EDITORIAL |

Der Wahrheit verpflichtet

26. September 2022, Frank Stach

Wahrheit ist ein schwieriges Wort. Deutlich ist mir das geworden, als ich noch in meiner Bochumer Studentenzeit den Film „Rashomon“ von Akira Kurosawa gesehen habe. Viermal wird dieselbe Handlung erzählt – in vier unterschiedlichen Versionen. Was ist wahr am Tathergang, was ist unwahr? Jede Perspektive ist glaubwürdig, jede Erzählung widerspricht der anderen. Und was hat das mit Journalismus zu tun? Jede Menge.

Wir leben in einer Zeit, die jedem und jeder eine Stimme gibt. Jede einzelne Perspektive kann sich in den sozialen Medien zu einer Haltung aufblasen, die zum Scheinriesen wird. Russlands
Krieg gegen die Ukraine zeigt deutlich, wie Meinungen, Haltungen, und ja, auch Fakten manipuliert werden. Trollarmeen sind unterwegs, um Propaganda zu verbreiten und verstärken, um Wahlkämpfe zu manipulieren. Alles scheint möglich zu sein, nichts gilt. Die Wahrheit verliert. Journalismus, professionell betrieben, ist ein Angebot an die Menschen, sich selbst ihre Perspektive zu erarbeiten.

Profis arbeiten mit den Fakten und spiegeln die Wirklichkeit jeden Tag in ihren wesentlichen Facetten. Es sind Kolleginnen und Kollegen bei Tageszeitungen – ob lokal, regional oder überregional –, aus den öffentlichrechtlichen und den privaten Hörfunk- und Fernsehsendern sowie diejenigen, die für die vielen digitalen Medien arbeiten. Alle eint der Wunsch, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Diese Annäherung an die Wahrheit gelingt nur durch gutes Handwerk. Dazu gehört es, die eigene Berichterstattung in Redaktionskonferenzen intensiv zu besprechen und zu reflektieren. In Medienhäusern gibt es eine verlässliche Fehlerkultur. Und es gibt den Quellencheck: Wie glaubwürdig sind die Informationen, auf die ich meine Berichterstattung stütze? Natürlich ist professionellen Journalistinnen und Journalisten auch bewusst, dass der eigene Beitrag nur eine Annäherung an die Wahrheit ist, nicht die absolute. Denn es gibt immer verschiedene Perspektiven auf das Geschehen, so wie im Film „Rashomon.“

Unter dem Motto „Der Wahrheit verpflichtet“ widmet sich unser Journalistentag am 19. November diesem schwierigen Thema. Schauen Sie mal in den Beihefter, welche Panels, Werkstattgespräche und Workshops wir mit unseren Kooperationspartnern planen. Denn: Wahrheit ist ein wichtiges Thema, nein, es das zentrale Thema in Zeiten der großen Verunsicherung!


Ein Beitrag aus JOURNAL 3/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2022.