Endlich mal wieder ins Kino gehen – und dort auch noch Kolleginnen und Kollegen treffen: Dieses Angebot des DJV-NRW haben Mitglieder in Bielefeld, Düsseldorf, Essen und Köln gerne angenommen und einen spannenden Abend erlebt. Rund um den offiziellen Kinostart des Dokumentarfilms „Hinter den Schlagzeilen“ am 16. September hatte der DJV-NRW in Kooperation mit dem Filmverleih RFF – Real Fiction für die vier Städte mehr als 70 Pakete à zwei Karten verlost.
Zeigen, wie es wirklich ist
Jeweils im Anschluss an die Vorführung gab es ein Filmgespräch (teils mit einem Podiumsgast vom DJV-NRW), in dem es um die Entstehung des Films ging. Zur Sprache kam auch die Bedeutung des investigativen Journalismus für Demokratie und Gesellschaft und, im Kontrast dazu, die oft naiven Vorstellungen des Publikums, die Regisseur Daniel Sager so beschrieb: „Viele Menschen denken, man setzt sich einfach hin und schreibt auf, was man gehört hat.“ Mit seinem Film wollte er zeigen, wie Journalismus als Handwerk funktioniert und welchen großen Anteil die Recherche ausmacht.
Dafür begleitete Sager zwei Kollegen aus dem Investigativressort der Süddeutschen Zeitung (SZ) über einen längeren Zeitraum bei ihrer Arbeit: Bastian Obermayer und Frederik Obermaier erlaubten den Blick auf ihre Arbeit, auf langwierige Recherchen und Strategiebesprechungen und auf (vorläufiges) Scheitern: Zwei der Recherchen, die die Filmkamera begleitet, konnten nicht zu Ende gebracht werden.
Monate bis zur Veröffentlichung
Dass dann mit dem sogenannten Ibiza-Video ein spektakulärer Scoop gelang, war ein Glücksfall: Während der Dreharbeiten spielte eine geheime Quelle der SZ und dem Spiegel das Material zu, dessen Veröffentlichung schließlich den damaligen österreichischen Vizekanzler HC Strache zu Fall brachte.
Bis Aufnahmen und gerichtsfeste Recherchen allerdings ans Licht der Öffentlichkeit kommen konnten, steckte das Team in einer langen Phase der Ungewissheit. Denn die Quelle hielt über Monate offen, ob sie ihr Material wirklich zur Nutzung freigeben würde. Deswegen sprechen die Beteiligten im Film zunächst nur vom Projekt X. Der Film verfolgt die ganze Hängepartie bis zur Veröffentlichung, zeigt, wie ein Forensiker das Material auf Echtheit prüft, wie die Redaktionskonferenz mit juristischer Unterstützung die rechtlichen Konsequenzen abwägt und wie die beiden Kollegen bis zur letzten Minute an den Formulierungen feilen.
Durch diesen aktuellen Fall wirft der Film einen genaueren Blick auf das Thema Whistleblowing. Dem widmet sich auch das kurze Gespräch, das Bastian Obermayer und Frederik Obermaier zu Anfang des Films mit Edward Snowdon führen. „Der Informant traut dem Journalisten nicht unbedingt, und den Journalisten interessiert der Informant nicht mehr, wenn er seine Funktion erfüllt hat“, heißt es dort.
Blick in den redaktionellen Alltag
Die Filmgespräche in Bielefeld, Düsseldorf und Essen erlaubten durch den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen einen ergänzenden Blick in den redaktionellen Alltag – für Redaktionen in NRW. So berichtete in Essen Markus Bensmann von Correctiv anschaulich über den Alltag investigativer Journalistinnen und Journalisten und erläuterte ein aktuelles Beispiel: Mitte September hatte Correctiv seine Recherche über die Millionen-Werbekampagne zugunsten der AfD und den damit verbundenen Verdacht illegaler Spenden veröffentlicht.
Bensmann teilte das Podium mit Pascal Hesse, dem Vorsitzenden des DJV Essen-Mülheim-Oberhausen (DJV EMO) und Schatzmeister des DJV-NRW, der selbst als freier Journalist auch investigativ arbeitet, sowie mit Regisseur Sager und RFF-Geschäftsführer Joachim Kühn. Die vier waren einhellig überzeugt: Es braucht eine Finanzierung für guten investigativen Journalismus. Wenn ausreichend Zeit für Recherchen zur Verfügung stehe, könne das zwar bedeuten, dass weniger produziert werde, sagte Hesse. „Aber am Ende lohnt es sich.“
Dieser Überzeugung ist auch Kristian van Bentem, Lokalredakteur bei den Westfälischen Nachrichten in Münster und stellvertretender Landesvorsitzender des DJV-NRW: Er bestritt das Gespräch in Bielefeld mit Regisseur Daniel Sager. Was der Film zeige, sei sozusagen die Champions League, erklärte van Bentem und fügte mit Blick auf die jüngste Herabstufung Deutschlands in der Rangliste der Pressefreiheit hinzu: „Wir können froh sein, dass wir die in Deutschland noch haben.“ Genauso wichtig sei aber eben ein starker Lokaljournalismus. Denn der könne vor Ort Einfluss nehmen, wo das unmittelbare Leben der meisten Menschen stattfinde.
Auch das Filmgespräch mit Sager und Kühn in Düsseldorf legte den Fokus auf das Arbeiten im Lokalen: Braucht es gerade dort mehr investigative Recherchen? Und wie lässt sich das fördern, wenn diese Form des Journalismus gerade auch vor Ort so wichtig ist?
Mehr Schutz für Whistleblower
Beim Filmgespräch in Köln teilten Sager und Kühn die Bühne mit Hartmut Bäumer von Transparency Deutschland, der das Thema Whistleblowing vertiefte: Weil Hinweisgeberinnen und -geber häufig ihren Job verlieren, macht Transparency Deutschland sich für einen Fonds zur finanziellen Unterstützung Betroffener stark. Zudem fordert die Organisation zusammen mit dem DJV und anderen Verbänden einen besseren Whistleblower-Schutz für Deutschland.
Per Video schaltete sich Bastian Obermayer aus München dazu und erzählte zusammen mit Sager über die Zusammenarbeit zwischen SZ und Filmteam – etwa wann mitgefilmt werden durfte und wann nicht und wie streng die Sicherungsmaßnahmen für die Wahrung der Vertraulichkeit waren: Neben einer hohen Strafandrohung bei Bruch der Vertraulichkeit kam das Filmmaterial abends bei der SZ in den Safe.
Dass diese Dokumentation Aufmerksamkeit auf die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten lenkt, begrüßte der DJV-NRW. Und weil es erfreulicherweise nicht die einzige aktuelle Doku zum Thema Journalismus ist, ist eine weitere Kinotour für November in Vorbereitung. ||
Ein Beitrag aus JOURNAL 5/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2021.