Die Lokalsender in NRW stehen wirtschaftlich unter Druck, eine Strukturreform soll sie zukunftstauglich machen (siehe JOURNAL 4/22 und 1/23). Unter anderem der DJV-NRW befürchtet allerdings, dass durch Funkhausmodelle, die derzeit allenthalben von den Betriebsgesellschaften (BGen) forciert werden, aus den Lokalsendern mit dem Zusammenlegen von Redaktionen Regionalsender werden. Die drei Chefredakteure André Fritz (Radio KW), Olaf Sandhöfer-Daniel (Radio Mülheim/Oberhausen) und Lennart Hemme (Radio Emscher Lippe) sind sich hingegen einig, dass bei ihrem geplanten Modell die Vorteile überwiegen.
Kein Sparmodell
„Auch wenn das Wort Funkhaus identisch ist, sind unsere Überlegungen nicht gleichzusetzen mit den Planungen im Strukturprozess“, betont Fritz. „Unser Funkhausmodell ist ganz klar kein Sparmodell!“ Ganz wichtig: Es bleibt bei drei Chefredakteuren, drei eigenständigen Redaktionen und vier Sendermarken*. Das ist ein großer Unterschied zu den Funkhausmodellen, die im Strukturprozess angedacht sind: Dort soll es möglich sein, Redaktionen unter einem Verantwortlichen zusammenzulegen, nur die Sendermarken würden bestehen bleiben.
* Drei Redaktionen, viel Marken
Schon seit einigen Jahren laufen bei den jetzt noch neun Sendern der Funke-Tochter Westfunk Kooperationen in kleinerem Rahmen. Hemme, Sandhöfer-Daniel und Fritz kamen im Januar 2022 auf die Idee, diese auszuweiten und die Vorteile eines gemeinsamen Standorts zu durchdenken. Alle drei sind sich bewusst, dass sie aus Sicht der Kritiker so „den Anfang vom Ende des Lokalfunks“ einläuten. „Ich habe mir das viele dutzendmal sehr gut überlegt“, sagt Hemme.
„Den Rückgang der Werbeerträge und die neuen Wettbewerber können wir nicht ignorieren. Ich bin sicher, dass wir zusammen eine größere Chance haben, den Medienwandel zu überstehen, als es alleine zu versuchen.“ Abzuwarten sei jedenfalls keine Lösung, ergänzt Fritz. „Wir haben gesagt: Wir gehen nur in Gespräche mit der BG, wenn es ein Investitions- und kein Sparmodell ist. Wenn ein Funkhausmodell bedeuten würde, dass alle zusammenziehen und Leute entlassen werden, dann warten wir so lange, bis uns einer dazu zwingt.“
Die BG hat Investitionen zugesagt
BG-Chef aller Lokalradios der Funke Mediengruppe und der Servicegesellschaft Westfunk ist Axel Schindler. Er habe zugesagt zu investieren, wenn die Sender an einen gemeinsamen Standort ziehen; angedacht ist die Funke-Zentrale in Essen. Das Ziel ist, dann mehr im Digitalen anzubieten, was die drei Lokalradios mit ihrem Personal nicht stemmen können, dazu sollen die Stellenpläne erhöht werden. Beispielsweise könnten Themen ausführlicher ausgearbeitet und ins Digitale verlängert werden. Möglich wäre aber auch, gleich fürs Digitale zu produzieren und nur kleine Ausschnitte ins Programm zu nehmen. „Sicherlich könnten wir diese Themen dann aber nicht mehr mikrolokal machen“, gibt Hemme zu.
Zusätzliches Personal soll die Online- und Social-Media-Angebote bearbeiten, das würde die Nachrichtenleute entlasten. Des Weiteren ist geplant, die eigenen Sendestunden in der Woche durch eine gemeinsame Vormittags-/Mittagssendung auf zwölf Stunden auszudehnen, um die Reichweiten zu erhöhen. In den Frühsendungen könnte dann mit lokalen Beiträgen auf das große Thema in der Mittagsschiene hingewiesen werden. Die neuen Beschäftigten werden bei einer Veranstaltergemeinschaft (VG) angestellt und nicht bei der BG, obwohl sie für alle drei Sender arbeiten. Die Personal- und Programmverantwortung bleibt also in den Händen der VGen.
Die Redaktionen mitnehmen
Ob und wie Arbeitsteilung oder gemeinsame Redaktionssitzungen stattfinden könnten? Soweit sind die Überlegungen noch nicht gediehen. „Da wollen wir auch bewusst unsere Redaktionen mitnehmen, weil das von oben herab nicht funktioniert“, erklärt Fritz. Sandhöfer-Daniel sieht auf jeden Fall Potenzial. Frühere Kooperationen hätten unter der räumlichen Distanz gelitten: „Ich glaube, dass die Zusammenarbeit an einem Ort nachhaltiger funktioniert, wenn man in Teilen gemeinsam konferiert, kreative Runden macht und kreativen Austausch hat. Da kann so ein Funkhaus tatsächlich helfen.“
Hemme hebt weitere Vorteile eines Umzugs in die Funke-Zentrale hervor: Von kürzeren Wegen für die Techniker über bessere Kontakte zur Marketingabteilung bis zur höheren Mitarbeiterzufriedenheit durch Benefits, die eine größere Einheit anbieten kann, etwa das eigene Restaurant. Dies könnte auch ein Anreiz für den Nachwuchs sein, der sich in einem Haus mit 1 000 Beschäftigten vielleicht aufgehobener fühlt als in einer kleinen Lokalradioredaktion – Fachkräftemangel ist im Lokalfunk inzwischen ein echtes Problem.
Da die Festangestellten schon länger nicht mehr im Sendegebiet wohnen müssen, würde sich für viele der Arbeitsweg sogar verkürzen. „Wir sind im Ruhrgebiet, ob jetzt ein Kollege von Mülheim nach Oberhausen oder nach Essen fährt, das ist tatsächlich kein riesiges Problem“, ergänzt Sandhöfer-Daniel. Lange war seine Redaktion in Mülheim, seit 2006 ist sie in Oberhausen, Senderstandort war also ohnehin immer nur eine der Städte.
Für Radio Emscher Lippe gilt Ähnliches: Die Redaktion sitzt in Gelsenkirchen, für Bottroper ist eher Essen das Oberzentrum, auch für Gladbecker ist Gelsenkirchen nicht relevant, „deswegen ist der Umzug für mich keine große Herausforderung“, sagt Hemme. Bei Radio KW ist das etwas anders: „Wenn ich einen Negativpunkt nennen sollte, dann wäre die Entfernung zum Sendegebiet einer, weil der Kreis Wesel eben am Niederrhein liegt und nicht im Ruhrgebiet“, sagt Fritz. Für einige Beschäftigte wird der Arbeitsweg nun deutlich länger, daher sind nicht alle in seiner Redaktion glücklich mit dem Umzug, gibt Fritz zu; für die Betroffenen werde aber ein Ausgleich gesucht.
Vor Ort präsent bleiben
Das ist auch ein Kritikpunkt des DJV-NRW an Funkhausmodellen: Die Redaktionen sind nicht mehr vor Ort. Das Gegenargument: Seit Corona produzieren viele Reporterinnen und Reporter ohnehin zu Hause und schicken ihre Beiträge dann per Mail in die Redaktion, das gilt praktisch für alle Lokalradios. Das heißt: Die Moderatorinnen und Moderatoren sowie die Nachrichtenleute würden dann zwar in Essen arbeiten, die Reporterinnen und Reporter wären aber nach wie vor in den jeweiligen Verbreitungsgebieten unterwegs. Sie sollen aber auch immer wieder im Funkhaus anwesend sein und auch an den Konferenzen (ggf. per Videocall) teilnehmen.
Eine Besonderheit ist für Radio KW geplant: Statt einer Redaktion soll es sogar zwei Produktionsstandorte in Wesel und Moers geben, um den lokalen Anschluss nicht zu verlieren. Außerdem bleiben alle Sender bei Events in ihren Verbreitungsgebieten sichtbar. „Wir legen auf jeden Fall weiterhin und auch verstärkt Wert darauf, dass wir tatsächlich draußen unterwegs sind“, betont Sandhöfer-Daniel. „Insofern glaube ich, werden die Hörerinnen und Hörer nichts vermissen.“
Mehr Sichtbarkeit innerhalb der Gruppe?
Hemme verspricht sich vom Umzug nach Essen auch mehr Sichtbarkeit innerhalb der Funke Mediengruppe, bei der die Lokalradios nicht so deutlich im Fokus stehen – obwohl Funke Mehrheitseigner bei neun Sendern am Niederrhein, im Ruhrgebiet und im Sauerland ist und zusätzlich weiter Radio Ennepe Ruhr vermarktet. Eine mögliche Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen von der NRZ und der WAZ steht ebenfalls im Raum, so könnten größere Themen gemeinsam bearbeitet werden.
Branchenkennerinnen und -kenner sehen ein verlagseigenes Gebäude als Senderstandort allerdings problematisch: Ob die Mietverträge tatsächlich im ortsüblichen Bereich liegen, entzieht sich in der Regel der Kenntnis von VGen und Chefredakteurinnen und -redakteuren. Die Vermutung liegt nahe, dass die Mieten viel zu hoch angesetzt und so Gewinne abgeschöpft und klein gerechnet werden. Die Gefahr ist den drei Chefredakteuren bewusst, aktuell sehen sie sie aber nicht. „Das Gegenargument des Geschäftsführers, wenn ich so etwas anführe, ist immer: ,Warum sollten wir das tun? Wir wollen mit dem neuen Projekt ja auch Geld verdienen.‘ Da hat er nicht ganz unrecht“, sagt Hemme. Schindler sei gegenüber seinen Vorgesetzten verantwortlich für das Gesamtergebnis und habe kein Interesse daran, möglichst viel Miete an den Gesamtkonzern zu bezahlen. Beim geplanten Gemeinschaftsprojekt scheint es auch etwas anders zu laufen: Die Chefredakteure kennen Wirtschaftszahlen, werden nach eigenen Angaben auch bei den Mietverträgen einbezogen und könnten ein Veto einlegen.
„In unserem Modell wird draufgesattelt“
Seit Monaten laufen die Verhandlungen mit Schindler, unterschrieben ist allerdings noch nichts. Die VGen achten sehr darauf, dass ihre Interessen und die der Redaktionen berücksichtigt werden. Sandhöfer-Daniel ist zuversichtlich: „In unserem Modell wird draufgesattelt, auch mit zusätzlichem Personal. Das machen derzeit wenige BGen, glaube ich. Zumindest im Moment habe ich den Eindruck, dass die Westfunk mit unserem Funkhausmodell nicht sparen, sondern tatsächlich auf die veränderte Mediennutzung reagieren und in neue digitale Produkte und letztendlich ja auch in eine bessere Qualität investieren will.“
Für viele eine erstaunliche Kehrtwende, ist doch Schindler eher für Sparkurse als für Investitionen bekannt. Schon länger will die Funke Mediengruppe die Verluste einzelner BGen nicht mehr mit Gewinnen anderer Westfunk-Sender kompensieren (siehe JOURNAL 6/18 und 2/20), das bekam auch Radio Ennepe Ruhr zu spüren. Zweimal kündigte die BG den Vertrag mit der VG, zuletzt zum Dezember 2020 (siehe JOURNAL 6/20) . Zwei Jahre dauerte es, bis eine neue BG gefunden war (siehe JOURNAL 3/22). Von anderen VGen und Chefredakteuren im Westfunk-Bereich hört man immer wieder von schwierigen Etatverhandlungen und Sparzwängen.
Als er noch Redakteur war, bekam auch Lennart Hemme diese Probleme gespiegelt. „Jetzt bin ich seit drei Jahren Chefredakteur und muss sagen, ich kann das einfach nicht teilen. Ich habe weder in meinem Sender noch bei unserem Funkhaus-Projekt das Gefühl, dass extremer Sparzwang herrscht, gerade nicht beim Personal. Sowohl Schindler als auch Thomas Kloß, der NRW-Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe, sind für neue Ideen empfänglich.“
Sandhöfer-Daniel ergänzt: „Wir haben, glaube ich, mit einem stimmigen Konzept überzeugen können. Mein Eindruck ist nicht, dass die Westfunk auf Teufel komm raus sparen will, sondern dass sie, wenn sie investieren will, sinnvoll investieren will. Natürlich gibt es Punkte, an denen wir uns streiten und auch in der Vergangenheit gestritten haben. Vom Grundsatz her habe ich aber tatsächlich den Eindruck, dass eine Investition auch getätigt wird, wenn sie aus Sicht der Betriebsgesellschaft sinnvoll ist. Natürlich immer mit dem Ausblick auf Reichweitensteigerungen, denn Geld verdienen will die BG natürlich, und das ist ja auch ihr gutes Recht.“
Fraglich ist, was passiert, wenn die Ergebnisse des geplanten Funkhausmodells hinter den Erwartungen zurückbleiben. Im Laufe der aktuellen Strukturverhandlungen werden Zahlen für alle Lokalradios festgeschrieben, die auch beim DJV-NRW Kritik hervorrufen: So soll eine EBIT-Mindestquote in Höhe von mindestens 10 Prozent eingeführt werden als verbindliche Richtlinie für alle Wirtschafts- und Stellenpläne. Wenn die Sender eines Verbunds (wie etwa der Westfunk) mindestens 10 Prozent erreichen, dann darf ein einzelner Sender maximal 10 Prozent Minus erwirtschaften. Liegen die Erlöse darunter, greifen die im Strukturmodell ausgearbeiteten Kooperations- und Funkhausmodelle, die aus Sicht des DJV-NRW einer Regionalisierung Vorschub leisten. André Fritz, Lennart Hemme und Olaf Sandhöfer-Daniel sehen ihre VGen in der Verantwortung, mit der Westfunk die Verträge für das Gemeinschaftsprojekt so auszuhandeln, dass es auch wie geplant umgesetzt wird und Bestand hat. Ob es wirklich so kommt oder ob die Kooperation dann durch die Hintertür doch zum Sparmodell wird, wird der DJV-NRW sich genau anschauen.||
Langfassung des Beitrags aus JOURNAL 2/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2023.