THEMA | Sportjournalismus

Die eigene Perspektive

Bildjournalistinnen und -journalisten im Sport
4. Oktober 2022, Corinna Blümel
Bei der Leichtathletik-WM 2011 in Daegu (Südkorea) nutzte Wolfgang Birkenstock eine Gelegenheit und erwischte von der Anlaufbahn aus diesen Sprung von Sebastian Bayer.
Bei der Leichtathletik-WM 2011 in Daegu (Südkorea) nutzte Wolfgang Birkenstock eine Gelegenheit und erwischte von der Anlaufbahn aus diesen Sprung von Sebastian Bayer. | Foto: Wolfgang Birkenstock

Wie sieht die Welt der freien Sportjournalistinnen und -journalisten jenseits der Berichterstattung über Bundesliga-Fußball aus? Speziell derjenigen, die Texte und Bilder für Regionalzeitungen liefern? Das weiß Wolfgang Birkenstock, bis zum Frühjahr Vorsitzender im Fachausschuss Bildjournalisten. Birkenstock hat sich vor allem in der Leichtathletik-Berichterstattung einen Namen gemacht. Er fotografiert aber auch Volleyball-Bundesliga, den CHIO („Weltfest des Pferdesports“), die Spiele von Alemannia Aachen in der Regionalliga West und viel Lokalsport in seiner Heimatstadt Aachen.

JOURNAL: Anders als viele Freie bei Regionalzeitungen konzentrierst du dich nicht auf eine Redaktion. Wie sieht dein Geschäftsmodell aus?

Wolfgang Birkenstock: Ich beliefere als Leichtathletik-Spezialist deutschlandweit zahlreiche Regionalzeitungen und habe zudem als Lokalsport-Fotograf in Aachen eine solide Basis.

Wolfgang Birkenstock ist Sportfotograf in Aachen. | Foto: Ayse Simsek-Birkenstock
Wolfgang Birkenstock ist Sportfotograf in Aachen. | Foto: Ayse Simsek-Birkenstock

JOURNAL: Aber auch du bekommst den Wandel im Markt der Regionalzeitungen zu spüren.

Birkenstock: Natürlich. Durch die Konzentration hat sich die Zahl der frei vergebenen Aufträge drastisch reduziert. Medienhäuser wie Funke und Madsack beliefern bei größeren Wettbewerben mit ihren Zentralredaktionen jeweils zahlreiche Regionalzeitungen mit den gleichen Berichten und Bildern. Die verbliebenen kleineren Blätter konzentrieren sich für ihre eigene Berichterstattung meist auf den Regionalsport und nehmen bei nationalen und internationalen Wettbewerben Agenturmaterial. Lediglich überregionale Blätter wie FAZ oder Süddeutsche leisten sich noch eine eigenständige Berichterstattung von internationalen Sportevents.

JOURNAL: Wo kommst du dann noch zum Zug – und wo nicht?

Birkenstock: Bei internationalen Sportwettbewerben kann ich als journalistischer Einzelkämpfer – anders als noch vor zehn Jahren – praktisch nichts mehr verdienen. Hier haben bei den Fotos die großen Agenturen das Geschäft weitgehend übernommen, sind ja in der Regel auch mit einem großen personellen Aufwand vor Ort. Bei Texten von Leichtathletik-WMs oder -EMs hat bei mir vor allem die erwähnte Konzentration zum Zusammenbruch dieses Marktes geführt. Da bleibt nicht mehr viel, und bei Honoraren von 30 Cent pro Zeile oder 25 Euro pro Bild reicht das für einen Freien wie mich nicht, um die Teilnahme an internationalen Sportveranstaltungen irgendwo in der Welt zu refinanzieren.

JOURNAL: Wie sieht es bei Veranstaltungen in Deutschland aus?

Birkenstock: Hier haben Zeitungen für die Regionalausgaben „ihre“ Athletinnen und Athleten im Blick. Da ist es schon einen Bericht wert, wenn es jemand in eine DM-Quali schafft oder sogar an einem größeren nationalen Wettbewerb teilnimmt. Dann brauchen sie für Text und Fotos Freie wie mich, denn Agenturen wie dpa decken üblicherweise maximal die drei Bestplatzierten ab.

JOURNAL: Und wenn dpa oder Imago dann doch ähnliche Bilder haben?

Birkenstock: Im besten Fall nimmt die Redaktion trotzdem mein Foto, weil es interessanter ist. Scharfe Bilder kriegt mit der heutigen Technik ja jeder hin. Es geht also eher darum, auch mal zu experimentieren, etwa die Perspektive an den zugewiesenen Fotopositionen extrem auszureizen. Nicht mit dem Pulk laufen, sondern vorausschauend zu fotografieren. In der Leichtathletik weiß ich oft, wo als nächstes ein interessantes Motiv sein könnte. Viele Athletinnen und Athleten kennen mich und schauen mich vielleicht im entscheidenden Moment direkt an. Diese Blickachse haben die anderen Fotografinnen und Fotografen dann nicht – nicht mal, wenn sie direkt neben mir stehen.

JOURNAL: Worauf schauen die Redaktionen noch? Gibt es so was wie Trends?

Birkenstock: Am ehesten der Wunsch nach echten Emotionen. Wenn sich eine Läuferin nach dem Sprint mit der deutschen Flagge präsentiert oder ein Turner seine Muskeln zeigt, haben das ja alle. Ich versuche den Gesichtsausdruck beim Überqueren der Ziellinie einzufangen. Oder die Reaktion in genau dem Augenblick, in dem der Hammerwerfer begreift, dass auch der letzte Wurf nach ihm seine Weite nicht übertroffenen hat, sodass er wirklich auf dem Siegertreppchen ganz oben stehen wird.

JOURNAL: Du hast das vorhin „vorausschauend fotografieren“ genannt. Es setzt aber auch räumliche Nähe und Bewegungsfreiheit voraus, oder?

Birkenstock: Ja, dafür ist es natürlich ein enormer Vorteil, wenn ich mich als Fotograf im Infield, also im Innenraum des Stadions, innerhalb gewisser Vorgaben frei bewegen kann und nicht nur mit dem Riesentele am Rand stehe. Bei kleineren Wettbewerben ist das kein Problem. Bei Deutschen Meisterschaften etwa in der Leichtathletik, meinem Spezialgebiet, ist der Andrang auf die begrenzten Infield-Plätze natürlich größer. Dann zählt, dass ich lange im Geschäft bin, einen Namen und viele Zeitungen als Abnehmer habe.

JOURNAL: Bei den internationalen Events ist das anders?

Birkenstock: Da geht der Großteil der Infield-Plätze wegen des weltweiten Vertriebs an die großen Bildagenturen. Einzelne Freie werden zum Beispiel für einen Sprung, einen Lauf oder einen Wurf in den Innenraum gelassen. Da muss man schon viel Glück haben, dass das dann der entscheidende Moment ist. Das ist ein weiterer Grund, warum eine Akkreditierung sich dann kaum lohnt, selbst wenn es keine hohen Reisekosten gibt.

JOURNAL: Man kann die Leichtathletik bestimmt nicht als Nischensportart bezeichnen. Aber verglichen mit dem Fußball muss sie doch eher zurückstehen. Welche Rolle spielt das in deinem Berufsalltag?

Birkenstock: Natürlich ist es ärgerlich, wenn für andere Sportarten kein Platz im Blatt ist, weil der Fußball alles dominiert. Andererseits haben wir auch Vorteile. Es gibt zum Beispiel viel weniger Restriktionen, was etwa den direkten Zugang zu den Sportlerinnen und Sportlern angeht.

Ich kann mit Topleuten zu Saisonbeginn über ihre Ziele und ihre Strategie sprechen. Ich habe bei Welt- und Europameisterschaften vor den Wettkämpfen immer alle von mir gewünschten Interviewpartner bekommen. Und bei den Zeitungen, für die ich über Leichtathletik berichte, habe ich Glück: Da bekomme ich alles unter.

Vor einigen Wochen erreichte ein Läufer hier aus der Region bei einem Rennen in Finnland eine phänomenale Zeit. Wir waren zum Gespräch verabredet, er meldete sich dann schon früher bei mir. So hatte ich für den Bericht natürlich exklusives Material. Dafür hat mir die Zeitung sofort eine halbe Seite für den nächsten Tag freigeräumt.

JOURNAL: Du hast vorhin schon die niedrigen Honorare bei Regionalzeitungen erwähnt. Du kommst über die Runden, weil du viele Abnehmer hast. Was ist mit Agenturen als zusätzlicher Einnahmequelle?

Birkenstock: Honorare sind ein endloses Thema. Das hat uns während meiner Jahre im Fachausschuss genauso beschäftigt wie die Agenturen, etwa Imago und picture alliance, die dazu beitragen, dass der Bildermarkt für die Urheberinnen und Urheber so kritisch ist. Ich habe über die guten, jahrelang gepflegten Kontakte meinen eigenen Vertrieb und nutze diese Agenturen nicht. Aber für manche, gerade in der Fußball-Bundesliga, ist das fast die einzige Möglichkeit, um überhaupt Bilder verkaufen zu können. Wenn auch meist zu minimalen Honoraren.

JOURNAL: Im Rahmen der European Championships in München fand ja auch die Leichtathletik EM statt. Diesmal hast du nicht fotografiert und geschrieben, sondern warst dort „Deputy Venue Photo Manager“. Was heißt das?

Birkenstock: Das läuft unter dem Oberbegriff „Media Operations“: Die Betreuung der Kolleginnen und Kollegen vor Ort und die Bereitstellung möglichst guter Arbeitsbedingungen für sie. Und beim Photo Management geht es im Speziellen um die Fotografinnen und Fotografen. Wir sind da, um ihnen zu helfen, damit sie möglichst gut ihre Arbeit machen können.

Andererseits müssen wir auch darauf achten, dass sie sich an das Regelwerk halten, zum Beispiel bei den Fotopositionen oder Infield-Zugängen.||

Die Fragen stellte Corinna Blümel

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2022.