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Beschädigte Unternehmenskultur

Die Deutsche Welle tut sich weiterhin schwer mit ihrem Betriebsklima
18. Februar 2021, Corinna Blümel

Die Deutsche Welle (DW) und ihr schwieriges Arbeitsklima: Seit rund eineinhalb Jahren ist das ein wiederkehrendes Thema, Medien berichten über interne Konflikte und Machtmissbrauch. Nach der ZEIT im August 2019 (siehe JOURNAL 4/19) und dem britischen Guardian im Januar 2020 (siehe JOURNAL 1/20) befasste sich jetzt im Februar die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Schikane, Beschwerde, Rauswurf“ mit dem Auslandssender: Die Arbeitsverhältnisse mit drei freien Mitarbeitenden seien nach deren kritischen Nachfragen zu Strukturen und Arbeitsklima ihrer Abteilung beendet worden. Die Begründung: Das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig zerstört. Zudem sei ein Redakteur „zwangsversetzt“ worden.

Schwere Vorwürfe, gegen die sich die DW wehrte: In den dargestellten Fällen sei der Betriebsfrieden von „destruktiven Kräften“ gestört gewesen, wie Intendant Peter Limbourg es formulierte. Ein Teil der Fälle, die die Süddeutsche aufgegriffen habe, lägen schon länger zurück und seien gründlich aufgearbeitet. Zudem habe die DW umfassende Maßnahmen gegen Machtmissbrauch und grenzüberschreitendes Verhalten eingeführt.

DJV-Forderung umgesetzt

Tatsächlich hatte der steuerfinanzierte deutsche Auslandssender im Frühjahr 2020 mit dem Gesamtpersonalrat Dienstvereinbarungen zum Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und zum Umgang mit grenzüberschreitendem Verhalten verabschiedet (siehe JOURNAL 3/20). Daniel Scheschkewitz, Vorsitzender des örtlichen Personalrats in Bonn, hatte dies damals ausdrücklich begrüßt. „Damit ist endlich ein Instrument geschaffen worden, das auch der DJV lange gefordert hatte“, betont Scheschkewitz auch heute.

Zusätzlich zum Konfliktmanagement wurde eine sogenannte Task Force eingeführt, außerdem verpflichtende Schulungen für das Führungspersonal, interne Ansprechpartnerinnen und -partner zur Regelung von Konflikten sowie zwei externe Anwältinnen für die Beratung bei sexuellen Übergriffen an den Standorten Bonn und Berlin. Seit Dezember 2020 verfügt die DW zudem über eine neue digitale Plattform namens SafeSpace, die Beschäftigten helfen soll, bei Konflikten und sensiblen Themen Unterstützung zu finden.

„Externe Betrachtung“

Da die Probleme vor allem in der arabischen Redaktion sichtbar waren, hatte die DW darüber hinaus eine „externe Betrachtung“ dieser Einheit beauftragt. Dafür wählte die Geschäftsleitung Ulrike Hiller und Frank Thewes – beide Mitglied im DW-Rundfunkrat, also dem gleichen Gremium, mit dem die Geschäftsleitung im November 2020 das Ergebnis ihrer Untersuchung diskutierte. Fragen nach der Unabhängigkeit von Hiller und Thewes weist der Sender gleichwohl entschieden zurück. Dabei hätten viele Beschäftigte sich eine breiter angelegte Untersuchung und eine Gutachterin vom Kaliber der ehemaligen EU-Kommissarin und Ex-Gewerkschaftschefin Monika Wulf-Mathies gewünscht, die die #MeToo-Untersuchung beim WDR durchgeführt hatte (siehe zuletzt JOURNAL 5/18).

Einen strukturellen und systematischen Machtmissbrauch stellten Hiller und Thewes nach Abschluss ihrer „Betrachtung“ in Abrede, sahen aber sehr wohl punktuellen Verbesserungsbedarf in der Arabisch-Redaktion. Die arbeitet heute mit einer neuen Struktur, Führungspositionen wurden teils neu ausgeschrieben. Weitere Maßnahmen wie Workshops und strukturierter Austausch unter Führungskräften („Kollegiale Beratung“) sollen helfen, zu einem Neuanfang und zur Verbesserung des Miteinanders in der Redaktion zu kommen. Aus Sicht der Hausspitze ist damit alles in Ordnung, wie sie in einer umfangreichen Stellungnahme als Antwort auf den Artikel in der Süddeutschen erkennen lässt.

Das sehen viele Beschäftigte offenbar anders. Um dem großen Aussprachebedürfnis der Kolleginnen und Kollegen nachzukommen, wurde Mitte Februar eilends eine digitale Informationsveranstaltung für alle Mitarbeitenden einberufen, auf der ausgewählte Mitglieder der arabischen Redaktion und deren Leiter ihre Sicht der Dinge darstellen konnten. Dabei sollen, so ist zu hören, sehr deutlich geworden sein, dass es sowohl zum Beitrag in der Süddeutschen als auch zu den Verhältnissen im Haus sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt.

Der Bonner Personalratsvorsitzende Daniel Scheschkewitz und seine Stellvertreterin Helle Jeppesen, zugleich Vorsitzende der hiesigen DJV-Betriebsgruppe, glauben denn auch nicht, dass der Sender damit zur Ruhe kommen kann. „Was wir bräuchten, wäre eine moralisch integre Persönlichkeit, die als qualifizierte Ombudsperson mutmaßlichen Machtmissbrauch in der DW überprüft und die Unternehmenskultur insgesamt einmal unter die Lupe nimmt“, sagt Jeppesen.

Wie Scheschkewitz betont Jeppesen den Wert der Dienstvereinbarungen. Allerdings hakt es nach ihrer Beobachtung noch in der Umsetzung: „Die Vereinbarungen sind ja noch recht frisch. Da ist es durchaus üblich, dass Prozesse sich noch einspielen müssen, und auch, dass eine Dienstvereinbarung an einzelnen Punkten nachgeschärft werden muss. Dazu sind wir im ständigen Austausch mit dem Gesamtpersonalrat und der Geschäftsleitung.“

Grundlegendere Probleme

Auch gut funktionierende Dienstvereinbarungen sind kein Allheilmittel für das getrübte Klima im Haus: Scheschkewitz und Jeppesen halten die Probleme für vielschichtiger, als es sich in der Süddeutschen Zeitung oder dem Statement der Hausspitze darstellt. Es gehe nicht bloß darum, das Miteinander in einzelnen Redaktionen besser zu gestalten. „Dass die Konflikte immer weiter schwelen, zeigt einen gewissen Grad an Unzufriedenheit und Unsicherheit an den beiden Standorten“, stellt der Personalratsvorsitzende fest. „Und diese Unsicherheit hat auch strukturelle Gründe.“

Zu den Ursachen gehört der kontinuierliche Veränderungsprozess, der bei der DW deutlich über das hinausgeht, was andere Sender an Modernisierungsleistung in Sachen Digitalisierung und immer neuen Ausspielwegen vollbringen müssen. Seit Peter Limbourg 2013 als Intendant gewählt wurde, wird die DW ohne Pause umgekrempelt: Aus dem Auslandssender alten Zuschnitts, der die Stimme der Demokratie in Regionen mit eingeschränkter Pressefreiheit und Meinungsvielfalt und zu Menschen aller Schichten trug, sollte in kürzester Zeit ein internationaler Informationssender für städtische Eliten werden, der in der oberen Liga der Auslandssender mit der BBC spielt. Das hatte Limbourg zum Start verkündet und daran arbeitet er seitdem.

Tatsächlich konnte die DW ihre Zugriffszahlen seit 2013 stark erhöhen – von wöchentlich 120 Millionen regelmäßige Nutzerinnen und Nutzer auf heute weltweit 250 Millionen in der Woche und monatlich 1 Milliarde über alle Plattformen hinweg. Viele der Beschäftigten vermissen allerdings die Anerkennung für diese Leistung.

Aus Sicht von Daniel Scheschkewitz haben die ambitionierten Wachstumsziele ihre Spuren in der Unternehmenskultur hinterlassen. „Gefragt waren und sind immer neue Ideen, immer neue Formate und Projekte, die noch mehr Klicks bringen. Und intern gibt es dann einen harten Verteilungskampf um die begrenzten Mittel. Manche Führungskräfte geben den Druck nach unten weiter.“

Denn auch wenn die Finanzausstattung der DW in den vergangenen Jahren von der Bundesregierung aufgestockt wurde, sind die Mittel begrenzt: Gelder für neue Formate werden aus anderen Bereichen der Programmdirektion abgezogen. Wie die Entscheidungen in diesem Verteilungskampf fallen, bleibt für die meisten Beschäftigten intransparent – einer von vielen Unsicherheitsfaktoren.

Interner Verdrängungswettbewerb

Zugleich beobachtet Scheschkewitz „intern einen scharfen Verdrängungswettbewerb um Perspektiven. Auch bei Führungskräften“. Der Grund: Leitungspositionen werden unter der Intendanz Limbourg nur noch für zwei Jahre vergeben. Danach muss die Führungskraft durch einen neuen Vertrag bestätigt werden – oder sie wird ersetzt. So habe zum Beispiel die Farsi-Redaktion jetzt innerhalb von fünf Jahren die dritte Führungskraft.

Oft genug spiele Führungserfahrung bei der Neubesetzung nach Beobachtung der beiden Personalräte eine eher untergeordnete Rolle, und in den kurzen Vertragszeiträumen sei es für die neuen Redaktionsleitungen trotz Schulungen auch schwer, Konfliktlösungsmechanismen zu entwickeln. „Viele Führungskräfte stehen unter einem enormen Erfolgsdruck“, weiß Scheschkewitz.

Leidige Kettenbefristungen

Im übrigen betreffe das auch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen: Gut ein Viertel der DW-Beschäftigten haben dem Personalrat zufolge einen befristeten Vertrag – überwiegend Mitarbeitende in der Programmdirektion. Früher habe die Laufzeit noch bei vier Jahren gelegen, jetzt seien es zwei. Dabei seien Kettenbefristungen leider immer noch an der Tagesordnung. Nach welchen Kriterien entfristet oder nicht mehr verlängert werde, sei auch für die Mitarbeitendenvertretung nicht immer nachvollziehbar. Darüber hinaus habe es Fälle gegeben, in denen ein Drohszenario aufgebaut worden sei, wenn Mitarbeitende sich an den Personalrat wenden wollten. Scheschkewitz: „So etwas schafft ein hohes Maß an Unsicherheit.“

Das gilt auch für die Auslagerung von redaktionellen Arbeitsplätzen. So sollen beispielsweise Inhalte in ukrainischer Sprache ab 2022 hauptsächlich in Kiew erstellt werden. Die entsprechenden Mitarbeitenden sollen sich auf die dortigen, schlechter bezahlten Stellen bewerben. Ähnlich sollen die Redaktionen für Tamil und Ungarisch als neue Sprachenangebote in den jeweiligen Zielländern aufgebaut werden. Der Personalrat fürchtet, dass die Erstellung fremdsprachiger Inhalte sukzessive auf weitere Auslandsbüros verlagert werden könnte.

Chance zur Verbesserung

Für Jeppesen und Scheschkewitz ist es entsprechend kaum verwunderlich, dass es im Haus Unruhe gibt und dass die Konflikte auch nach außen getragen werden. Dabei begrüßt es Helle Jeppesen, die vor Kurzem turnusgemäß die Leitung des Konfliktlösungsteams übernommen hat, dass Unstimmigkeiten jetzt sichtbarer werden; früher sei viel unter den Teppich gekehrt worden: „Konflikte sind ja nicht grundsätzlich etwas Schlimmes. Im Gegenteil, sie können den Blick auf Missstände lenken und helfen, die Dinge zu verbessern.“ Das setze aber voraus, dass man Sachverhalte wirklich klären wolle und dass beide Seiten zu Wort kämen – ausreichend und ohne Repressionen befürchten zu müssen.

„Auch wenn sich manches in der Umsetzung noch zurechtruckeln muss, sind die Dienstvereinbarungen und die weiteren Instrumente zum Konfliktmanagement ein wichtiger erster Schritt,“ betont Jeppesen. „Damit die Deutsche Welle zur Ruhe kommen und die Belegschaft wieder Vertrauen in die Geschäftsführung setzen kann, müssen auch intern die demokratischen Werte gelebt werden, die der Auslandssender in die Welt trägt: Dazu gehören Meinungsfreiheit, öffentliche Debatte und Teilhabe, Fairness und Transparenz. Oder wie die Deutsche Welle von sich selbst sagt: „Wir sind weltoffen, fundiert, klar. Wir stehen für Freiheit, Dialog, Wissen.“||

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin der DJV-NRW, vorab veröffentlicht im Februar 2021.