IN EIGENER SACHE

Der Krimi von Düsseldorf

Wie der DJV-NRW plötzlich ohne Geschäftsführer dastand
14. Juni 2017, Corinna Blümel*

Um mehr als 52 000 Euro hat der ehemalige Geschäftsführer den DJV-NRW vermutlich betrogen. Das hat eine Unterschlagungsprüfung ergeben, die der Landesvorstand nach der Entdeckung fragwürdiger Rechnungen in Auftrag gegeben hatte. Ein endgültiges Urteil über den Krimi der vergangenen Wochen wird am Ende der juristischen Aufarbeitung stehen.

Am 10. April waren die Landesvorstandsmitglieder Pascal Hesse und Katrin Kroemer dem mutmaßlichen Betrug auf die Spur gekommen. Am selben Abend beschloss der Landesvorstand durchgreifende Maßnahmen, löste tags darauf das Arbeitsverhältnis per Aufhebungsvertrag auf und stellte am 12. April Strafanzeige und Strafantrag. Zudem informierte der DJV-NRW Mitglieder und Öffentlichkeit kurz nach Aufdeckung über die Probleme, um so viel Transparenz zu gewährleisten, wie in laufenden Rechtsverfahren möglich ist. Mitglieder, die es genauer wissen wollten, konnten wesentliche Unterlagen Ende April in Hagen einsehen.

Akteneinsicht für die Mitglieder des Gesamtvorstands gab es bereits bei einer außerordentlichen Sitzung am 18. April. Am Ende einer offenen Diskussion sprachen die Vorsitzenden der Ortsvereine und der Fachausschüsse dem Landesvorstand mehrheitlich ihr Vertrauen aus. Auch der Gewerkschaftstag diskutierte ausführlich über die Vorfälle und entlastete den Vorstand für das Geschäftsjahr 2016 – gegen das Votum der Rechnungsprüfer.

Streit mit den Rechnungsprüfern

Die Kassenprüfung erforderte in diesem Jahr zwei Termine statt des üblichen einen und endete mit einem kritischen Rechnungsprüfungsbericht. Darin bemängelten die Rechnungsprüfer Eberhard Wühle und Theo Körner, dass sie weder erschöpfend Auskunft auf ihre Fragen noch Einsicht in alle angeforderten Unterlagen erhalten hatten. Das betraf unter anderem die Überziehung des Etats, die Einsicht in Protokolle und in die in Frage stehenden Gutachten. Streit gab es auch darüber, dass die Rechnungsprüfer den Gesamtvorstand zwischen den beiden Prüfterminen über die Etatüberziehung informiert hatten. Wühle und Körner fühlten sich in ihrer Arbeit behindert und sprachen sich auf dem Gewerkschaftstag dafür aus, die Entlastung des Vorstands zu verschieben.
Kritik äußerten sie unter anderem daran, dass es kein funktionierendes Vier-Augen-Prinzip bei Rechnungen gegeben habe. Der Landesvorstand räumte nach Aufdeckung des mutmaßlichen Betrugs ein, dass die vorhandenen „checks and balances“ zu stark auf die Geschäftsführung als Kontrollfunktion zugeschnitten waren. Und dass so ein System zum Scheitern verurteilt sei, wenn der Geschäftsführer selbst es mit krimineller Energie aushebele. Der neue Landesvorstand hat als Aufgabe mitgenommen, ein zuverlässigeres System einzuführen. Bis dahin gilt in der Geschäftsstelle ein Sechs-Augen-Prinzip. /cbl

Durchgestochene Infos

In dieser Kurzfassung ist die Geschichte inzwischen vielen bekannt. Weitere, teils richtige, teils falsche Informationen wurden an den Branchendienst kress durchgestochen, der seine Berichterstattung allerdings mehrfach korrigieren musste. Wer allein diese Beiträge als Quelle nahm, musste den Eindruck gewinnen, der Landesvorstand habe fahrlässig gehandelt, frühe Verdachtsmomente wissentlich ignoriert und schließlich die Mitglieder getäuscht.

Was ist also passiert? Wann ist was aufgefallen, und wer hat wann gehandelt? Um das verständlicher zu machen, kommt jetzt die längere Fassung. Sie basiert weitgehend auf den Präsentationen, die Pascal Hesse am 18. April dem Gesamtvorstand und am 6. Mai dem Gewerkschaftstag gezeigt und erläutert hat.

Im November 2015 war klar, dass die damalige Geschäftsführerin Anja Zimmer den DJV-NRW im Frühjahr verlassen würde, um Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) zu werden. Anders als beim vorherigen Geschäftsführerwechsel verzichtete der Landesvorstand auf die Dienste eines Headhunters. Der Gesamtvorstand, der in solche Entscheidungsprozesse eingebunden ist, hatte das Verfahren seinerzeit als zeitaufwendig und kostspielig kritisiert.

Auswahl zwischen zwei Kandidaten

Stattdessen stellte der Landesvorstand im Winter 2015/2016 eine Findungskommission zusammen. In ihr waren Mitglieder des Landesvorstandes, die in ihrem Beruf regelmäßig Bewerber einstellen und so die entsprechenden Erfahrungen mitbrachten. Nach deren Vorauswahl fiel die Entscheidung zwischen zwei etwa gleich interessanten Kandidaten. Den Ausschlag gab unter anderem das Jurastudium, das einer der beiden laut Bewerbungsunterlagen absolviert hatte. Darüber hinaus sprachen die bisherigen Erfahrungen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, unter anderem in einer Nischengewerkschaft, für den gebürtigen Leverkusener, der auch im persönlichen Gespräch überzeugte. Das sah auch der Gesamtvorstand so und bekundete in der Sitzung vom 22. März 2016 sein Einvernehmen mit der Entscheidung des Landesvorstands.

Zum 1. Juni 2016 trat der neue Geschäftsführer an, in den ersten Wochen noch unterstützt von Karlheinz Stannies, der die Geschäftsstelle nach dem Weggang von Anja Zimmer als Interimsgeschäftsführer geleitet hatte. Danach hatte der Neue die Fäden allein in der Hand, ging in Tarifverhandlungen beim WDR, begleitete die Streiks bei den Tageszeitungen und setzte auch eigene Impulse. Zum Beispiel sprach er bei zwei Treffen in Düsseldorf mit den Vorsitzenden der Fachausschüsse sowie der Orts- und Regionalvereine über deren Wünsche an die Geschäftsstelle. Der Versuch, die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlern auf neue Füße zu stellen, kam gut an.

Allerdings gab es auch gegenteilige Meinungen. So fanden es manche Ehrenamtler schwierig, mit ihren Anliegen und Kompetenzen Gehör beim neuen Geschäftsführer zu finden. Sie erlebten ihn als freundlich, aber sehr distanziert. Auch in der Geschäftsstelle fühlte sich ein Teil der Beschäftigten auf dem Abstellgleis. Im Einzelfall wurde ihm – im Rahmen von Auseinandersetzungen – sogar Doppelzüngigkeit vorgeworfen. Damals dachte man, das sei dem Streit geschuldet. Und überhaupt: Nicht jeder kann mit jedem. Auch die Vorgänger an der Spitze der Geschäftsstelle wurden nicht von allen geliebt.

Insgesamt schien der Geschäftsführer das zu tun, was seine Aufgabe war. Er traf viele Entscheidungen zügig, er besuchte Ortsvereine und Fachausschüsse, er reiste zu anderen Landesverbänden, und er kümmerte sich um das Alltagsgeschäft. Kurz: Mit seiner Tätigkeit sorgte er wie frühere Geschäftsführer dafür, dass der Landesvorstand seine ehrenamtlichen Aufgaben überhaupt bewältigen konnte.

Falsch zugeordnet

Was niemand ahnte: Wenige Wochen nach Dienstantritt hatte der Neue begonnen, Rechnungen eines Anwalts („Hans Forster“) in den Geschäftsablauf einzufädeln, die sich später als gefälscht herausstellen sollten. Hier eine vorgetäuschte Rechtsberatung, dort ein angebliches Gutachten. Jede Rechnung blieb im Rahmen der 5 000 Euro, für die der Geschäftsführer Prokura hatte. Insgesamt summierten sich die Forster-Rechnungen auf knapp 29 000 Euro. Damit war das (kleine) Etatkonto „externe Beratung“ deutlich überzogen. Dem war es aber zunächst nicht zugeordnet worden, sondern dem (viel größeren) Haushaltsposten „Rechtsberatung“. Als das korrigiert wurde, konnte der Geschäftsführer ahnen, dass es bald Fragen zur Überziehung geben würde. Er gestand dem Landesvorstand die unabgesprochenen „Auftragsvergaben“. Alle Ausgaben seien im Sinne des DJV-NRW gewesen, betonte er. So habe er unter anderem die Möglichkeiten zu vertieften Kooperationen zwischen Landesverbänden prüfen wollen und sich für Tarifverhandlungen beim WDR fit machen lassen.

Das klang zunächst plausibel, war aber doch eine böse Überraschung für den Landesvorstand. Denn Entscheidungen über politische Prozesse wie Kooperationen liegen grundsätzlich nicht bei der hauptamtlichen, sondern bei der ehrenamtlichen Spitze. Ebenso hätte der Vorstand versucht, in Sachen WDR-Tarifwerk DJV-interne Unterstützung zu organisieren, statt externe Beratungskosten zu produzieren.

Zur Ausspache über die „Dummheit“ (wie der Geschäftsführer selbst den Vorgang titulierte) kam es auf der Vorstandssitzung am 9. Dezember 2016. Nach strittiger Diskussion senkte der Landesvorstand den Verfügungsrahmen auf 3 000 Euro je Geschäftsvorgang. Zudem stellten die Vorstandskollegen klar, dass Rechtsberatung für den Geschäftsführer oder die Erstellung von Gutachten vorab genehmigt werden müssen.

Trotz des Regelverstoßes stimmte der Vorstand mehrheitlich gegen einen Eintrag in die Personalakte des Geschäftsführers. Man habe seine Tätigkeit nicht dauerhaft beschädigen wollen, heißt es dazu zerknirscht im Nachhinein. Aus dem gleichen Grund entschieden die Vorstandsmitglieder damals mehrheitlich, diesen Teil der Sitzung nicht ins Protokoll aufzunehmen. (Wurde inzwischen nachgetragen und als Nachtrag kenntlich gemacht.)

Noch eine weitere Mehrheitsentscheidung traf der Landesvorstand auf der Dezember-Sitzung: Er lehnte das Angebot des Geschäftsführers ab, die Kosten für Rechtsberatungen und Gutachten aus eigener Tasche zu erstatten. Wenn man weiß, was man heute weiß, mutet dieser Beschluss kurios an. Aber an dem Tag stand weder möglicher Betrug noch vorsätzliche Schädigung des Landesverbands im Raum. Der Vorstand dachte, der Geschäftsführer habe seine Handlungsmöglichkeiten falsch beurteilt, und wollte ihn dafür nicht in Regress nehmen.

Letztlich war das Angebot wohl eher eine kalkulierte Demutsgeste, strategisch an einem Punkt eingebracht, an dem der Geschäftsführer wusste, dass der Vorstand nicht darauf eingehen würde.

Und was gab es für das Geld?

Aber was hatte der DJV-NRW eigentlich als Gegenwert erhalten? Das wollte Pascal Hesse wissen. Er bat den Geschäftsführer in der Sitzung, ihm Gutachten und Mitschriften der Rechtsberatungen zukommen zu lassen. Was dieser versprach, aber über Monate hinweg nicht einlöste. Trotz eigener beruflicher Belastung hakte Hesse zwischen Dezember und März beharrlich immer mal wieder nach. Und wurde mit stets neuen Begründungen vertröstet: zu viel Arbeit, geschäftlich unterwegs oder krank. Hesse, der auch investigativ arbeitet, ließ sich nicht abwimmeln. Im Gegenteil: Zwischenzeitlich hatte er den Rechnungsprüfern Eberhard Wühle und Theo Körner den Hinweis gegeben, in der turnusmäßigen Kassenprüfung im März ein besonderes Augenmerk auf die betreffenden Rechnungen zu legen. Die hatten das aufgegriffen und waren darüber mit dem Geschäftsführer, aber auch mit Teilen des Landesvorstands in Streit geraten.

Am 28. März schickte der Geschäftsführer dem Vorstand endlich einen Bericht über die externen Auftragsvergaben. Allerdings war die Zusammenstellung lückenhaft, die Gutachten fehlten genauso wie die angeforderten Beratungsnotizen. Hesse hakte am gleichen Tag mit Fragen nach und forderte erneut, inzwischen unterstützt von den Vorstandskolleginnen Katrin Kroemer, Barbara Löcherbach und Andrea Hansen, die Originalunterlagen ein. Kroemer und Hesse setzten dem Geschäftsführer schließlich eine Frist bis zum 11. April.

Am 9. April erhielt der Vorstand tatsächlich die Gutachten und die Rechnungen. Unabhängig voneinander nahmen sich Kroemer und Hesse die Unterlagen vor und kamen auf verschiedenen Wegen zum gleichen Ergebnis: Das Gelieferte warf mehr Fragen auf, als es beantwortete. Erste Recherchen ergaben unter anderem, dass es den mehrfach „beauftragten“ Anwalt Hans Forster in Bremen nicht gab. Für den Landesvorsitzenden Frank Stach war dies Anlass, sich am gleichen Abend mit einer Fahrt nach Bremen davon zu überzeugen, dass unter der angegebenen Adresse kein Anwalt tätig war. Daraufhin handelte der Vorstand wie dargestellt unverzüglich: Aufhebungsvertrag, juristische Schritte, Information an die Mitglieder und die Öffentlichkeit.

Weitere Anwaltsfakes

Bald nach der Entdeckung war klar: Die „Gutachten“ wurden nachlässig und vermutlich in großer Eile zusammengestoppelt. Sie basieren auf Standard-Schriftsätzen, die man sich für kleines Geld im Netz herunterladen kann. Auch an anderen Stellen ging der ehemalige Geschäftsführer wohl großzügig mit der Wahrheit um, etwa bei seinen Reisekostenabrechnungen. Oder als der Justiziar Christian Weihe über eine der Forster-Rechnungen gestolpert war und nachfragte. Da versicherte der Geschäftsführer ihm, das sei mit dem Vorstand abgesprochen. Weihe war zwar erstaunt, aber noch nicht an dem Punkt, die Aussage seines Chefs in Zweifel zu ziehen und beim Vorstand nachzufragen, ob das stimmte …

Es war nicht bei einem erfundenen Anwalt geblieben. Sobald eigene Rechtsberatung und Gutachten als Anlässe nicht mehr funktionierten, änderte der Geschäftsführer die Masche. Nun erfand er komplizierte Rechtsschutzfälle für echte Mitglieder. Das erforderte dann angeblich die Beauftragung externer (wiederum erfundener) Kanzleien, die nicht zum üblichen Stamm der Vertragsanwälte des DJV-NRW gehörten. Vier weitere Anwaltsfakes wurden so geschaffen, mit je eigenen Konten und über ganz Deutschland verteilt.

Im Nachhinein ist man immer klüger. Natürlich muss sich jeder und vor allem die Mitglieder des Landesvorstands im Nachhinein fragen (lassen), ob man nicht früher hätte misstrauisch werden sollen. Aber das ist wie beim Krimi, wo einem bei der Auflösung auch auffällt, was man vorher nur unbewusst registriert hatte. Natürlich wäre es besser, wenn der DJV-NRW den mutmaßlichen Betrug direkt unterbunden hätte. Aber er ist seinem Geschäftsführer innerhalb weniger Monate auf die Spur gekommen und hat dann sofort gehandelt.

 

(*Anmerkung: Die Autorin ist Mitglied im Gesamtvorstand des DJV Landesverbands NRW. Dieser Transparenzhinweis fehlte in der Druckfassung.)