine Frage von links und rechts: Aktuell wird wieder viel darüber gestritten, ob Journalistinnen und Journalisten eine Haltung haben dürfen – oder müssen. | Foto: secretgarden
Keine Frage von links und rechts: Aktuell wird wieder viel darüber gestritten, ob Journalistinnen und Journalisten eine Haltung haben dürfen – oder müssen. | Foto: secretgarden
 
Thema | Haltung

Haltungsfragen

Vom aufrechten Gang in stürmischen Zeiten
19. Oktober 2018, Andrea Hansen

Sitzen ist das neue Rauchen, heißt es. Ist nicht gut für die Haltung, den ganzen Tag am Computer zu hocken, das mache einen „Turtle Neck“, wissen Orthopäden. Der sieht dann ein bisschen aus wie ein Buckel – ganz klar ein Haltungsschaden. Journalisten sind da doppelt und dreifach gefährdet, wenn man an ihren Berufsalltag denkt.

Das liegt auch an der Haltungsdebatte, die seit einigen Monaten durch die Lande wabert: Darf ich als Journalist privat auf eine Demo gegen die AfD gehen, wenn ich auch über die Partei berichte? Wie viel Haltung kann mein Artikel enthalten, wie viel davon braucht er sogar? Und was ist das überhaupt: Haltung? Was ist Meinung, und wo ist der Unterschied zwischen beiden? So viele Fragen und noch mehr Antworten, denn besonders im Nachgang der sogenannten „Flüchtlingskrise“ ist die Diskussion wieder aufgeflammt – auch nach Jahrzehnten der immer wiederkehrenden Auseinandersetzung über das „richtige“ Journalistsein muss vieles immer wieder neu geklärt werden.

„Man wird ja jetzt überall aufgefordert, Haltung zu zeigen“, erregte sich Jan Fleischhauer schon 2016 beim Reporterforum in Hamburg im Streitgespräch mit taz-Korrespondentin Bettina Gaus. Inwiefern er denn Haltung zeigen würde, wenn er in Schwabing gemütlich zu einer Anti-Rechts-Demo ginge! Zwei Journalistinnen widersprachen: Nicht alle wohnten in Schwabing. In der Dortmunder Nordstadt sei die Positionierung gegen rechts ganz klar eine Haltung, und zwar eine unbequeme.

Paul-Josef Raue verteilte in einem kress-Beitrag im Februar 2018 auch keine guten Haltungsnoten: „Es gab das Licht und die Finsternis, am Ende wird es wieder nur Licht und Finsternis geben. Dazwischen leben wir – im Dunkeln mit ein bisschen Licht. Dies bisschen Licht nennen wir gerne Haltung. […] Nur – ist das Grau der Skepsis nicht der eigentliche Ort des Journalismus? Nein, sagen die Guten: Wir müssen Haltung zeigen und beweisen […] Bekommt nicht einer, der unentwegt Haltung zeigt, schwere Arme und einen schweren Kopf? Verhindert ein schwerer Kopf nicht, ihn zu heben, um anderen in die Augen zu schauen?“

Bei Twitter schrieb Jochen Bittner von der ZEIT über Nils Minkmar vom Spiegel nach Gaulands „Badehosengate“: „Ich werde nie verstehen, wie gerade linke Journalisten die Geltung von Rechten von bestimmten politischen Positionen abhängig machen können.“ Und der antwortete: „Ich erlaubte mir einen scherzhaften Ton, weil ich ihr Argument juristisch wie publizistisch unfreiwillig komisch fand. Die Rechte dieses Herrn wurden selbstverständlich nicht verletzt. Es ist vielmehr eine altbekannte Strategie von Rechtsradikalen, sich als Opfer zu bezeichnen.“

Alleinstellungsmerkmale sichern

Georg Restle vom WDR-Magazin Monitor attestierte derweil im journalist-Interview etlichen Kollegen eine Art Journalisten-ADHS: „Die gefallen sich regelrecht darin, die Tabubruch-Strategie der AfD journalistisch zu verlängern. Und das gar nicht unbedingt, weil sie die AfD so toll finden, sondern um sich als enfants terribles der Medienlandschaft neue Alleinstellungsmerkmale zu sichern.“

Seine NDR-Kollegin Anja Reschke von Panorama hat sogar ein ganzes Buch geschrieben mit dem Titel „Haltung zeigen“, das gerade erschienen ist. Ihr tagesthemen-Kommentar zum Thema hat Schlagzeilen gemacht: Sie fordert Kolleginnen und Kollegen auf, sich „nicht unter einem Pseudo-Neutralitätsmäntelchen“ zu verstecken, sondern „mehr Mut zu Ehrlichkeit, zu Transparenz, auch was die Herkunft von Informationen betrifft“ zu haben.

Eindruck von Zerrissenheit

„We agree to disagree“ scheint das Motto der Stunde, und viele Journalisten können das gar nicht deutlich genug hinausschrei(b)en in die Welt. Eine verunsicherte Branche trifft auf aufgebrachte und zweifelnde Nutzer. Sie vermittelt einen Eindruck der Zerrissenheit. Die Debatte, wie ein Journalist zu sein oder was er zu tun und zu lassen habe, wird nicht mehr nur in den Redaktionen oder auf Branchenkongressen geführt, sondern via Social Media mit der ganzen Republik.

Dieser Diskurs trifft auf ein Publikum, das ebenso uneins ist. Wichtige Begriffe sind nicht mehr allgemeingültig definiert. Jeder versteht darunter das, was ihm passt. Der Begriff Haltung hat aktuell mehr Auslegungen, als der Duden kennt. Für die einen ist Haltung die Krankheit, an der die ganze „Lügenpresse“ leidet. Für die anderen ist sie klar ideologisch festgelegt – es gibt „die Guten“ und „die Bösen“. Und wer eine andere Meinung bei gleichen Werten hat, hat trotzdem immer noch die falsche Haltung.

Dabei sieht man die Blindheit auf mindestens einem Auge immer nur beim anderen. Jüngstes Beispiel: die Berichterstattung aus dem Hambacher Forst. Für manche Aktivisten machen sich die Journalisten dort mit der Polizei gemein und verließen sich zu sehr auf deren Angaben. Gewalt gegen Demonstranten würde „verschwiegen“. Für RWE-Mitarbeiter ist dieselbe Berichterstattung Propaganda für Grüne und Umweltschützer. Die Journalisten können es in diesem aufgeheizten Klima scheinbar niemandem Recht machen.

Beide Seiten werfen den Journalistinnen und Journalisten Parteinahme und das Ignorieren von Fakten vor. Zugleich kommt auf den eigenen Facebookseiten (wie zum Beispiel bei „Wir im Rheinischen Revier für eine faire Berichterstattung“) in der Regel nur eine Meinung vor, und sachliche Diskussionsbeiträge sind ebenfalls schwer zu finden. Das, was für Journalisten selbstverständlich sein sollte, bleibt hier meist außen vor, frei nach dem Motto: „Jeder hat ein Recht auf meine Meinung“.

Vorwurf der Einseitigkeit an die Medien: Zum Thema Hambacher Forst informieren Gegner und Befürworter des Tagebaus in eigenen Facebook-Gruppen. | Screenshots Facebook.
Vorwurf der Einseitigkeit an die Medien: Zum Thema Hambacher Forst informieren Gegner und Befürworter des Tagebaus in eigenen Facebook-Gruppen. | Screenshots Facebook.

An der Polarisierung mitschrauben

An dieser Polarisierungsschraube drehen viele Journalisten mit, manche sogar doll. Julian Reichelt, Harald Martenstein, Jan Fleischhauer, Jakob Augstein – sie alle gefallen sich darin, Dinge besonders deutlich an- oder auszusprechen und sich unversöhnlich gegenüber zu stehen. Ganz zu schweigen von denjenigen, die das formelhafte „Das-wird-man-ja-wohl-mal-so-sagen-Dürfen“ als Geschäftsmodell entdeckt haben.

Mancher Journalist sitzt mittlerweile mehr in Talkshows als in Pressekonferenzen. Er wird zum Experten für Irgendwas oder zum Koalitions-Chefdeuter. Journalisten erklären Journalisten die Welt – das gab es früher nur im ARD-Presseclub. An dem stand aber dran, dass er der Medien-Frühschoppen war.

Nun erklären Journalisten anderen Journalisten und den Zuschauern an jedem zweiten Abend talkend die Berliner Republik oder gleich die ganze Welt. Auch hier werden Meinungen und Spekulationen wie Fakten vorgetragen. Gerüchte werden zu Debattenbeiträgen – auch in den Sozialen Medien, um eigene Beiträge im Hauptmedium zu bewerben: Die Nase vorn haben, die Mächtigen kennen, das ist das Herrschaftswissen des Hauptstadtkorrespondenten in 280 Zeichen.

Rat von außen

Als ob das alles noch nicht genug wäre, besucht der US-Journalismusforscher Jay Rosen das Land, spricht mit hiesigen Kolleginnen und Kollegen und schreibt anschließend einen Brief an die deutschen Journalisten. Er hat diverse Tipps für sie, unter anderem: „Als Journalisten haben Sie nicht die Aufgabe, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen. Ihre Aufgabe ist es, sie auf Dinge aufmerksam zu machen, über die sie nachdenken sollten.“

Das bringt seinen deutschen Kollegen Klaus Meier, Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, derart auf die Palme, dass er dem Brief Rosens, der Extrakt eines dreimonatigen Forschungsaufenthaltes in Deutschland ist, die fragwürdigen Prädikate „banal, schwammig, missverständlich“ verleiht und ihm attestiert, dass er in Teilen schlicht keine Ahnung habe: „In diesem Zusammenhang stellt er (Rosen, die Red.) eine ‚wachsende Kluft zwischen Journalisten und Öffentlichkeit‘ fest ‚die weit über die Anhänger von AfD und Pediga hinausgeht‘. Das ist eindeutig ein rechts-nationales Narrativ, das wissenschaftlich betrachtet nicht stimmt.“ Zack.

Zwischen all‘ diesen lauten, aufgeregten Tönen sitzen Normalo-Journalistinnen und -Journalisten an ihren Schreibtischen zwischen Aachen und Münster, zwischen Flensburg und Ruhpolding und fragen sich, was das jetzt mit ihnen zu tun hat. Auch sie sollen sich ja dem Publikum stellen, mit ihm diskutieren, zuhören, Meinungen zu allen möglichen Themen aufnehmen – und zwar zu den Aufgaben, die eh schon täglich warten. Mancher stöhnt da ganz schön auf.

Hanning Voigts, Lokaljournalist bei der Frankfurter Rundschau, ist einer, der zuhört. Während der Bankenkrise hat er sich mit seiner Liveberichterstattung von den kapitalismuskritischen Blockupy-Protesten die größte Zahl an Twitterfollowern im FR-Team erschrieben. Heute sagt er: „Hilft ja nix, wir werden die Sozialen Medien und den erweiterten Diskurs über unsere Arbeit nicht mehr los“. Also sollten wir ihn annehmen, meint er, und zwar mit voller Wucht: „Die ganze Branche muss aus der Deckung. Wir alle, jeder da, wo er arbeitet, überall und immer. Auf Social Media und im echten Leben. Wir müssen die Debatte führen, wir müssen uns erklären, Standards unserer Arbeit benennen und einfach transparent machen, sagen, wie Journalismus funktioniert. Wir müssen unsere Fehlerkultur weiter entwickeln und immer ansprechbar sein.“

So viele falsche Annahmen

Das ist für den 36-Jährigen schon deshalb wichtig, weil er ganz häufig auf absurde Annahmen über seine Arbeit stößt – und zwar nicht nur bei Pegida-Anhängern und anderen Lügenpresse-Rufern, sondern bei ganz normalen bürgerlichen Nutzern: „Es ist sehr gruselig, wie weit verbreitet solche falschen Vorstellungen sind. Ganz viele Leute glauben, dass Texte, bevor sie gedruckt werden, abgenickt werden müssen. Ganz viele Leute glauben, dass einem gesagt wird, was man schreiben soll, entweder vom Chefredakteur oder bei verschwörungstheoretischen Vertretern dann von ‚der Regierung‘ oder dem Mossad. Ganz viele Leute glauben, dass es eine Einheitsmeinung in jeder Redaktion gibt, die man haben muss, um bei einem bestimmten Medium überhaupt arbeiten zu dürfen.“ Die wüssten halt nicht, „dass Redaktionen kaum etwas anderes tun, als sich zu streiten, und dass man wohl bei jeder Zeitung und in jedem Sender zu jedem Thema mindestens zehn verschiedene Meinungen findet.“

Ihm habe noch nie jemand in einen Text reingeredet, sagt Voigts. Der einzige Mensch, der (bei investigativen Texten) eine Meinung dazu haben darf, sei der Justiziar – und zwar ausschließlich, was die rechtliche und ausdrücklich nicht, was die inhaltliche Seite betrifft.

Beschäftigen oder beschädigen

Das Thema wird zwar gerade wieder heiß gehandelt, neu ist es aber nicht. Das lässt sich schon daran ablesen, wie häufig ein Kollege zitiert wird, der vor 23 Jahren gestorben ist: Hajo Friedrichs. Trotz dieser langen Zeit versteht immer noch ein Großteil derer, die sein „Nicht-Gemeinmachen“ zitieren, seine Worte falsch. Ob bewusst oder unbewusst, lässt sich da nicht immer so klar sagen. Denn die mittlerweile öffentlich geführte Debatte wird in populistischer, polemischer und polarisierender Weise genutzt, um Medienschaffende zu beschäftigen oder gar zu beschädigen. Da geht es oft eben nicht (mehr) darum, wirklich zu klären, was Journalistinnen und Journalisten dürfen, müssen oder sollen.

Neu ist dieser Aspekt der aktuellen Debatte auch für Volker Lilienthal, Journalistik-Professor an der Uni Hamburg und davor 20 Jahre lang Medienjournalist. In dieser Zeit sind zwar viele Argumente schon mal da gewesen, aber dabei hat sich eben auch etwas verändert. Und zwar genau das, was Medienskeptiker heute oft fälschlicherweise annehmen. Früher hätten Chefredakteure tatsächlich eine Blattlinie vorgegeben, erklärt Lilienthal. „Die Journalisten haben das zähneknirschend mitgemacht und höchstens beim nächsten Gewerkschaftstag kritisch über die Tendenzen ihrer Zeitung diskutiert.“ Und dann sei 1972 das Buch „Wie links dürfen Journalisten sein?“ erschienen. Eine solche Verständigung der Journalisten über ihr eigenes Handwerk und ihre Haltung passiere heute via Soziale Medien viel schneller und öfter, sagt Lilienthal. „Das finde ich gut. Twitter ist da ein Frühwarnsystem.“

Der Medienwissenschaftler würde die Twittersuppe aber auch nicht zu heiß kochen, denn gegessen werde sie eh lauwarm: „Nicht in jedem Tweet eines politischen Journalisten steckt die reine Wahrheit oder auch nur ein Erkenntnisgewinn. Das ist ein neues Forum, in dem Journalisten ihre Klingen kreuzen und ausverhandeln, was zur journalistischen Haltung dazu gehören soll und was nicht. Ende offen. Das ist ein absoluter Gewinn für die Branche.“

Medienskepsis als Dauerthema

Auch Annette Leiterer, Redaktionsleiterin beim NDR-Medienmagazin ZAPP, rät zur Entspannung. Skepsis gegenüber Medien sei ein Dauerthema, das in politisch bewegteren Zeiten immer stärker in den Fokus ruücke: „Im Zuge einer gewissen Verunsicherung über den Stellenwert des Journalismus in der Gesellschaft hinterfragt sich die Branche stärker. Eine mögliche Reaktion ist: ‚Wir brauchen mehr Haltung. Wir müssen dem etwas entgegensetzen.‘ Sich der gesamtgesellschaftlichen Rolle von Journalismus bewusst zu sein und dementsprechend zu handeln, empfinde ich als Verpflichtung. Das ist auch eine Haltung.“

Auch die Debatte an sich findet die Medienjournalistin, die in Münster studiert hat, richtig und wichtig. Sie sieht gerade beim Begriff Haltung besonders große Unterschiede in der Auslegung. Es gebe Menschen, die mit Haltung Vorurteile verbrämten, manche meinten Meinung, wenn sie Haltung sagen, fuür andere sei es eine Form von Unvoreingenommenheit. Und für manchen sei das Vorhandensein irgendeiner Haltung in Texten per se ein Qualitätskriterium. Das allerdings findet Annette Leiterer schwierig: „Für mich ist Ahnung haben wichtiger als Haltung zeigen“, sagt sie. Anders als ein Algorithmus, der sich seine Wahrheit aus Erfahrungswerten baue, müssten wir mit unserer journalistischen Grundhaltung alles hinterfragen – besonders die Dinge, die gut ins Bild passten. Das sei Handwerk, und es gebe die Pflicht, dieses konsequent anzuwenden.

Das viel zitierte „Hutbürger“-Video hat die ZAPP-Redaktion so gründlich geprüft wie andere Bildquellen, obwohl sie den Macher Arndt Ginzel kennt und schätzt. | Screenshot YouTube
Das viel zitierte „Hutbürger“-Video hat die ZAPP-Redaktion so gründlich geprüft wie andere Bildquellen, obwohl sie den Macher Arndt Ginzel kennt und schätzt. | Screenshot YouTube

Als Beispiel nennt sie das Hutbürger-Video von Arndt Ginzel, den man in der ZAPP-Redaktion kenne und schätze. Dennoch habe die Redaktion das Video genauso geprüft wie jede andere Bildquelle auch: „Für mich ist die richtige Grundhaltung, im Bewusstsein um die eigene Haltung meine Vorgehensweise bei der Recherche immer wieder zu hinterfragen: Wie treffe ich die Auswahl der Interviewpartner, habe ich alle Gegenargumente ausreichend bedacht, die unterschiedlichen Positionen ähnlich gewichtet?“

Beständige Selbstprüfung

Auch für den Medienwissenschaftler Lilienthal fängt das Dilemma mit der Haltung bei der Begriffsklärung an: „Haltung ist natürlich ein sehr schillernder Begriff – sehr, sehr vieles kann damit gemeint sein. Haltung kann etwas ganz Grundsätzliches sein, dass ein Journalist das Gefühl hat: Zu meinem Berufsethos gehört derselbe Abstand zu allen politischen Lagern. Und die beständige Selbstprüfung: Bin ich unabhängig?“
Dabei bevorzugt Lilienthal anstelle von Unabhängigkeit den Begriff Unbefangenheit. „Es geht ja im Journalismus nicht immer um Fragen der direkten Abhängigkeit. Wenn ich einen Menschen gut kenne, den ich aber auch als Berichtsgegenstand treffe – bin ich da wirklich noch unbefangen? Sich solche Fragen immer wieder zu stellen, gehört zur basalen Haltung.“ Und Lilienthal erwähnt weitere Bedeutungen: „Haltung kann auch so etwas meinen wie die Frage, ob man als freier Mitarbeiter neben Journalismus auch PR machen darf. Und aktuell kommt der Begriff Haltung natürlich im Zusammenhang mit Rechtspopulismus wieder ganz stark hoch.“

Das Erstaunliche an diesem Teil der Haltungsfrage: Einerseits wird der Presse von rechter Seite erklärt, dass man sie nicht mehr brauche, dass sie die Deutungshoheit verloren habe und als Teil des „alten Systems“ bald abgeschafft werde. Anderseits verwendet man sehr viel Energie auf den Kampf gegen die freie Presse – in der Opposition im Parlament und in Sozialen Medien, und wenn sie an der Regierung sind wie in Österreich, Polen oder Ungarn mit Gesetzen.

Davon dürfen sich Journalisten nicht ins Bockshorn jagen lassen, meint Medienexperte Lilienthal: „Wenn Herr Gauland im Sommerinterview zugibt, kein Rentenkonzept zu haben, dann ist das die blamable Antwort auf eine gute journalistische Frage. Die im Ergebnis offenlegt, dass die im Bundestag neue Partei da eine politische Leerstelle hat.“ Interviews in denen sie mit eigener Inkompetenz konfrontiert werden, bezeichnen populistische Parteien oft als unfair und fordern Neutralität und Objektivität, wo sie eigentlich Kritiklosigkeit meinen. Da wird die Debatte dann ideologisch.

Misstrauen als Geschäftsmodell

Hier spielen für FR-Redakteur Hanning Voigts auch Leute wie Ken Jebsen, Roland Tichy oder der verstorbene Udo Ulfkotte eine entscheidende Rolle. Für sie sei es ein Geschäftsmodell, das Misstrauen am Journalismus zu nähren: Seht her, ich war Teil des Systems, ich weiß, wie es läuft, und erkläre euch das jetzt mal. Diesen Journalisten werde dann interessanterweise gern geglaubt, weil sie konvertiert seien zum Lager der Medienskeptiker und jetzt die „richtige“ Haltung hätten.

Voigts findet: „Bei diesen Vertretern, die ein großes Publikum finden, muss man dagegenhalten.“ Aber man dürfe darüber auch nicht die Selbstkritik vergessen und müsse zugeben, dass auch ungeliebte Kritiker durchaus mal ins Schwarze treffen und im Journalismus durchaus nicht alles Gold ist, was glänzt: „Man muss ja leider nicht zwingend schlau sein, um Journalist zu werden, und auch nicht reflektiert oder selbstkritisch, um den Job dauerhaft zu machen. Es gibt furchtbar unpolitische, bequeme und auch naive Journalisten“, meint Voigts und ärgert sich darüber.

Das sehen Leiterer und Lilienthal ganz ähnlich. Die ZAPP-Chefin freut sich aber, denn Selbstkritik gewänne aktuell durch die Vertrauenskrise an Akzeptanz unter Kolleginnen und Kollegen: „Eventuell wird es künftig mehr Medienkritik in mehr Medien geben – und zwar nicht nur mit Blick auf Konkurrenten, sondern auch selbstkritisch in Bezug auf die eigene Arbeit.“ Bislang empfinden manche eine umfassende Journalismuskritik wie im wochentäglichen Magazin @mediasres im Deutschlandfunk, der wöchentlichen NDR-Fernsehsendung ZAPP oder in Blogs wie Übermedien und Bild-Blog eher als Nestbeschmutzung denn als notwendigen Selbstreinigungsprozess.

Für klaren Durchblick sorgen: Medienkritik ist ein notwendiger Selbstreinigungsprozes. | Foto: txt
Für klaren Durchblick sorgen: Medienkritik ist ein notwendiger Selbstreinigungsprozes. | Foto: txt

Natürlich könne Medienkritik auch den falschen Leuten Munition liefern, räumt Lilienthal ein. Aber daran sei halt nichts zu aändern. Medienkritik sei dennoch elementar wichtig für den Journalismus. Voigts unterstreicht das: „Man darf keine Scheu haben, schlechten Journalismus als solchen zu bezeichnen, und darf nicht in eine Wagenburgmentalität verfallen, wenn man kritisiert wird.“ Gerade wenn die Kritik aus Richtung der Lügenpresse-Rufer käme, müsse man zu Fehlern stehen.

Das sieht auch Annette Leiterer so und findet darüber hinaus wichtig, dass Journalisten im Laufe ihrer Karriere belehrbar bleiben. Das gelte besonders für Führungskräfte, aber nicht nur: „Überzeugen kann ich nur, wenn ich mein Gegenüber ernst nehme und auch die Gegenargumente zu meiner Meinung ebenso gewichte.“ Wer sich nur mit Abnickern umgäbe, würde ein wichtiges Korrektiv verlieren.

Das sieht Hanning Voigts ganz ähnlich und propagiert eine neue Ehrlichkeit des homo journalisticus: „Ich würde offensiv verkünden, dass es einen neutralen Teflon-Journalisten nicht gibt. Ganz gleich, wie staatstragend ein Hauptstadtkorrespondent uns die Welt erklärt, auch er hat Sorgen oder empfindet Ärger. Und ich finde, dass es sinnvoll ist, dies klar zu kommunizieren: Ja, wir sind Menschen wie alle anderen, aber wir sind auch Profis. Wir beobachten andere bei dem, was sie tun, berichten, was passiert ist, gehen den Dingen auf den Grund und sehen dabei von unserer persönlichen Meinung ab.“

Vorbild der „dienenden Freiheit“

Medienprofessor Lilienthal hat als Tipp noch etwas Staatstragendes parat: „Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es den Begriff der ‚dienenden Freiheit‘ – die Sender sind gut ausgestattet und genießen in der Berichterstattung viele Freiheiten. Aufgrund dieses Privilegs sollen sie der Demokratie dienen. Und zwar nur der. Das würde ich gern auf den gesamten Journalismus übertragen. Wir haben hier in Deutschland zivile Lebensverhöltnisse, eine Demokratie, die trotz Möngeln funktioniert, und in dem Moment, wo das politische Klima umschlägt und unzivile, aggressive Umgangsformen Einzug in die politische Debatte halten, darf der Journalismus diesen Vorgang nicht neutral und achselzuckend hinnehmen, sondern muss Alarm schlagen. Das ist Haltung im Journalismus für mich: Deutschland so zu erhalten, wie es ist – zivil und demokratisch, auf Interessenausgleich bedacht und rechtsstaatlich.“||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 5/18 – dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2018.