Wenn Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle (DW), am 6. September in der Ukraine den sogenannten Kiev Hub eröffnet, dann entspricht das der Strategie der Regionalisierung, die sich der Auslandssender auf die Fahnen geschrieben hat. Einheimische Journalistinnen und Journalisten recherchieren künftig vor Ort statt von Bonn aus, berichten also nach der Philosophie der Geschäftsleitung mehr aus den Regionen als über sie.
Das klingt erst mal positiv, aber die örtlichen Personalräte der DW in Bonn und Berlin sowie der Gesamtpersonalrat sehen das kritisch: Sie wehren sich seit längerem gegen die systematische Auslagerung redaktioneller Arbeitsplätze und Produktionskapazitäten ins Ausland, die zugleich mit Tarifflucht verbunden ist (siehe auch „Beschädigte Unternehmenskultur“, JOURNAL 2/21).
Zwölf journalistische Stellen entstehen in Kiew, ab 2022 soll dort der Großteil der ukrainischsprachigen Inhalte für die DW erstellt werden. Der Hub wird damit weitgehend die bisherige Funktion der hiesigen Ukraine-Redaktion übernehmen, die auf eine Rumpfredaktion reduziert wird. Eine zweistellige Zahl fester freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bonn soll oder hat schon wesentliche Einschränkungs- oder Beendigungsmitteilungen erhalten.
Zwar könnten die Betroffenen nach Kiew wechseln, aber zu welchen Konditionen: Sie müssen sich neu bewerben und dort bei der Bezahlung, bei der sozialen Absicherung, dem Arbeitsschutz und darüber hinaus schlechtere Konditionen akzeptieren. Kaum verwunderlich, dass von den muttersprachlichen Kolleginnen und Kollegen in Bonn nach Kenntnis des örtlichen Personalrats (ÖPR) voraussichtlich niemand das Angebot annehmen wird.
„Nach Deutschland zu kommen, oft auch mit der Familie, das war ja eine Lebensentscheidung, die diese Kolleginnen und Kollegen getroffen haben“, sagt der ÖPR-Vorsitzende Daniel Scheschkewitz. Das mache man nicht mal so eben rückgängig. „Das heißt aber auch, dass die Betroffenen bald arbeitslos sein könnten.“
Besondere Verantwortung
Der DJV kritisiert die Auslagerung: Mit Verweis darauf, dass der Etat des Auslandssenders zu 100 Prozent aus dem Bundeshaushalt finanziert wird, erklärte der Bundesvorsitzende Frank Überall im Juli: „Es kann nicht sein, dass DW-Intendant Peter Limbourg mit Steuergeldern Tarifflucht betreibt.“
Aber die Probleme enden nicht bei Tariffragen und schlechteren Arbeitsbedingun-gen. Denn in der Ukraine steht die Pressefreiheit massiv unter Druck: In der aktuellen Rangliste von Reporter ohne Grenzen steht das Land auf Platz 97. „Wie will die Deutsche Welle die Sicherheit der Kolleginnen und Kollegen garantieren?“, fragt Überall. „Wie will der Sender die Berichterstattung aufrechterhalten, wenn sie durch lokale Behörden und Sicherheitskräfte in der Ukraine eingeschränkt wird?“
Aus Sicht der Deutschen Welle ist der Kiev Hub die beste Möglichkeit, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln weiterhin gutes Programm für die Ukraine zu machen, sagt DW-Pressesprecher Christoph Jumpelt. „Die hiesige Ukraine-Redaktion wurde aus Projektmitteln des Bundes finanziert, die jetzt auslaufen.“ Demnach hätte die DW die Ukraine-Redaktion hier in Deutschland sowieso nicht in der bisherigen personellen Ausstattung weiterführen können. „Deswegen hatten die betreffenden Kolleginnen und Kollegen sowieso befristete Verträge, sie sind zum Teil mit diesem Wissen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Wir bieten ihnen jetzt eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung im Kiev Hub. Die Alternative wäre gewesen, die Beschäftigung nach dem Auslaufen der befristeten Verträge ohne ein solches Angebot zu beenden.“
Weitere Regionen werden folgen
Die Fremdsprachenredaktion für die Ukraine ist nicht die erste, die die DW ins jeweilige Zielland verlagert – und sie wird nicht die letzte sein. Seit 2017/18 gibt es eine chinesische Teilredaktion in Taiwan, 2019 wurden Schichten der Hauptabteilung Asien nach Delhi ausgelagert. In Afrika sollen zusätzlich zu den bestehenden Standorten in Nairobi und Lagos weitere Außenstudios in Addis Abeba, Abuja und Kinshasa entstehen. Weitere Standorte könnten hinzukommen.
Jumpelt: „Wie viele andere Auslandssender setzen wir verstärkt auf Regionalisie-rung. Das macht unsere Berichterstattung besser. Für Asien müssen wir zum Beispiel nicht mehr hiesige Redaktionen in Nachtschichten einsetzen. Umfragen zeigen, dass die Deutsche Welle in den Zielregionen wahrgenommen wird und dass ihre Glaubwürdigkeit dort zugelegt hat.“ Auch für die Ukraine sei eine Aufstockung der dortigen Redaktion geplant gewesen. Das sei jetzt mit dem Auslaufen der Fördermittel zusammengefallen.
Kritische Berichterstattung wird schwieriger
Natürlich hätten die Kolleginnen und Kollegen aus dem Personalrat nichts gegen Korrespondentenbüros einzuwenden, um in den Zielländern präsenter zu sein – „aber eben mit Arbeitsverträgen nach hiesigen Standards“, betont Scheschkewitz. „Zudem kritisieren wir, dass die Arbeitsplätze verlagert werden – dass diese also hier verloren gehen – und natürlich auch deren dortige Ausgestaltung.“
Die DJV-Betriebsgruppenvorsitzende Helle Jeppesen beschreibt die Schwierigkeiten gerade in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit: „Die Kolleginnen und Kollegen sollen in den jeweiligen Zielländern als freie oder feste Ortskräfte arbeiten. Damit bekommen sie nicht nur weniger Geld und sind schlechter abgesichert, sie sind auch erpressbarer: Gegen heimische Ortskräfte greifen auch staatliche Repressionen leichter, und Geheimdienste können die Berichterstattung einfacher unterwandern.“
Der These, dass Ortskräfte in solchen Ländern grundsätzlich angreifbarer sind als Korrespondentinnen und Korrespondenten mit deutschem Pass, widerspricht Jumpelt: „Nach unseren Erfahrungen zum Beispiel in afrikanischen Ländern sind die deutschen Botschaften sehr bemüht, auch unsere frei beschäftigten Ortskräfte vor staatlichen Repressionen zu schützen.“
Allerdings finden sehr viele Einschränkungen ja unterhalb der Schwelle statt, an der eine Botschaft tätig wird. Die DJV-Kolleginnen und -Kollegen in der DW befürchten jedenfalls, dass die kritische Berichterstattung in den betroffenen Ländern unter dem Strich deutlich schwieriger wird. Und die fremdsprachigen Rumpfredaktionen in Bonn werden solche Defizite nach Überzeugung der Personalräte kaum ausgleichen können.
Verlust der Sprachenkompetenz
Neben den tariflichen Fragen und der gefährdeten Sicherheit der Ortskräfte identifizieren die DJV-Vertreterinnen und -Vertreter bei der DW für die Auslagerungen weitere Problemfelder: So befürchten sie einen Verlust an redaktioneller Substanz sowie an Sprachenkompetenz am DW-Standort Bonn. Zugleich entferne sich der Auslandssender zunehmend von ihrem gesetzlichen Auftrag. „Eigentlich soll die DW mit ihrer Berichterstattung deutsche und europäische Perspektiven in die Welt tragen – insbesondere in Staaten, in denen keine ausreichende Medienfreiheit besteht“, erläutert Jeppesen.
Und Scheschkewitz ergänzt: „Wie sollen die Journalistinnen und Journalisten, die künftig in den Zielländern rekrutiert werden, eine solche Perspektive entwickeln und mit Leben füllen?“ Die aber sei auch eine Voraussetzung für den Dialog zwischen Deutschland und den Zielregionen, der ebenfalls zur Aufgabe der DW gehöre, sagt der Redakteur und wählt als Beispiel für die außereuropäische Berichterstattung die aktuelle Diskussion über die Restitution, also die Rückgabe von Kunstschätzen, die während der Kolonialzeit unrechtmäßig aus Afrika oder Asien nach Deutschland gebracht wurden.
Ein Unruhefaktor
Nicht zuletzt verweist die DJV-Betriebsgruppe auf die Unruhe, die die Auslagerungen vor allem in der Bonner Belegschaft schüren: „Viele der Beschäftigten in den Sprachredaktionen fragen sich, ob es als nächstes ihre Zielregion und damit sie treffen kann“, sagt Jeppesen.
Dabei bemüht sich das Haus, nach zwischenzeitlicher Unterfinanzierung und Jahren massiver Umstrukturierungen endlich wieder in ruhigere Fahrwasser zu gelangen. Die Strategie der Regionalisierung hilft dabei nicht. Beim diesjährigen Gewerkschaftstag im April hat der DJV-NRW den Auslandssender deswegen aufgefordert, „den Trend zur Auslagerung redaktioneller Arbeit vom Standort Bonn in Niedriglohnländer zu beenden und die journalistische Qualitätskontrolle an den Hauptstandorten in Bonn und Berlin fest zu verankern“.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2021.