Die Nachricht klingt, als wäre sie einem Science-Fiction-Film entsprungen: Das Unternehmen Generated Photos hat Bilder von Menschen generiert, die es gar nicht gibt. Mehr als zwei Millionen dieser Porträts, die mit Hilfe der KI-Software StyleGAN des amerikanischen Grafikprozessoren-Herstellers Nvidia entstanden sind, stehen zum Download bereit. Per Filtereinstellungen bestimmt man Alter, Ethnie, Geschlecht, Stimmung sowie Augen- und Haarfarbe und erhält eine riesige Auswahl an individuellen, aber eben unechten Gesichtern, die für nicht-kommerzielle Zwecke in einer niedrigen Auflösung sogar frei verwendet werden dürfen.
Die Idee dahinter: Bei Fotos von echten Menschen müssen immer erst die Persönlichkeits- und Nutzungsrechte abgeklärt werden, also für welche Zwecke dieses oder jenes Foto überhaupt verwendet werden darf. Das kann für den Nutzer lästig und umständlich sein. Und für die abgebildeten Personen wird es auch schon mal unangenehm, wenn ihr Gesicht ohne ihr Einverständnis von politischen Parteien, der Pharmaindustrie oder Partnervermittlungsagenturen eingesetzt wird. Mit Generated Photos entfallen diese Hürden: Sie brauchen schnell eine freundliche, hübsche, weiße Frau mit langen Haaren und blauen Augen für eine Broschüre, Anzeige, Präsentation oder Homepage? Die Seite hat mehr als 11 000 zur Auswahl und allen diesen Frauen ist es vollkommen egal, wofür Sie ihr Bild verwenden – weil es sie nicht gibt.
Für diejenigen, die regelmäßig auf der Suche nach austauschbaren, preiswerten und unkomplizierten Porträts sind, mag das Angebot eine Erleichterung darstellen. Gleichzeitig öffnet sich mit diesem Schritt auch die Büchse der Pandora. „Einmal mehr!“ muss hinzugefügt werden, wenn über die Fotografie gesprochen wird. Denn spätestens seit der massenhaften Digitalisierung und den auch von Laien einsetzbaren Manipulationsmöglichkeiten ist das Vertrauen in das Medium gesunken.
Trauriger Höhepunkt sind dabei die so genannten Deepfake-Videos und Face-Swapping-Apps, in denen Gesichter (häufig von Prominenten) mit denen anderer Personen vertauscht werden – mit Ergebnissen, die teilweise kaum noch von der Realität zu unterscheiden sind (siehe auch „Der Kollege ist ein Roboter“, JOURNAL 6/19). Spätestens beim Auftauchen manipulierter Pornovideos, in denen Hollywood-Stars wie Emma Watson, Gal Gadot oder Scarlett Johansson scheinbar „mitspielen“, und der gefälschten Videobotschaft von Barack Obama, der auf die Gefahren von eben genau solchen gefälschten Videos hinweist, fragten auch eher unbedarfte Medienkonsumenten: Wem kann man heute eigentlich noch trauen?
Die Fotografie war nie unschuldig
Wer einen Blick auf die Geschichte der Fotografie wirft, erkennt allerdings schnell, dass das Medium niemals so unschuldig war, wie gerne angenommen wird – auch nicht im analogen Zeitalter. Fotografische Bilder wurden schon immer verändert, optimiert, angepasst, korrigiert, dramatisiert und manipuliert.
Das liegt in der Natur des Mediums. Ein Original wie etwa in der Malerei gibt es nicht, es sei denn, wir schauen uns das Negativ oder das Dia beziehungsweise die Raw-Datei aus einer Digitalkamera an (Polaroids, Kollodium-Nassplatten und andere eher exotische Techniken, die Foto-Unikate schaffen, hier mal ausgenommen). Es gibt kein unverändertes Foto, weil jedes Bild während seiner Entstehung interpretiert werden muss. Früher in der Dunkelkammer waren es die Wahl des Papiers, die Dauer und die Art der Belichtung und der Umgang in den einzelnen Chemie-Bädern – von den Retuschemöglichkeiten ganz abgesehen. Im digitalen Zeitalter sind es eben Programme wie Photoshop und Lightroom oder Smartphone-Apps mit ihren Filtern und Montagemöglichkeiten, die es selbst ohne Vorkenntnisse erlauben, Bilder zu optimieren, zu verändern oder zu manipulieren. Mit allen Vor-, aber auch Nachteilen.
Bearbeitet oder manipuliert?
In der öffentlichen Diskussion wird allerdings viel zu selten differenziert. Es wird gerne von manipulierten Fotos gesprochen, obwohl sie eigentlich nur bearbeitet wurden. Nicht zuletzt deswegen wäre eine Regelung wichtig, wo die Grenze zwischen diesen beiden Bereichen verläuft – auch, wenn diese mitunter nur schwer zu ziehen ist – und vor allem: Wann ist eine Manipulation zulässig?
Der Sportfotograf und Vorsitzende des Fachausschusses Bildjournalisten im DJV-NRW, Wolfgang Birkenstock, bietet gemeinsam mit dem stellvertretenden Chefredakteur der Aachener Nachrichten/Aachener Zeitung, Amien Idries, und dem Leiter des Internationalen Zeitungsmuseums in Aachen, Andreas Düspohl, seit etwa vier Jahren Workshops zu den Themen Fake News und Lügenpresse an Schulen an. „Es ist wichtig, dass wir auch dem Nachwuchs zeigen, wie sorgfältig Journalisten arbeiten“, sagt Birkenstock. Im Medienkunde-Unterricht an Gymnasien, Real- und Gesamtschulen stoße er dabei meist auf sehr interessierte Schülerinnen und Schüler. „Die haben durchaus einen kritischen Umgang und sagen, dass man dem, was man auf Facebook lese, nicht trauen könne.“
Birkenstock geht mit ihnen aber auch verschiedene Beispiele aus seiner jahrelangen Arbeitspraxis durch und bringt dabei den korrekten Umgang mit journalistischen Bildern auf eine griffige Formel: „Technische Korrekturen am Foto sind in Ordnung, inhaltliche Korrekturen sind es nicht.“
Wer also nachträglich nur einen Weißabgleich vornimmt, die Kontraste anhebt, zu dunkle Bereiche im Bild aufhellt respektive zu helle abdunkelt und ein wenig an der Farbsättigung dreht, nicht aber einzelne Elemente im Bild entfernt oder gar hinzufügt, ist damit auf der sicheren Seite. Dennoch habe auch er in seiner Arbeitspraxis schon anderes erlebt und erzählt die Geschichte eines Fotografen, der in ein Bild eines Fußballspiels einen Ball montiert habe, weil der außerhalb des Bildausschnittes war. „Das war auch noch so schlecht gemacht, dass es direkt aufgefallen ist.“
Dann lieber das zweitbeste Bild
Tatsächlich sollen solche Hinzufügungen in Sportredaktionen früher durchaus häufiger vorgekommen sein. Offenbar empfand man es so, dass ein ins Sportfoto gesetzter Fußball die Aussage dieses Bildes nicht wirklich verändere. Doch unabhängig von dieser Diskussion und aus heutiger Sicht ist das Vorgehen für Birkenstock inakzeptabel: „Solche Manipulationen gehen in journalistischen Bildern einfach nicht. Da geht der Pressekodex vor.“ Er selbst habe in seiner Karriere bereits ähnliche Situationen erlebt.
„Ich hatte ein Foto vom Torjubel, auf dem der Ball aber nicht zu sehen war. Auf dem anderen Bild war der Ball drauf, aber die Spieler drehten mir den Rücken zu. Aber dann muss ich halt dennoch das zweitbeste Foto nehmen.“
Nicht ganz nachvollziehen könne er hingegen die Aufregung, die es 2013 um das Foto des Schweden Paul Hansen gab. Dieser hatte mit seinem Bild eines Beerdigungszuges in Gaza-Stadt, in dem im Vordergrund Männer die in weiße Tücher gewickelten Leichen zweier Kinder tragen, den World Press Photo Award 2012 gewonnen – einen der renommiertesten Preise für journalistische Fotografie überhaupt. Anschließend wurde ihm vorgeworfen, er hätte zu massive Veränderungen an der Originaldatei vorgenommen und damit die Jury und die Öffentlichkeit „arglistig getäuscht“.
Differenz zu erster Veröffentlichung
Tatsächlich unterscheidet sich das Foto von einer früheren Veröffentlichung: In dem Siegerfoto hatte Hansen die Farben entsättigt, das Bild insgesamt abgedunkelt und die Gesichter aufgehellt, um den Blick des Betrachters zu lenken – eigentlich normale und legitime Eingriffe. So sieht es auch Birkenstock: „Meine Empörung hält sich in diesem Fall tatsächlich in Grenzen.“
Die Argumente beider Seiten waren zumindest teilweise nachvollziehbar: Für eine Disqualifizierung sprach, dass der Zweitplatzierte des Wettbewerbs den Preis vielleicht auch gewonnen hätte, hätte er sein Bild ebenso stark bearbeitet. Das klingt ein bisschen wie beim Doping im Sport. Für die Bearbeitung sprach hingegen, dass das Bild dadurch an Dramatik gewonnen habe und es eher dem Gefühl entspräche, das der Fotograf in der Situation vor Ort hatte. Womit wir zu einer weiteren wichtigen Unterscheidung kommen: Wahrheit und Wahrhaftigkeit.
Journalismus braucht Wahrheit
„Ein wahrhaftiges Bild muss nicht unbedingt zu 100 Prozent wahr sein“, sagt beispielsweise Michael Ebert. Der Fotograf, Kurator und Autor unterrichtet Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Fachhochschule Hannover und an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Gleichzeitig schränkt er seine Aussage ein: „Im Journalismus sind wir zuerst der Wahrheit verpflichtet.“ Und diese Überzeugung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch grundsätzlich verstärkt.
„In den 1970er und 80er Jahren haben wir im Journalismus Dinge getan, die heute undenkbar wären – beispielsweise wurden Bilder gespiegelt abgedruckt. Die Katholische Nachrichten-Agentur hat einmal ein gekontertes Foto vom Papst veröffentlicht, aber das ist sehr vielen Leuten aufgefallen. Das ist zwar kein richtiger Fake, aber eigentlich macht man das heute nicht mehr. Zumindest nicht in den seriösen Medien.“
Im Boulevard scheinen hingegen andere Regeln zu gelten – da werden weiterhin Personen gespiegelt oder schwangeren Prominenten fremde Babys in die Arme montiert. „Ich glaube, da müssen wir Trennungsstriche ziehen zwischen den seriösen Medien und dem Boulevard, aber auch zur Mode, zur Werbung, zur PR und zur Kunst“, sagt Ebert. „Allerdings ist die Fotografie durch die Digitalisierung und durch den Druck der sozialen Medien in Bedrängnis geraten – und steht heute unter einem Generalverdacht der Manipulation.“
Was der Kontext bedeutet
Doch bei all den Diskussionen um erlaubte und unerlaubte Veränderungen in und an einem Foto ist sich Ebert sicher: „Die gemeinsten Manipulationen sind gar nicht technischer, sondern inhaltlicher Art“. Damit meint der Hochschuldozent nicht, ob Gegenstände im Foto hinzugefügt oder entfernt wurden, sondern in welchem Kontext ein Bild gezeigt wird. „Wenn beispielsweise auf einem Nachrichtenfoto Zivilisten von Menschen mit automatischen Waffen durch den Dschungel gejagt werden, ist eine Verifizierung äußerst schwierig. Sind es Rebellen, die von Regierungstreuen verfolgt werden? Genauso gut können Sie das Gegenteil schreiben.“
Diese Problematik ist nicht neu, wie Ebert an einem Beispiel erläutert: „Im ersten Weltkrieg sollte ein Foto deutsche Gräueltaten in Belgien belegen, in Wahrheit handelte es sich aber um die Opfer eines Pogroms, das 1905 in Odessa stattgefunden hatte.“
Zwar erlägen manche Medien Fake-Bildern schneller als andere, aber auch seriöse wie die Tagesschau fielen auf sie herein. Ebert erinnert sich an eine Berichterstattung über den angeblichen Sturm auf den Winterpalast während der Oktoberrevolution 1917. „Dazu wurde dann ein Foto gezeigt, das aber in Wirklichkeit ein Still aus dem Film ‚Oktober‘ von Sergej Eisenstein aus dem Jahr 1928 ist. Denn erstens wurde der Winterpalast gar nicht richtig gestürmt, sondern eigentlich wurde nur das Wachpersonal ausgetauscht, und zweitens gibt es keine Fotos davon, weil es nämlich Nacht war.“
Doch die sowjetische Propaganda gab die filmische Inszenierung der angeblichen Stürmung als Dokumentation und somit als Wahrheit aus – und sorgte damit dafür, dass diese Bilder auch fast 80 Jahre später noch so genutzt werden und in den Bilddatenbanken entsprechend gespeichert sind. „So etwas kann der Tagesschau natürlich genauso passieren wie jedem anderen Medium auch. Das ist ja keine Absicht. Aber es ist ein laxer Umgang mit der Wahrheit.“
Aber auch dafür gibt es – zumindest teilweise – Gründe: Die Redaktionen arbeiteten immer mehr unter Zeitdruck, und es gäbe heute gar keine Zeit zur Verifizierung. „Da fragt sich niemand mehr, ob das, was da gerade als Meldung über die Agentur hineingekommen ist, überhaupt stimmen kann, und prüft es auch nicht.“ Zwar beteuerten die Redaktionen landauf, landab, dass Gründlichkeit in der Berichterstattung Vorrang habe – tatsächlich stehe im digitalen Zeitalter, in dem es keinen Redaktionsschluss mehr gibt, aber die Schnelligkeit oftmals an oberster Stelle, sagt Ebert.
Wirklich unangenehm bis gefährlich werde es allerdings, wenn die Informationen sogar mitgeliefert würden, sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Redaktionen aber nicht einmal die Bildzeilen durchläsen, weil sie unter Zeitdruck arbeiteten oder weil sie schlichtweg zu faul seien und einfach nur ein Symbolfoto zu Illustrationszwecken benötigten, mahnt der Fotojournalismus-Experte. Er erinnert sich an einen Fall in der FAZ, in der dpa-Fotos von einer Kindesentführung im Rahmen eines Sorgerechtsstreits Jahre später im Reiseteil unter der Überschrift „Wenn Alleinerziehende Reisepläne schmieden“ verwendet wurde.
Erläuternde Bildzeile nutzt nicht
Ein anderes Beispiel: Wenn ein Artikel über den Nahost-Konflikt mit einem Foto eines israelischen Soldaten bebildert wird, der eine Palästinenserin in den Schwitzkasten nimmt, die gezeigten Personen aber bloß Schauspielerinnen und Schauspieler eines Straßentheaters in billigen Kostümen sind und der Lauf der Waffe zu einer Kalaschnikow gehört, die israelische Arme aber gar keine AK-47 benutzt, dann schüre man mit diesen falschen Fotos Ressentiments und Hass. Da nutze selbst eine richtigstellende Bildzeile nur noch wenig: „Die Leute wollen es glauben, denn es passt in ihr Weltbild. Der Fake ist nur der Trigger für eine Empörung und für Aufmerksamkeit.“
Die sozialen Medien fallen darauf rein, die Algorithmen sortieren solche Bilder nicht aus, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Medienhäusern können es offensichtlich auch nicht. An dieser Stelle fehle es an erfahrenen Redakteurinnen und Redakteuren, an Allgemeinbildung, gesundem Menschenverstand und einem kritischen Blick, um solche Fotos einordnen und entlarven zu können.
Das Foto als Beginn einer Erzählung
Die richtige und vollständige Kontextualisierung von Pressefotografien ist auch für Lars Böring enorm wichtig. Der Niederländer war von 2015 bis 2020 Direktor des bereits erwähnten World Press Photo Award. „Ohne Caption ist ein Bild eindimensional. Ein Foto ist nur der Beginn einer Erzählung. Wenn man ein Bild anschaut und dann den Text liest, dann vertieft man sich, und die Geschichte wird viel eindrucksvoller.“
Böring hat festgestellt, dass Nachrichtenfotos heute einfacher sein müssen: Komplexe Bilder mit vielen Details und Informationen funktionierten in Onlinemedien und auf Smartphone-Displays nicht mehr so gut. Gleichzeitig beobachtet er, dass das Publikum der jährlich um die Welt reisenden Ausstellungen der World Press Photo Award zunehmend kritischer geworden sei. „Die Besucher fragen immer zuerst: Kann ich dem Bild vertrauen? Ich sage dann: Das Bild sagt nicht die Wahrheit, aber du kannst ihm vertrauen.“
Um das zu gewährleisten, gebe World Press Photo viel Geld dafür aus, manipulierte Bilder zu finden und aus dem Wettbewerb auszuschließen. Zudem habe die Organisation mit Sitz in Amsterdam 2015 unter seiner Führung die Richtlinien deutlich verschärft, was erlaubt ist und was nicht. Und noch mehr: Die Fotografinnen und Fotografen müssen seitdem ihre Glaubwürdigkeit aufwendig unter Beweis stellen: Bei digitalen Fotos müssen sie zusätzlich das Raw einreichen, also das digitale Negativ, das nicht verändert werden kann. Wer nur im JPEG-Format fotografiert, muss mindestens drei Fotos mitliefern, die direkt vor und nach der Aufnahme entstanden sind, damit die Jury das Motiv mit ähnlichen Bildern vergleichen kann. Bei analogen Fotografien müssen Kontaktabzüge des Films mitgeschickt werden.
Böring äußert aber auch Kritik in Richtung der Urheberinnen und Urheber: „Viele professionelle Fotografen verstehen ihre eigenen Fotos nicht! Sie sollten genauer hinterfragen, was das Publikum in ihren Bildern sehen soll und warum wir es uns ansehen sollen. Zu oft konzentrieren sich Fotografen auch heute noch auf rein Technisches, kennen aber die Kunst- und Fotografiegeschichte nicht.“
Regelrechter Bebilderungszwang
Auf ein anderes Problem der Digitalisierung macht Nadja Masri aufmerksam, freie Bildredakteurin, Beraterin und Leiterin der Klasse Bildredaktion an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin: „Mit dieser Bilderflut, in der sich Bilder von Profis mit denen von Amateurinnen und Amateuren mischen, geht ein regelrechter Bebilderungszwang bei Onlinemedien Hand in Hand. Das heißt, dass es keine Meldung mehr gibt, die ohne Bild erscheint“, mahnt sie.
Wie lässt sich die Qualität hier wahren? „Die Folgerung daraus wäre, dass Redaktionen im Optimalfall eigene, vertrauenswürdige Fotografinnen oder Fotografen haben, eine gut besetzte Bildredaktion, die kompetent Bilder aus verlässlichen Quellen auswählt, und eine Foto-Forensikerin oder einen Forensiker, um externe Bilder bei Bedarf auf Manipulationen zu überprüfen.“ Das sei aber leider nicht der Fall. Im Gegenteil: Bei Personaleinsparungen wurden meist zuerst die Bildredaktionen abgeschafft.
Auch Felix Koltermann beschäftigt sich seit Jahren mit dem internationalen Fotojournalismus. Derzeit arbeitet er am Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ der Hochschule Hannover an einem Postdoc-Forschungsprojekt über bildredaktionelle Praktiken im digitalen Zeitungsjournalismus. In einem Aufsatz in der Zeitschrift Photonews schlug er verschiedene – teilweise durchaus radikale – Maßnahmen vor, um die Glaubwürdigkeit der Pressefotografie wieder herzustellen. Dazu gehört die Forderung, im redaktionellen Teil von Zeitungen und Magazinen komplett auf PR-Bilder und Stockfotografien zu verzichten.
Koltermann verlangt zudem eine Kennzeichnungspflicht von Bildmanipulationen und die Namensnennung von Fotografinnen und Fotografen – beides Forderungen, die auch der DJV seit Jahren stellt. Zudem spricht er sich für ausführliche Bildunterschriften aus. Und auch Symbolbilder sollten nach seiner Überzeugung als solche gekennzeichnet werden. Zwar gebe der Pressekodex des Deutschen Presserats schon eine solche Praxis vor, aber den kenne doch kein 20-Jähriger in einer Onlineredaktion, meint Koltermann.
Für ihn sei zudem denkbar, bei Fotoveröffentlichungen in Onlinemedien auch die Meta-Daten zugänglich zu machen – etwa durch den Mouse-Over-Effekt. „Unabdingbar erscheint mir auch, dass Fotojournalisten und Redaktionen das eigene Handeln in der Produktion wie auch der Auswahl stärker transparent machen“, schreibt Koltermann und fordert, dass jede Zeitung ihren Kanon von Regeln klar festlegt und auch veröffentlicht.
Visualisierungspraxis hinterfragen
Nicht zuletzt stellt Koltermann den Umgang der Medien mit Fotos generell infrage. Er ist überzeugt: „Wir müssen nicht visueller werden, wie es immer wieder gefordert wird, sondern die Visualisierungspraxis im Journalismus stärker an der Frage ausrichten, was warum wie dargestellt wird.“
Insgesamt viel Kritik also am alltäglichen Umgang mit Fotografien in den Redaktionen. Doch Michael Ebert betont, dass er die Zukunft des Fotojournalismus nicht nur düster sähe. „Es gibt immer wieder Extrembeispiele, aber ich möchte doch auch betonen, dass der überwiegende Teil der Berichterstattung in unseren Leitmedien der Wahrheit entspricht. Wir werden ja nicht jeden Tag mit Fakes zugeschmissen.“
Gerade seine Studentinnen und Studenten nehme er als sehr ernst, sehr reflektiert und sehr moralisch wahr. „Sie haben durchaus eine Sensibilität und auch ein Ehrgefühl, gerade, wenn es um das Thema Wahrheit geht. Sie haben eine hohe Motivation, sind fleißig und willens, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen.“ Sie wüssten sehr genau, was sie dürfen und was sie nicht dürfen, und würden auch erkennen, dass die Grenzen sehr subtil sein können.
Zudem glaubt Ebert an die Regulierungsfähigkeit und an den gesunden Menschenverstand, sodass Fakes und Manipulationen am Ende doch auffliegen. Denn fast genauso leicht, wie man heute Wahrheiten verdrehen und Fälschungen platzieren könne, könne man sie eben auch aufdecken.
„Wenn einem ein Foto komisch vorkommt, weil es starke Emotionen auslösen soll, und gleichzeitig ist die Faktenlage schwammig und es werden keine Quellen genannt, dann muss man nur mal recherchieren. Und wenn das Bild dann immer nur in einer Auflösung von 800 Pixeln auf Seiten wie Pinterest und anderen Social-Media-Seiten auftaucht, muss man erst recht stutzig werden. Irgendwann gelangt man aber an die Quelle. Das ist der große Vorteil unserer digitalisierten, hochkomplexen, medialen Vernetzung: Man kann die Fakes nämlich auch aufspüren. Die große Weltverschwörung werden wir jedenfalls nicht wegen gefälschter Bilder haben.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 5/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2020.