THEMA | Sportjournalismus

Mehr Mut wagen!

Der Sport verträgt mehr investigative Berichterstattung
30. September 2022, Nora Hespers

Es gibt sie weiterhin, die Fraktion derer, die im Stadion von Politik nichts wissen will. Für die der Sport gänzlich unpolitisch ist und gleichsam Unterhaltung bedeutet wie Alltagsflucht. Ein absolut legitimes Bedürfnis. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass selbst das Politik ist. Und das wird spätestens dann klar, wenn eben diese Fraktion sich über gestiegene Eintrittspreise beschwert, Spieler als Söldner beschimpft oder gegen die Kommerzialisierung des Sports anschreit. Das alles ist politisch.

Wer Hintergrund will, muss suchen

Aber wo finden wir diese Politik in der Berichterstattung? In der großen Sportschau am Samstagabend eher selten. Auf den Webseiten geht sie allzu oft unter – in der Vielzahl der Meldungen über Ergebnisse, Transfers, Siege und Niederlagen, überhaupt in einer omnipräsenten Fußballberichterstattung. Wer Hintergrund will, muss suchen. Und findet dann nicht selten Beiträge der Autorinnen und Autoren von Sport inside aus dem WDR-Fernsehen. Wobei hier fairerweise gesagt werden muss: Es sind häufig vor allem Autoren. Ein strukturelles Problem, das sich überall durch den Sport zieht und sich nur langsam wandelt. Aber – es wandelt sich.

Seit 2007 berichtet das TV-Magazin Sport inside über Hintergründe im Sport. Über die Machenschaften von Vereinen und Verbänden, über Entwicklungen und Missstände. Eine Berichterstattung, die eher auf den hinteren Programmplätzen zu finden ist. Dabei gehört Sport für viele Menschen zum Alltag – egal, ob als Zuschauerinnen und Zuschauer oder als Aktive, ob im Profisport oder in der Freizeit.

Mitunter konkurrieren die Interessen. Wie zum Beispiel in der Coronapandemie: Wenn die Bundesliga vor leeren Rängen spielt, während Sportvereine reihenweise die Hallen dicht machen müssen, trifft das Menschen in ihrem Alltag. Das gilt auch, wenn – nicht nur wegen der bevorstehenden Energiekrise – immer mehr Schwimmbäder dicht machen müssen. Vor diesem Hintergrund ist es eigentlich unverständlich, dass diese Themen im Programm oft so weit hinten platziert sind.

Hintergrundthemen sind gefragt

Nicht zuletzt der YouTube-Channel der Sportschau zeigt: Hintergrundthemen sind gefragt. Und sie werden – anders als die Spielberichte der Bundesliga – eben nicht überall angeboten. Es sind Themen, an denen die Autorinnen und Autoren zum Teil Jahre recherchieren.

Scrennshot Dokumentation Katar
Screenshot aus „WM 2022 in Katar: Schein und Sein“, einer Sport-inside-Doku von Benjamin Best aus Dezember 2021.

Ein paar Beispiele: Benjamin Best berichtet seit zehn Jahren über die Situation der Arbeiter auf den WM-Baustellen in Katar. Andrea Schültke widmet sich seit zwölf Jahren den Missbrauchsfällen im Sport. Und Matthias Wolf deckte unter anderem den Rassismus-Skandal am Nachwuchsleistungszentrum des FC Bayern auf. Zudem war die kleine Sport-inside-Redaktion ab 2007 auch die ARD-Dopingredaktion: Jochen Leufgens betreute damals die bahnbrechende Russland-Doku über Staats-Doping von Hajo Seppelt. Ich könnte hier noch so viele andere Kolleginnen und Kollegen aufzählen, deren Expertise die Langzeitbeobachtung von Themen ist. Und damit kommen wir zum strukturellen Problem.

Diese Themen schaffen es vergleichsweise selten ins Programm. Damit lässt sich der Aufwand für die meist freien Autorinnen und Autoren kaum finanzieren. Anders als im Profi-Fußball gibt es hier keine tägliche Berichterstattung. Hintergrundberichterstattung ist ungleich aufwendiger, erfordert mehr Einsatz von Ressourcen. Die langwierige Suche nach Protagonistinnen und Protagonisten, Hintergrundgespräche, Beschaffen und Prüfen von Dokumenten, nicht selten auch eine juristische Prüfung und Reisen – manchmal ohne die Sicherheit, dass am Schluss auch eine Veröffentlichung steht. Klar, es werden auch immer mal wieder Recherchen honoriert. Aber im großen Ganzen zählt das Endergebnis.  Und da ist es ein Unterschied, ob ein zehnminütiger Film entsteht oder eine halbstündige Doku. Am Aufwand der Recherche selber ändert das aber nichts.

Umso wichtiger ist eine eigene Hintergrundredaktion. Im WDR ist das Sport inside. Eine kleine Redaktion aus Menschen, deren Ziel nicht die große Bühne ist, sondern die Sache selbst. Und das gilt nicht zuletzt für die fünf Redakteure, die ihre Autorinnen und Autoren mit großer Akribie unterstützen. Und zwar auch dann, wenn es Gegenwind gibt. Oder wenn die Arbeit weit weniger Wertschätzung erfährt, als sie sollte.

Podcasts zur Vertiefung

An der Stelle muss ich zugeben: Ja, ich bin befangen. Denn ich bin seit Januar 2021 selbst Teil des Sport-inside-Teams. Als eine von zwei Podcast-Moderatorinnen. Mein Job ist es, den Autorinnen und Autoren der Beiträge eine Bühne zu geben, damit sie das große Ganze erzählen können. Denn es gibt viel, viel mehr zu erzählen, als sich in einem Zehnminüter unterbringen lässt. Der Podcast bietet Gelegenheit, jahrelange Recherchen transparent zu machen, verschiedene Perspektiven zusammenzubinden und auch journalistische Arbeit zu erklären. Fast eine Stunde lang können wir einem Thema wirklich auf den Grund gehen. Für manche Themen reicht selbst das nicht. Dann gibt es Mehrteiler, etwa zum Thema Sportwetten oder zur viel diskutierten 50+1-Regel im Fußball.

Die Rückmeldungen sind durchweg positiv. Auch, weil Sport inside bislang einzigartig ist unter den deutschen Sportpodcasts. Wobei ich an dieser Stelle gerne auf die Sport-Kolleginnen und -Kollegen beim Deutschlandfunk hinweise, die mit einem festen Team ebenso großartige Hintergrundberichterstattung leisten. Besonders aber freut es mich, wenn Menschen, die sich vorher nie sonderlich für Sport interessiert haben, unseren Podcast hören und spannend finden.

Luxus oder eine Frage der Strukturen?

Bei all dem Aufwand stellt sich aber die Frage: Ist Hintergrundberichterstattung im Sport Luxus? Ist es nur großen Redaktionen möglich, investigativ zu arbeiten?

Ich habe wenig Einblick in die Situation der lokal arbeitenden Kolleginnen und Kollegen. Aber aus dem, was ich bisher gelernt habe, würde ich sagen: Es braucht Strukturen. Strukturen, die vor allem den vorwiegend frei arbeitenden Kolleginnen und Kollegen Sicherheit bieten. Finanziell, aber auch juristisch. Und es braucht Netzwerke. Gerade die Rechercheverbünde zeigen in der jüngsten Vergangenheit immer wieder ihre Schlagkraft. Auch deshalb, weil die Themen so in verschiedenen Medien platziert werden können.

Vor allem aber braucht es Mut. Den Mut der Redaktionen, in diese Berichterstattung zu investieren. Diesen Mut erlebe ich gerade in der Sport-inside-Redaktion. Und im Hinblick auf die Herausforderungen, vor denen auch der Sport in Zukunft stehen wird, werden wir den besonders brauchen. Denn es gilt mehr denn je, bestehende Strukturen zu hinterfragen und nach neuen Lösungen zu suchen.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2022.